Die aktuelle Kritik

Paradeiser Productions, Köln: "Die magische Care:Maschine"

Von Laura Becker

In der Alten Feuerwache Köln zeigen Paradeiser Productions ihren neuesten Theaterabend: Ein „supersubjektives Musiktheater“, in dem es um die Liebe zu Objekten gehen soll.

 

„Die magische Care:Maschine“ –  ein vielversprechender Titel, der im Vorfeld genügend Raum für Assoziationen liefert: Spätestens seit die Coronakrise noch einmal stärker die Problematik  der Vereinbarkeit von Familie und Beruf offengelegt hat, ist Carearbeit ein viel diskutiertes und wichtiges Thema. Immer noch wird die Verantwortung für diese meist beim weiblich gelesenen Teil der Gesellschaft verortet. Der Begriff CareARBEIT verdeutlicht, dass kein Kümmern nebenbei passiert. Im Gegenteil: Caretätigkeiten sind anspruchsvoll, zeitintensiv und zentral für die Reproduktion der Gesellschaft, sodass sie Anerkennung verdienen und mit beruflichen Tätigkeiten gleichzusetzen sind.

Der Beschreibungstext der Produktion verrät, dass es an diesem Abend um die Beziehung der Menschen zu Objekten geht und um die konkrete Frage: „Sind Beziehungen zu Objekten auch Liebe?“. Die Arbeit basiert auf dem Buch „Alles ist beseelt“ von Ashley Curtis, in dem der amerikanische Philosoph für Animismus argumentiert, also für die Auffassung, dass auch unbelebte Wesen eine Seele besitzen. Ein Abend über Carearbeit und auch über die Liebe zu Objekten?

Vor Vorstellungsbeginn ist das Publikum eingeladen, das sogenannte Orakel zu besuchen. Verkörpert von Regisseurin Ruth Schultz, fordert es das Publikum auf, eine persönliche Frage zu formulieren und mit dieser in den Theaterabend zu gehen. Das Stück liefere Antworten auf alles – so das Versprechen. Jede:r zieht aus dem Plüschrucksack in Bärenform einen Papierschnipsel mit einem Stückzitat – zur besseren Orientierung, an welcher Stelle die Antwort im Stück lauert.

Schließlich geht es in den Zuschauer:innenraum der Alten Feuerwache und die Vorstellung beginnt. Mittig auf der Bühne sitzt Tänzerin und Performerin Katharina Sim in einem Sessel. Bis auf den Tisch von Livemusiker Kai Niggemann auf der linken Seite ist der restliche Bühnenraum leer. Lediglich vorne auf bunten Teppichen ausgebreitet liegen verschiedene Objekte: ein Staubsauger-Roboter, eine Fahne mit buntem Space-Muster, mehrere Instrumente, ein Plattenspieler, ein Bärenkopf und andere Dinge. Wie Li Kemme mit Bärenkopf (als Care-Bär?) erklärt, besteht der Abend aus drei Teilen.

Im ersten Teil widmet sich das Ensemble dem Thema Care: Tänzerin Katharina Sim erklärt in einem persönlichen Monolog, wie gut sie einen Spagat kann – und dass sie diesen auch ständig macht, zwischen zwei Welten. Dabei trifft sie einen direkten Ton, das Bild von der Tänzerin im Spagat zwischen Beruf und Familie ist stark. Li Kemme stellt die magische Care:Maschine vor: Pantomimisch schafft er:sie ein Monstrum im Bühnenraum und erklärt dessen drei Module Herz, Augen und Feuer. Großzügig sei die Maschine im Geben und Nehmen, allerdings gebe sie immer ein bisschen mehr, als sie bekomme. Dafür nimmt er:sie sich einige der Objekte zur Hilfe, während sich der Plattenspieler stumm dreht. Auch hier wird mit der Care-„Maschine“ als entmenschlichtes Etwas ohne eigene Bedürfnisse eine Metapher gefunden, die von Li Kemme überzeugend performt wird.

Im zweiten Teil des Abends steht der Text von der ukrainischen Autorin Julia Gonchar im Mittelpunkt. Es geht um eine ukrainische Autorin, die mit einem Dokumentarfilm-Team nach Amerika reisen darf und schlussendlich, weil sie einen Joint raucht, Amerika verlassen muss. Der vielversprechend gestartete Abend gerät hier ins Stocken. Statisch stehen die Performer:innen hinter ihren Mikrofonen und lesen den Text vor. Auch der von Kai Niggemann geleitete Geräuschchor „HeartChor“, welcher die Lesung unterhaltsam mit Sounds illustriert, kann das nicht verhindern. Den dritten Teil bildet schlussendlich die Einladung in den Innenhof der Feuerwache, wo das Publikum zur gemeinsamen Diskussion mit dem Ensemble geladen ist.

So endet „Die magische Care:Maschine“ und hinterlässt große Fragezeichen. Nicht nur die im Vorfeld beim Orakel ausgedachte Frage bleibt unbeantwortet. Unklar ist auch, warum die Hälfte der Objekte auf der Bühne ungenutzt bleibt. Wozu die Verschränkung von Carearbeit und Animismus mit dem Text der ukrainischen Autorin? Jedes der Motive für sich ist spannend und aktuell, allerdings wäre eine Fokussierung auf eines dem Abend zuträglicher gewesen.

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Die Magische Care:Maschine. Supersubjektives Musiktheater von Paradeiser Productions.

Premiere: 18.10.2022

Weitere Vorstellungstermine im Februar 2023 über www.paradeiserproductions.com/tickets.

Regie: Sandra Reitmayer & Ruth Schultz

Text: Julia Gonchar & Ensemble

Komposition: Kai Niggemann

Ukrainische Übersetzung: Iryna Kalyniuk

Bühne & Kostüme: Dena Heydari

Choreografie: Katharina Sim

Fotos: Katharina Kemme

Mit Li Kemme, Kai Niggemann, Katharina Sim und dem Paradeiser Geräuschchor

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