Die aktuelle Kritik

Puppentheater Magdeburg: Gummienten Ahoi!

Von Klaus-Peter Voigt

28.800 Gummitiere landen 1992 unfreiwillig im Nordpazifik. Unter der Regie von Agnes Limbos nimmt sich das Theater nun dem Thema an – und sucht die menschlichen Bezüge.

Auf seiner Fahrt von Honkong in die USA verliert ein Frachter zwölf Container. Einer davon hält den stürmischen Fluten nicht stand. Sein Inhalt: Enten, Frösche, Schildkröten und Biber aus Kunststoff. Gedacht für das Planschvergnügen in Badewannen, machen die Tiere Bekanntschaft mit Salzwasser. Seenot für eine ganze Armee Spielzeugfiguren, die sich getrieben von der Meeresströmung aufmachen, die Welt zu erkunden. Sie schafften es unter anderem bis nach Neuseeland und Grönland. Forscher nutzten die Chance, auf recht unkonventionelle Weise wissenschaftlich die Wanderwege zu untersuchen.

Künstler reizte vor allem die Vorstellung, wie Gummienten in den weiten der Meere hilf- und planlos herumgetrieben wurden. Nun hat das Puppentheater Magdeburg den Stoff aufgegriffen. Für ein Spiel mit Objekten scheint das Thema prädestiniert. Agnès Limbos aus Brüssel nimmt sich ihm an. Ihr Konzept sucht menschliche Bezüge. Eine grönländische Inuk (Freda Winter) und ein Ornithologe auf Neuseeland (Florian Kräuter) agieren liebevoll, machen das Publikum mit sich und ihrem Leben bekannt. Freda Winter schlüpft in die Rolle der Eskimofrau, die sich mit einer Art Phantasiesprache auf ihre Gesten und Bewegungen als Ausdruckmittel konzentriert. Das gelingt ihr überzeugend, die Zuschauer gehen mit, haben Spaß am Erkennen der Aussagen. Für Florian Kräuter ist der leicht schrullige Professor maßgeschneidert. Mit pantomimischen Talent stellt der liebenswert die Vögel seiner Heimat vor, die Kinder im Saal gehen mit, haben Freude an den Erklärungen.

Dann passiert das schier unglaubliche. Ungezählte Gummienten landen in den kalten Fluten. Auf einer klappbaren Wand wird dem Publikum das Dilemma der unterschiedlichen Strömungen und der daraus entstehenden Reisewege auf einer Landkarte nähergebracht. Auf der Rückseite der geografischen Darstellung blaues Meer und Quietschenten ohne Ende, der unkomplizierte Perspektivenwechsel schafft Spannung. Die beiden Puppenspieler sortieren die Überlebenshelden des Stücks, lassen sie regelrecht in Reih und Glied aufmarschieren, dann wieder hilflos schnatternd den Zusammenhalt suchen. Da kommt Mitleid auf, man fühlt mit den Enten, die, getrennt von Stürmen und Meeresstrudeln, auf und davon getrieben werden.

Doch zunehmend verliert die Inszenierung dann die anfängliche Lockerheit. Es scheint, Agnès Limbos überfrachtet das Stück, will neben der eigentlichen Geschichte zu viel erzählen. Statt sich auf die Handlung und das spätere Treffen der beiden Protagonisten zu konzentrieren, kommt dem Zuschauer die Lust am Entdecken abhanden. Mit einem geografischen Exkurs durch die Länder entlang der Route der Entlein werden vor allem die jüngsten Zuschauer – das Stück ist für Menschen ab vier gedacht – sichtlich überfordert. Selbst beim Zählen der kleinen Hauptdarsteller können sie kaum mitfühlen, denn das geschieht auf Englisch. Mit „eins, zwei, drei“ wären ihnen da mehr Nähe, Spaß am Mitmachen vermittelt worden.

Das Interesse der Mädchen und Jungen erlahmt zusehends, spontane Zwischenrufe und putzmuntere Reaktionen auf das Schicksal der gelben Hauptdarsteller nehmen rasant ab. Den Erwachsenen geht es ähnlich. Sie können zwar Freiheitsstatue, Fachwerkhäuschen, Sphinx oder Leuchtturm, die entlang der Reisestrecke den Ländern positioniert werden, zuordnen, doch selbst ihnen fehlt längst die Freude an der Handlung. Da kann die abschließende Begegnung der Grönländerin und des Neuseeländers wenig ändern. Deren Zwiegespräch wirkt fade und aufgesetzt, zumal sich ganz unterschiedliche Menschen vom jeweils anderen Ende der Erde treffen. Statt fabulierend Nähe zu schaffen greift Tristesse Raum. Schade, der Gummientenarmada geht zu früh die Luft aus…

 

Uraufführung: 22.02.2020
Regie und Ausstattung: Agnès Limbos

Dramaturgie: Petra Szemacha
Sounddesign: Guillaume Istace
Spiel: Freda Winter, Florian Kräuter

Foto: Viktoria Kühne

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