Die aktuelle Kritik

Suse Wächter: "Hört, hört!"

von Tobias Prüwer

Das Kunstfest Weimar rollt die 90 Jahre alte Bauhaus-Debatte aus und zeigt eine Arbeit über die Kraft dieser Kunsthaltung.

Verheißungsvoll hängt die Marionette mitten im Publikum. Aus rechteckigen Formen, jeweils in monochromen Grundfarben, sind ihre Glieder gestaltet. Sie ist ein originalgetreuer Nachbau aus Oskar Schlemmers Bauhaus-Figurentheater. Im E-Werk wird sie von Regisseurin Suse Wächter lediglich zitiert, bleibt aber ansonsten unberührt. Dabei soll es bei der Revue mit Puppen „Hört, hört!“ im Rahmen des Kunstfestes Weimar um nichts Geringeres als um die 90 Jahre alte Bauhaus-Debatte und die Kraft dieser Kunsthaltung gehen.

1923: Drei Klappmaul-Gartenzwergpuppen mit Zipfelmütze übernehmen verschiedene Politikerrollen und sprechen deren damalige Landtagsreden nach. Es wird im Thüringer Parlament um das Schicksal des Weimarer Bauhaus gestritten. Gleichzeitig soll dieses trotz viel Lokalkolorit etwas dürftig erscheinende Grundkonzept eine „Hommage an die legendären Bauhaus-Abende“ sein. Diese mit Lesungen und Vorträgen gestalteten Zusammenkünfte nennt das Programmheft „verrückt-entrückt“. Also nimmt das Publikum in einer Art Salon Platz. Man gehöre jetzt zu den Bauhausschülern, ist zu erfahren. Auf zwei gegenüberliegenden Podien spielen zwei Darsteller sowie drei Figurenführerinnen und laufen immer wieder zwischen diesen hin und her.

 

Suse Wächter inmitten ihrer Puppen. Foto: Tom Kühnel

 

Timing und Dramaturgie fehlen, falsche Einsätze und ein zwischenzeitlich „Äh“ stammelnder Conférencier bestimmen den Abend. Schrullige Auftritte einer Else Lasker-Schüler-Darstellerin mit Blockflöte und Teezeremonie, Goetheaufsagereien und die Foto-Idylle vor des Geheimrats Gartenhaus ziehen die Revue in die Länge. Immerhin stören die kurzen gesungenen Choreinlagen nicht. Der eigentlichen Landtagsdebatte über die Zukunft des Bauhauses – es muss 1925 tatsächlich Weimar verlassen – kann man kaum folgen. Denn es ist vor allem eine Haushaltsdebatte mit Diskussionen von Zahlen und Rechtsformen. Das Publikum wird mit Pappschildern zu Einwürfen, Applaus und Buhs animiert.

Das hat alles unfertigen Charakter. Hervorragend zeigen sich lediglich die zahlreichen Figurentheatereinlagen. Die Spielerinnen Suse Wächter, Ulrike Langenbein und Veronika Thieme führen die Figuren sehr exakt und holen manche Schrulle aus Sigmund Freud, den verschiedenen Politikern und Henry Ford heraus. Der Automogul hantiert mit dem Jazzbesen am Schlagzeug. Wenn sich der Bauhausgegner Emil Herfurth in Rage steigert und auf dem Pult herumhampelt wie auf einem Fitnesslaufband, ist das großes Figurentheater. Am lustigsten sind die Szenen mit der Sigmund-Freud-Puppe, die schon in vielen Stücken von Suse Wächter Wiederverwertung fand. Freud darf über Architektur und moderne Kunst plaudern und auch mal – „upsala“ – das Bein seiner Spielerin streicheln. Natürlich ist es dankbar, wenn er über Häuser, Löcher und ihre Analogien zu Frauenkörpern plappert und anderes Pseudo-Psycho-Gebrabbel von sich gibt. Mit solchem, zumal als akademisch kaschiertem Nonsens, kann man nichts falsch machen.

Ausgerechnet die kleine Form des Figurentheaters reißt diese Inszenierung heraus, auch weil die Figurentheaterszenen in sich ernst genommen werden. Das ist im Sprechtheater ja häufig nicht der Fall, wenn Puppen als Staffage herhalten. Und gerade Suse Wächter hat als Spielerin und Puppenbauerin bei der ernsthaften Verquickung von Schauspiel und Figurentheater viel geleistet. Doch auch hier zeigt sich ein Wermutstropfen: eben jene in der Raumesmitte verheißungsvoll hängende Marionette. Oskar Schlemmers zugehöriges Stückfragment „Die Abenteuer des kleinen Buckligen“ führte man am Theater Dessau vor drei Jahren versuchsweise auf. In Weimar bleibt die Marionette unberührt. Auch an dieser Stelle in der Bauhausdebatte: Punkt für Dessau.

 

 

Hört, hört! Die Bauhaus-Protokolle – der große Streit von Weimar

Uraufführung, Suse Wächter

Konzeption: Suse Wächter & Janek Müller

Regie & Puppenbau: Suse Wächter

Bühne: Constanze Kümmel

Musik: Vincent Hammel

Dramaturgie: Janek Müller, Peter Schütz, Thomas Martin

Mit: der Bauhauskapelle „Vincent Hammel“, dem Foxy Chor, Pascal Lalo, Sachiko Hara, Ulrike Langenbein, Veronika Thieme und Suse Wächter

 

Im Rahmen des Kunstfest Weimar

 

Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause

 

Zur Buckligen-Inszenierung in Dessau gehts hier.

 

 

 

 

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