Die aktuelle Kritik

Naoko Tanaka: Still Lives

von Tom Mustroph

Eine Narration mit Möbeln, Büchern und anderen Objekten an den Sophiensaelen Berlin.

Naoko Tanaka ist eine Magierin mit Licht im Raum. Dies hatte sie bereits in ihrer "Schattentrilogie", bestehend aus den Werken "Die Scheinwerferin" (2011), "Absolute Helligkeit" (2012) und "Unverinnerlicht" (2015) unter Beweis gestellt. In der aktuellen Produktion "Still Lives", die am 8.2.2018 in den Berliner Sophiensaelen Premiere hatte, kommen Objekte als Erzählelemente hinzu.

Eine Landschaft der Imagination

Den Anfang macht eine riesige Plastikfolie. Mit Luft gefüllt wird sie zu einem Körper, dem gewölbten Panzer einer Schildkröte gleich, auch einem Raumschiff ähnelnd. Ein Lichtfinger gleitet über die silbrig glänzende Oberfläche. Es ist anfangs nur dieses Objekt, das erzählt. Dann tritt Tanaka auf. Sie wirft kleine Objekte, Gummibälle, wie sich später herausstellt, auf die mit Luft geblähte Folie. An den Stellen, an denen diese getroffen wird, sinkt sie zu Boden. Durch die Berührung ergeben sich Wellenmuster auf der Folie; das Meer scheint in die Sophiensaele einzudringen. Zuweilen, beim Einschlag einer größeren Menge von Objekten, nehmen die Wellen Tsunami-artige Dimensionen an.

Tanaka, wie eine Beschwörerin um und auf der Folie schreitend, öffnet mit diesen einfachen Mitteln den Wahrnehmungsapparat ihres Publikums. Sie macht ihn empfänglich für Stimmungen, Assoziationen, kleinste Veränderungen. Sie macht auch das Publikum selbst zum Objekt, indem sie mit einem einzigen Scheinwerfer die auf zwei gegenüberliegenden Seiten sitzenden Zuschauer abtastet und dabei einzelne Elemente wie bunte Jacken, Hosen oder auf Knie gestützte Gesichter aus dem Dunkel herausholt. Sogar die leergeräumte Zuschauertribüne der Sophiensaele wird zum verzauberten Objekt, wenn der Lichtfinger über die Stufen und die metallenen Geländer streift.

Später, die Folie ist längst weggezogen und hat Platz für ein spiegelndes Oval auf dem Boden gemacht, lässt Tanaka durch ihre Mit-Performerin Yoshie Shibahara einige Objekte wie Regale, einen Schreibtisch und Stühle auf die Bühne bringen. Durch eine diagonal durch den Raum gespannte Sehne werden zusätzlich kleinere Objekte wie Bücher in Tanakas Aktionsraum bewegt. Die Handlungen, die Tanaka jetzt unternimmt, werden weniger geheimnisvoll, weil zu konkret. Sie sitzt am Schreibtisch, blättert in einem Buch. Assoziationen zu bürokratischen Systemen, in denen man verloren gehen kann, entstehen, ohne dass sich die Beobachtungsschärfe etwa eines Franz Kafka einstellen mag.

Danach aber verlassen Tanaka und Shibahara wieder diese konkrete Situation. Die größeren Objekte sind mit diagonal verlaufenden Schnitten präpariert und werden demontiert. Als unregelmäßige, aus der Waagerechte gebrachte Körper werden sie nun über dem spiegelnden Oval entlanggeschoben. Hier ist noch eine Sitzfläche erkennbar, dort eine Schreibfläche, alles aber ist surreal gekippt und verbindet sich mit den eigenen Spiegelungen am Boden zu ganz neuen, nie gesehenen Konstellationen.

Tanaka und Shibahara füllen so das glänzende Oval. Sie errichten eine Landschaft der Imagination, ein neues, noch nicht bevölkertes Reich, ein vielleicht auch verlassenes. Denn an der oberen Begrenzung ist am Ende ein menschlicher Torso erkenntlich, verhüllt mit einer Kapuze. Es ist unklar, ob die Figur Überlebender ist, oder Herrscher, oder Opfer, vielleicht der Letzte seiner Art. Düsternis senkt sich schließlich über die Szenerie, vermischt Stimmungen eines Requiems mit denen einer Entdeckungsreise.

Ein Parcours für die Phantasie

Tanaka glückt mit dieser Produktion etwas sehr selten Gewordenes in den Freien Darstellenden Künsten: Sie schreit nicht, sie klagt nicht an, sie kopiert nicht wüst Realitäten. Sie schert sich auch gar nicht um ironische Haltungen oder Diskurse, die zu etablieren oder zu vermeiden wären. Sie öffnet ganz einfach nur den Imaginationsraum. Sie löst mit minimalen Manipulationen ganze Assoziationskaskaden aus und legt einen Parcours für die Phantasie an. Wenn sie dann noch auf die eingespielte Musik verzichten und die Klänge selbst oder durch einen kollaborierenden Musiker erzeugen lassen würde, könnte "Still Lives" zu einer ganz herausragenden Arbeit werden.

Auf alle Fälle demonstriert Tanaka, in welcher Zartheit Objekte im wahrsten Sinne des Wortes "animiert", mit Leben, ja mit Seele gefüllt werden können, und wie dann sogar die Räume zwischen den Objekten zu erzählen beginnen. Eine bemerkenswerte Arbeit an den Schnittflächen von Bewegungskunst, Objekttheater und Installation.

 

Premiere: 08.02.2018
Sophiensaele Berlin

Konzept, Installation, Performance Naoko Tanaka Künstlerische Mitarbeit, Performance Yoshie Shibahara Mitarbeit Realisation Objekte Thomas Lehmen, Andreas Harder Technische Beratung, SounDDesign Felix Grimm Mitarbeit Ausstattung Christopher Platz Dramaturgische Beratung Adam Czirak Produktionsleitung, PR Barbara Greiner

Eine Produktion von Naoko Tanaka in Koproduktion mit PACT Zollverein Essen, Kyoto Experiment und SOPHIENSÆLE. In Kooperation mit Luxoom Lab Berlin.

Fotos: Henryk Weiffenbach

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