Die aktuelle Kritik

Puppentheater Magdeburg & Theater Magdeburg: "Die wahre Geschichte von King Kong"

Von Klaus-Peter Voigt

Eine Kammeroper mit Puppen als mächtiger Bühnenabend mit verwirrendem Handlungsgeflecht.

76 Jahre nach der Premiere des US-amerikanischen Films „King Kong und die weiße Frau“ ist der Mythos um den Riesenaffen ungebrochen. Der Tonfilm aus dem Jahre 1933 begeisterte das Publikum. Bislang ungehörte und ungesehene Ton- sowie Trickeffekte machten den Streifen zum Kassenschlager. King Kong, das Fabelwesen, ist seitdem ein Faszinosum. Neuverfilmungen entstanden ebenso wie Comics.

Nun erlebte in Magdeburg eine Kammeroper ihre Uraufführung, die sich der Geschichte aus einem völlig anderen Blickwinkel zuwendet. Nicht die irrwitzige, dramatische Geschichte rund um das Wesen vom abgelegenen Skull Island wird erzählt, sondern ein fiktives Gericht hat die Protagonisten der bekannten Geschichte um King Kong vorgeladen, will die tatsächlichen Todesumstände des Dschungelkönigs ergründen.

Jeffrey Chings Kammeroper „Die wahre Geschichte von King Kong“ ist ein Auftragswerk des Theater Magdeburg. Das Haus offeriert in zeitlichen Abständen solche zeitgenössischen Projekte. Mit dem neuen Stück entstand eine Inszenierung, die auf die Kooperation mit dem Puppentheater von Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt setzt. Dort hat Roscha A. Säidow eine künstlerische Heimat gefunden. Mit beachteten und gelungenen Inszenierungen wie “Meet me in Moskau“ oder „M-Eine Stadt sucht einen Mörder“ machte die Berlinerin, die unter anderem Regie an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ studierte, in jüngster Zeit auf sich aufmerksam. Mit King Kong setzte sie ein breitangelegtes Projekt um, schrieb das Libretto, führte Regie.

Die wahre Geschichte um den Riesenaffen erweist sich als mächtiger Bühnenabend. Sänger und Puppenspieler agieren fast ausnahmslos im Doppelpack. Während sich im Vordergrund die Akteure dem Gericht stellen, geschieht in einer Art Rückblende die Präsentation der zurückliegenden Geschichte. Eine transparente Leinwand schafft Distanz, auf ihr laufen nahezu permanent Videos ab, teilweise vorproduziert, teils als reale Livebilder der Inszenierung. Es entstehen zahlreiche Handlungsebenen, die zusammengehören, aber auch die Konzentration auf das Geschehen erschweren. Diese Mischung aus unterschiedlichen Genres hat ihren eigenen Reiz. Da sind die Kulissen im Miniaturformat, die mit Puppen bespielt werden und durch die Videokamera auf Bühnengröße „aufgeblasen“ werden. Für die Sänger entstanden – man fühlt sich an klassische Brecht-Inszenierungen erinnert – Zeugenplätze im Gerichtssaal, die Schaukästen gleichen. Julia Plickat ersann eine Bühne, die vielen Ansprüchen Raum einräumen muss, Szenen trennt und verbindet. Es prasselt ein opulentes Geflecht an Handlungen auf die Zuschauer ein. Dazu die offen im Saal agierenden Musiker der Magdeburgischen Philharmonie. Die Übersetzungen der kurzen und prägnanten englischen Texte erscheinen auf Videowänden, lassen Parallelen zu Twitter-Nachrichten aufkommen. Macht, Gier, Stolz, globale Weltprobleme und nicht zuletzt Liebe spielen eine Rolle. In riesigen Lettern erscheinen die Worte „true love“. Die Helden der Handlung ringen mit sich und mit den Beziehungen untereinander. Die Geschichte endet dramatisch, nicht immer in sich schlüssig. Für den Haupthelden King Kong, der anfangs als riesige – aus Fragmenten bestehende - tolle Puppe agiert, vollzieht sich ein Wechsel zum Menschen, der als solcher akzeptiert werden will, der die Sensation von gestern ist. Reizvoll im Höhepunkt der Handlung das synchrone Agieren der Darsteller aus Vergangenheit und Gegenwart. Es entlädt sich dabei die angestaute Spannung, man schreit seine Haltung regelrecht hinaus. 

Jeffrey Ching schuf eine moderne Musik, die schrille Töne nutzt, um dramatische Entwicklungen zu unterstreichen. Es wird jazzig, mitunter barock, aber fast ausnahmslos bohrend und aufrüttelnd, Effekte unterschiedlichster Tonsprache kommen dazu, spielen eine psychologisch eindrucksvolle Klaviatur. Das Finale will nach den grenzüberschreitenden musikalischen Stilen versöhnlich sein. Und als letzter Satz ertönt ein „Menschheit vergib“. Beim Zusammenspiel von Handlung und Musik erweckt die Fülle der Klänge den Eindruck, dass auch Ching aus dem Vollen schöpft, sich schwer einschränken kann. 

Keine leichte Kost am Magdeburger Theater. Sie regt zum Gespräch an, bringt Themen der Zeit auf ungewöhnliche Art zur Sprache. Das Wegsperren der Bestie, die als Terrorist gesehen wird, scheint nicht die Lösung zu sein. 

Premiere: 16.03.2019

REGIE Roscha A. Säidow BÜHNE Julia Plickat KOSTÜME Kerstin Schmidt PUPPENBAU Magdalena Roth DRAMATURGIE Ulrike Schröder, Anna-Maria Polke MUSIKALISCHE LEITUNG Kiril Stankow
VIDEO Roman Hagenbrock LIVE-VIDEO Anna Motzel

PUPPENSPIELER*INNEN
Leonie Euler, Anna Wiesemeier, Freda Winter, Richard Barborka, Leonhard Schubert, Claudia Luise Bose

SÄNGER*INNEN
Lauren Urquhart, Andión Fernández, Bradley Smith, James Bobby, Polly Ott, Caitlin Redding, Manfred Wulfert, Roland Fenes

DAUER: 135 Minuten 

Foto: Kirsten Nijhof

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