Die aktuelle Kritik

Kaufmann & Co., Schaubude Berlin: „Spielplatz Everest“

Von Falk Schreiber

Hochkreatives Spiel mit Gegenständen, Lust am Offenlegen und Verschleiern von Illusion: „Spielplatz Everest“ von Alexandra und Eva Kaufmann ist Meta-Puppentheater, das sich am Ende als ein mit traditionellem Schauspiel erzähltes Beziehungsdrama entpuppt.

Zwei Puppenspielerinnen wollen das erste Kasperletheater aller Zeiten auf dem Mount Everest aufführen. Bloß: Das Wetter spielt nicht mit, die Fitness ist nicht optimal, und die Anreisefinanzierung steht auch auf tönernen Füßen. Eine Schnapsidee, mit der man dann das macht, was man mit Schnapsideen eben so macht: Man verwirft sie. Dumm nur, dass eine teilweise Kostenübernahme schon zugesagt ist, und dann kündigt das Schweizer Fernsehen auch noch an, eine Dokumentation über das Vorhaben senden zu wollen. Weswegen Gerda (Alexandra Kaufmann) und Michaela (Eva Kaufmann) sich entscheiden, die Bergbesteigung zu faken.

Mittels Objekttheater tun die beiden Akteurinnen von Kaufmann & Co. so, als ob sie ihre Puppen auf 8848 Höhenmeter bringen würden. Sprühsahne doubelt die Abbrüche und Séracs [Türme aus Gletschereis] des Khumbu-Gletschers, eine Spalte tut sich zwischen zwei Bettlaken auf, und eine vom Wind zerblasene Schneefläche wird durch eine weiße Tischplatte markiert. Fast wie echt. Zumindest sofern der Bildausschnitt stimmt und Off-Text und Soundtrack hinreichend dramatisch performt werden.

„Spielplatz Everest“ an der Berliner Schaubude ist Puppentheater im Sinne eines Als-ob-Spiels: Alles an dem einstündigen Abend ist Illusion, wobei das Spiel die Mittel der Illusion immer offenlegt. Reizend, wie man Gerda in schweren Schuhen erschöpft durch Schneeverwehungen stapfen sieht, während gleichzeitig klar ist, dass es hier nicht um müde Füße geht, sondern um Alexandra Kaufmanns schmale Finger, die in winzigen Schühchen stecken, und nur der Kamerawinkel die Illusion erweckt, dass sich die Akteurin durch die Weiten des Himalayas kämpft.

"Spielplatz Everest" © Sven Mathiasen

Als Dekonstruktion vom Illusionscharakter des Puppenspiels ist „Spielplatz Everest“ also durch die Bank sehenswert, zumal Alexandra und Eva Kaufmann (denen bei Regie, Video und Grafik Sven Mathiasen und bei Bühne und Licht Werner Wallner zur Seite standen) die originelle Grundidee mit Spielfreude und inhaltlicher Nonchalance aufladen. Da stört auch nicht, dass nicht jede Idee zündet. Auch nicht, dass die Kritik am Expeditions-Massentourismus durch einen die Bergeinsamkeit mit Bierdosen zumüllenden Kasper etwas wohlfeil daherkommt oder dass man sehr wohlwollend auf das Stück blicken muss, um das Interview mit einem unter Zivilisationsnippes fast zusammenbrechenden Sherpa nicht als mit rassistischen Klischees durchsetzt zu kritisieren. Oder dass sich der Humor ein bisschen zu häufig in Rülps- und Pinkelwitze flüchtet. Andererseits wissen die beiden Künstlerinnen selbst um dieses Problem: „Ich bin nicht glücklich mit den derben Texten, die du für Kasper geschrieben hast!“, beschwert sich Gerda, aber, hey, das hier ist Kasperltheater, da darf es derb zugehen. Auch wenn es sich um Meta-Kasperltheater handelt. „Wir machen hier kein Kindertheater!“, stellt Michaela klar.

Gegen Ende hin verliert das Stück seine Herkunft im Puppenspiel ein wenig aus den Augen. Dass Kasper als erster den Gipfel erreicht, wird zwar kurz im Video abgehandelt, passt aber nicht in die Stücklogik – es gibt ja in Wahrheit gar keinen Gipfel, entsprechend ist auch nicht klar, was hier erklommen wird. Aufgelöst wird das in einem Epilog, der deutlich macht, dass Michaela zunehmend den Unterschied zwischen Realität und Fiktion, zwischen Doku und Fake aus den Augen verliert und nach und nach in einen Wahn abdriftet, in dem Kasper ihr die ersten Schritte auf dem Mount Everest streitig macht. „Spielplatz Everest“ ist so allerdings zum Sprechtheater geworden, in dem zwei Schauspielerinnen sich (durchaus gekonnt) in eine toxische Paarbeziehung einfühlen, die im Spannungsfeld aus selbst auferlegtem Leistungsdruck, ständigen Vorwürfen und wachsender Überforderung implodiert. Immerhin: Gerda, zunächst emotionaler Fußabtreter der überehrgeizigen Michaela, trauert gegen Ende zwar kurz um ihre in der Psychiatrie gelandete Gefährtin, nimmt daraufhin aber ihr Leben in die eigene Hand und scheint künstlerisch wie emotional gestärkt aus der Katastrophe hervorzugehen.

"Spielplatz Everest" © Sven Mathiasen

Statt der angekündigten „ungewöhnlichen Kombination aus Schauspiel, Puppen- und Objekttheater“ sieht man gegen Ende in erster Linie Schauspiel – zugegeben: originelles, gekonntes Schauspiel. Aber eben auch ein Stück, das sich nach einem vielversprechenden Anfang in eine überraschend konventionelle Form flüchtet. Dass im letzten Drittel kaum noch Objekte bespielt werden, dass das Puppentheater hier zur bloßen Kulisse eines Beziehungsdramas wird, ist entsprechend schade. Weil das hochkreative Spiel mit Gegenständen und die Lust an gleichzeitigem Offenlegen und Verschleiern der Illusion doch einen Großteil des Charmes von „Spielplatz Everest“ ausgemacht hatte.

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Spielplatz Everest

Von Kaufmann & Co.

Spiel, Text: Alexandra Kaufmann, Eva Kaufmann

Regie: Alexandra Kaufmann, Eva Kaufmann, Sven Mathiasen

Bühne, Lichtdesign: Werner Wallner

Video, Grafik: Sven Mathiasen

Fotos © Sven Mathiasen

 

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