Die aktuelle Kritik

Theater Chemnitz: „Frederick“

Von Thilo Sauer

„Ein Brief von Frederick“: Am Theater Chemnitz erzählt das Team um Gundula Hoffmann eine ganz eigene Version des Klassikers „Frederick“ – eine Geschichte über Sehnsucht.

Die Welt scheint doch in Schubladen zu passen – aber nur wenn man bereit ist, dafür die engen Beschränkungen des Schranks hinter sich zu lassen. Auf der Bühne des Chemnitzer Figurentheaters in der Interimsspielstätte Spinnbau sind zahlreiche alte Holzkästen, die Ausstatter Thomas Rump gesammelt hat, ordentlich in einem Rechteck angeordnet. Dazwischen bewegt sich die Spielerin Keumbyul Lim in einem schlichten, grauen Hosenanzug und scheint etwas zusammenzusuchen.

Mit den zahlreichen Fundstücken und viel Fantasie erschafft Lim eine dörfliche Idylle: Sie stellt ein kleines Häuschen auf eine Kiste voller Sand. Mit überraschend überzeugenden Tierlauten zieht sie kleine Tierfiguren aus dem Sand, die mit auf dem Hof gelebt haben. Um einen Miniaturtisch stellt sie zwei größere Stühle für die Eltern, zwei kleinere für die Geschwister und schließlich einen für sich selbst.

"Frederick" © Dieter Wuschanski

Die Erzählerin wohnt ganz oben im Haus, gleich unter dem Dach – kurzerhand stapelt Lim mehrere Kästen übereinander, um die Treppe anzudeuten. Oben drauf kommt wieder die Sandkiste mit dem Haus und dahinter stellt Lim einen Kasten, bei dem sich der Boden herausziehen lässt – durch dieses Fenster schaut sie dem Regen zu: Ein vollgesogener Schwamm, den die Spielerin an einer Schnur über einen Kasten voller Wasser und mit einer kleinen Gummiente hängt. Und in dem Zimmer unter dem Dach begegnet sie auch der Mäusefamilie von Frederick.

Das Bilderbuch „Frederick“ von Leo Lionni von 1967 ist ein beliebter Stoff für die (Figuren-)Theaterbühne geworden. Doch im Gegensatz beispielsweise zum Theater der Jungen Welt in Leipzig oder dem Puppentheater in Dessau verzichten Regisseurinnen Sophie Bartels und Gundula Hoffmann auf Mäusepuppen. Stattdessen zieht Keumbyul Lim einen grauen Fellhut, der an eine Trappermütze erinnert, aus der Hosentasche: Wenn sie die Mütze ablegt, wirkt sie tatsächlich wie eine riesige, graue Maus, und wenn Lim sie aufsetzt, wird sie mit leichtem Nasenschnüffeln selbst zur Maus.

"Frederick" © Dieter Wuschanski

Hoffmann ergänzt in ihrer Fassung die Geschichte der Mäuse noch um eine Rahmenhandlung: Das erzählende Ich zieht mit der Familie weg vom Hof in die große Stadt. Lim packt Tischchen und Stühlchen ein, faltet ein Papierboot und setzt es in den Kasten mit Wasser, den sie dann über die Bühne schiebt – über das große Meer. In der anderen Ecke stellt sie die Holzkästen hochkant und baut so eine Großstadtansicht: In einem Setzkasten erinnern beispielsweise Spielzeugautos an die vollen Straßen. Tisch und Stühle werden nun nicht mehr auf, sondern in eine aufgerichtete Kiste gestellt – die Wohnung in der großen Stadt ist etwas beengter. Darauf legt Lim ein großes rotes Kissen und darauf das kleine Stühlchen – die Erzählerin legt sich schlafen und denkt an Frederick.

Erst hier beginnt die bekannte Geschichte: Die Mäuse sammeln Vorräte für den Winter und machen Frederick Vorwürfe, weil er nicht so mitmacht, wie sie es sich vorstellen. Er sammle lieber Sonnenstrahlen und Farben. Schließlich lässt sich Lim auch vom jungen Publikum Worte geben, die nach erstem Zögern auch darauf einsteigen. Dann kommt der Winter in Form von weißen Federn aus einer Holzschublade. Die Spielerin trägt die graue Mütze und mimt die ganze frierende Mäusefamilie. Das ist der Einsatz von Frederick: Mit einem gekonnten Griff leuchtet ein Kasten auf. Aus einer hölzernen Kaffeemühle zaubert sie buntes Konfetti. Das Gedicht über die Jahreszeiten schickt Frederick dann als Brief zum Kind in der großen Stadt.

Die Inszenierung am Chemnitzer Theater lebt von dem Bühnenzauber, mit alten Holzkisten und Spielzeug eine ganze Welt voller Details zu erschaffen. Und Keumbyul Lim beherrscht diese Magie wunderbar. Leider wird die ursprüngliche Geschichte in dieser Fassung zu stark verwässert: „Frederick“ erzählt von der Macht der Kunst und den Worten, dass Arbeit ganz unterschiedlich, aber immer wertvoll sein kann. Diese Botschaft wird in Chemnitz so kurz abgehandelt, dass sie sich kaum entfalten kann. Sie wird auch nicht durch eine andere Bedeutung stimmig ersetzt. Am Ende bleibt höchstens das wohlige Gefühl, dass die Welt nicht so groß sein könnte, dass sie nicht mit etwas Fantasie in einen rustikalen Holzkasten passen würde.

Nächste Vorstellungen: 26. September, 3. Oktober, 9. Oktober, 18. Oktober, 27. November

Altersempfehlung: ab 4 Jahre

Idee/Fassung: Gundula Hoffmann

Regie: Sophie Bartels, Gundula Hoffmann

Spiel: Keumbyul Lim

Fotos: Dieter Wuschanski

Dauer: 45-50 Minuten

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