Die aktuelle Kritik

Anhaltinisches Theater Dessau: "Die Abenteuer des kleinen Buckligen"

von Tobias Prüwer

Christian Georg Fuchs lässt ein altes Inszenierungsfragment mit Bauhaus-Puppen auferstehen.

 

Foto: Cheysel

Foto: Cheysel

 

 

Uraufführung nach 90 Jahren Dornröschenschlaf

 

Eigentlich sollte es der „Schmied von Apolda“ werden. Das thüringisch-volkstümliche Stück sah Oskar Schlemmer, Leiter der 1923 frisch gegründeten Bühnenwerkstatt am Weimarer Bauhaus, als erstes Marionettenspiel der Werkstatt vor. Er ließ aber den drei beteiligten Studierenden alle Freiheiten bei der Gestaltung. Nachdem die erste Puppe gebaut war, merkten sie schnell, dass diese für das Stück nicht passt. Eine andere Geschichte musste her, die auf ihre Weise – sei es aufgrund der Archaik oder einfachen Erzählweise – dem Grundgestaltungskanon des Bauhauses entsprach; mit „Die Abenteuer des kleinen Buckligen“ aus „1.001 Nacht“ ward ein solches gefunden, Schlemmer goutierte den studentischen Vorschlag. Aus den Grundlagen Quadrat, Dreieck, Kreis wurden die Figurinen jenseits dekorativer Effekte entwickelt. Form und Charakter sollten harmonisch zusammenkommen. Die Puppen wurden gebaut, eine Vorstellung fand aufgrund der alsbaldigen Auflösung des Weimarer Bauhauses nie statt.

 

Gut 90 Jahre später sollte die Uraufführung doch noch stattfinden – und zwar an dem anderen deutschen Bauhaus-Sehnsuchtort. Am Theater Dessau lässt Regisseur Christian Georg Fuchs das Inszenierungsfragment zur Gänze auferstehen. Die im Museum erhalten gebliebenen Puppen wurden nachgebaut, Kulissenzeichnungen und manche Anweisung studiert. Der Rest war eine Mischung aus Rekonstruktion, Einfühlung in die damaligen Auffassungen und Ausprobieren. Gerade die Lust an letzterem sorgt dafür, dass hier kein historisierendes Puppenspiel über die Bühne geht. Überhaupt haftet der Inszenierung nichts Museales oder Sakrales an. Am Werkstatttisch, der Puppenbühne ist, besprechen Schlemmer und zwei Studierende ihr Vorhaben, diskutieren die Figurinengestaltung und das entsprechende Stück.

 

Wie nebenbei erhält man so eine Kontextualisierung. Und lernt ein paar Bauhausprinzipien kennen, wenn die aufgereihten Marionetten vier Bauhaus-Typen – kubisch, Körperform auf Grundformen reduzierend, mechanisch an Bewegungsgesetzen orientiert und entmaterialisiert – repräsentieren. Der Arzt zum Beispiel besteht nur aus sehr in die Länge gezogenen Rechtecken und nadelähnlichen Extremitäten, der Henker ist optisch auf die Funktion einer Zugfeder zugeschnitten. Die Kulisse setzt sich nach und nach aus Walter Gropius' ebenso in Weimar entstandenem „Baukasten im Großen“ zusammen.

 

Als das Stück im Stück beginnt, legt sich ein eigenartiger Zauber über die Bühne. Die Geschichte um den Tod des Buckligen und gegenseitige Schuldzuweisungen verschiedener Charaktere wie des Ölhändlers oder jüdischem Arztes spielen sich als wortloser Sinnesreigen ab. Zwei Spieler animieren die Marionetten, während der dritte ihre Bewegungen begleitet und das ganze Geschehen musikalisch umrahmt. Dabei kommen allerhand ungewöhnliche Klanggegenstände zum Einsatz, für jede Figur ist ein bestimmtes Instrument vorgesehen. Mit einem „Hui“ flitzt der Bucklige über die Bühne, die Schneiderfrau zetert wie ein Brummtopf, der Arzt klingt wie eine Mischung aus Nadelklappern und Quietschen.

 

Das ist so kurzweilig wie hübsch unterhaltsam und kommt doch als aufs Wesentliche reduzierte Spiel herüber. Rekonstruktion gelungen, Patient tot? Von wegen. Mit überraschendem Finale verabschiedet sich die Inszenierung wie mit einem Paukenschlag. Das Experimentieren mit den komischen Figuren ist allzu schnell vorbei und man kann für die Zukunft hoffen: noch nicht ausgereizt?

 

 

Premiere: 31. Mai 2015

 

Der Entstehungsprozess ist ausführlich in diesem Blog dokumentiert: https://buckliger.wordpress.com/

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