Die aktuelle Kritik

Landestheater Schleswig-Holstein: "Heringstage"

Von Falk Schreiber

Kriminalgeschichten sind Zeitverschwendung? Vielleicht. Aber wenn die Zeitverschwendung so viel Spaß macht wie Sonja Langmacks Ein-Frau-Projekt „Heringstage“ in der "Trauminsel" Schleswig, dann will man sich darüber nicht beschweren.

Ein Theater, das ein Kriminalstück auf die Bühne bringt, muss sich erst mal trauen, im Programmzettel Friedrich Dürrenmatt zu zitieren: „Um ehrlich zu sein, ich habe nie viel von Kriminalromanen gehalten“, schreibt der Schweizer Schriftsteller da. „Ihr baut eure Handlung logisch auf; wie bei einem Schachspiel geht es zu (…), es genügt, dass der Detektiv die Regeln kennt und die Partie wiederholt, und schon hat er den Verbrecher gestellt, der Gerechtigkeit ist zum Siege verholfen.“ Dieses Zitat ist deswegen mutig, weil Sonja Langmacks Kriminalkomödie „Heringstage“ am Schleswig-Holsteinischen Landestheater genau so ein Prinzip wiederholt: Es gibt Verbrecher*innen, die logisch handeln, und es gibt eine Ermittlerin, die die verbrecherischen Gedankengänge nachvollzieht, um so das Unrecht aufzulösen. Gerechtigkeit wiederhergestellt, fertig.

Freilich: Die Regisseurin weiß auch, dass Dürrenmatt zwar Kriminalromane als „Zeitverschwendung“ schmäht, gleichwohl selbst immer wieder das Genre zu hoher Literatur adelte. Und auch wenn Langmack gar nicht so tut, als ob sie Dürrenmatt in literarischer Hinsicht das Wasser reichen könnte: „Heringstage“ ist eine durchaus raffiniert gebaute Räuberpistole mit kniffliger Ausgangsposition, schwierigen Beziehungen der Ermittler*innen untereinander, einer überraschenden Auflösung und gar nicht mal nur humoristischen Einblicken in die Abgründe des bürgerlichen Ehelebens.

Die Grundkonstellation: Es sind „Heringstage“ in Schleswig-Holstein, die Zeit, in der die Fische in ihre Laichgebiete ziehen und extra für diesen Termin anreisenden Anglern ins Netz gehen. Und wie zu erwarten war, holen die Angler auch andere Objekte aus dem Nord-Ostsee-Kanal: Leichenteile. Weswegen die Mordkommission „Zwischen den Meeren“ (ein hübscher Seitenhieb auf den Tourismusslogan des Bundeslandes) ermittelt, namentlich die kurz vor der Pensionierung stehende Kommissarin Jonas und ihre designierte Nachfolgerin Jacobsen. Und erst mal zeigen diese ganz traditionelle Ermittlungsarbeit: Sie recherchieren Vermisstenmeldungen, sie geraten auf falsche Fährten wie die, ob man es vielleicht mit Morden im Mafiaumfeld zu tun haben könnte. Was die Polizei eben so macht.

Dargestellt werden die Beteiligten durch Handpuppen. Hübsche, lebensgroße Figuren, die zwar in ihrer karikaturhaften Überzeichnung immer gleichzeitig schmallippig und großmäulig auftreten, dabei aber so liebevoll konstruiert sind, dass alle ihre eigenen Charaktereigenschaften zeigen können: die alternde Polizistin Jonas als in ihrer Selbstgewissheit verknöcherte Unsympathin, die Pathologin Lisa als lockenmähniger Charmebolzen, der von ihr angehimmelte Streifenpolizist Goldmann als patenter Halbironiker. Einzig Nachwuchskommissarin Jacobsen wird nicht von einer Puppe dargestellt, sondern von Autorin/Regisseurin/Puppenspielerin Langmack selbst. Ein ästhetischer Fremdkörper ist das tatsächlich nicht, das Spiel zwischen Mensch und Puppen harmoniert überraschend gut – aber eine gewisse Überforderung der Künstlerin bringt diese Konstellation durchaus mit sich. Schon rein spielpraktisch: Im Grunde kann Jonas immer nur einem einzelnen Gegenüber begegnen, weil die darstellerischen Möglichkeiten einfach begrenzt sind. Nur in Ausnahmefällen nimmt Langmack beide Hände zu Hilfe und schafft so kurze Trioszenen – Action etwa lässt sich so entsprechend nicht zeigen.

Unterstützend wirkt dagegen Gabriele Thormanns Bühne: Die besteht aus drei Rängen, zwischen denen Langmack auf- und abgehen kann, das ist so funktional wie ästhetisch ansprechend. Das Landestheater bespielt unterschiedliche Häuser im gesamten Bundesland, und nicht in jedem Raum dürfte das funktionieren. Die Schleswiger Trauminsel als Uraufführungstheater allerdings ist hierfür optimal geeignet: ein kleiner, schlauchartiger Saal, dessen Stirnseite vollständig von der Bühne eingenommen wird. Manchmal überspielt Langmack hier die vierte Wand, etwa als sie eine Pressekonferenz behauptet, in der das Publikum leichterhand zu Journalismusstatist*innen wird. Bei der Uraufführung lässt sich eine Zuschauerin auf das Spiel ein und beginnt, journalistische Fragen in Richtung Bühne zu stellen – und dass Langmack sich nach einer kurzen Irritation improvisierend auf den Dialog einlässt, zeigt, wie genau sie an ihren Rollen gearbeitet hat. Es zeigt aber auch, wie begeistert das Publikum die Krimihandlung von „Heringstage“ mitgeht.

Dass die Darstellerin nicht immer so sicher in ihrer Performance ist, dass es ihr manchmal schwerfällt, innerhalb von Sekunden die Rolle zu wechseln – geschenkt. Das Stück ist leichte Kost und will auch gar nicht mehr sein: Puppentheater, das unterhält und dabei handwerklich funktioniert. Länger als eine gute Stunde dürfte der Abend freilich nicht dauern, die Handlung beginnt sich im Kreis zu drehen, und schon der Schlussgag ist nur noch halb gelungen. Bis dahin beweist „Heringstage“ Dürrenmatts These, dass Kriminalgeschichten Zeitverschwendung seien – allerdings hatte Dürrenmatt unterschlagen, wie viel Spaß so eine ordentliche Zeitverschwendung machen kann.

 

Heringstage

Von Sonja Langmack

Uraufführung: 19.03.2022

Regie, Spiel, Puppenbau: Sonja Langmack

Bühne: Gabriele Thormann

Kostüm: Simone Fröhlich

Fotos: Henrik Matzen

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