Die aktuelle Kritik

Theater Junge Generation Dresden: „Ecotone“

Von Andreas Herrmann

In der Uraufführung versucht Ariel Doron visuelle Übersetzungen für Fremdheit und Kommunikation zu finden.

Nobel-Handke lässt rasch grüßen: „Publikumsbetäubung“ denkt man, während eine Art rhythmisches Geräusch (Sounddesign: Moritz Schwerin) die Landung von vermeintlich Außerirdischen in purer, lauter Monotonie ankündigt. Für die stehenden Besucherinnen und Besucher im leeren, schwarzen, nahezu quadratischen Raum ist eigens zum Schutz ein Sperrband gespannt, das die Gefahrenzone abtrennt.

Einst stand zur Uraufführung von „Ecotone“ im Dresdner Theater Junge Generation „Schauspiel und Puppentheater ab 14“ im Spielplan, nun heißt die quasi nonverbale Uraufführung im Untertitel „eine theatrale Installation von Ariel Doron“. Dessen Biografie, so sein Studium des Figurenspiels an der School of Visual Theatre Jerusalem sowie des Filmens an der Uni Tel Aviv, und sein Ansatz als verstörender Friedensbotschafter, der Kriegspraxis und Gewalt sehr genau anprangert, sah man schon in seinem ewig aktuellen „Plastic Heroes“, mit dem er den steten Spielzeugkrieg in abendländischen Kinderzimmern für Erwachsene pädagogisch wertvoll persifliert.

 

Erkundungen

Hinter dem Sperrband liegt diagonal ausgestreckt eine große weiße Stoffhülle leer auf dem Boden. Nun wird diese mit brummendem Getöse in epischer Dauer aufgeblasen. Und siehe da: Es ist ein großer eckiger Quader, der irgendwann schwebt.

Nach zehn Minuten steigt der Cheferkunder aus – wesentlich lahmer als im Ami-Epos von der Mondlandung und auch ohne im Weltraumwind flatternde Fahne. Rund 20 Minuten später hat er das Publikum soweit erkundet, dass er zurück kann, um seine vier Kameraden nach vorn zu holen. Bis dahin war offenbar Schnupperphase.

Das Quintett – sehr phantasievolle Gestalten in Weiß und Silber, von Anni Josephine Enders bis auf die Atemschlitze luftdicht geschneidert und möglichst weit weg vom Bekannten – tapst nun auf das Publikum zu und erkundet dieses in Einzelbeschnupperung, vielleicht auch heimlich interagierend. Doch dass in diesen Wesen keine künstliche Intelligenz in Form von Saug- oder Blasrobotern steckt, sondern echte Menschen (plus Kompressoren und Akkus), die wie wahre Kosmonauten sowohl in ihrem Bewegungsdrang als auch in ihren Artikulationsmöglichkeiten arg ausgebremst sind, wird rasch klar.

 

Irdische Verstörung, außerirdische Ratlosigkeit

In der zweiten Hälfte wird das Ganze zu einer Art interaktivem Workshop, bei dem die Wahrnehmung der Begegnung davon abhängt, wie man sich zuvor platziert hat – denn die Gestalten suchen sich ihre Erkundungsreviere. Stehende sind beim Ausweichen klar im Vorteil. Eine Kommunikation mit den nunmehr parallel agierenden Wesen ist dabei ebenso schwierig wie körperliche Rituale – intergalaktische Kommunikation, das ist hier offenbar, gestaltet sich noch weit schwieriger als transkulturelle ...

Dann der Höhepunkt: Ein Sportschuh und eine Frau werden nacheinander spielerisch durchaus elegant gekapert. Das geschieht alles parallel, so dass jeder seine eigene Wahrnehmung bekommt. Ein paar Mutige, die den vermeintlichen Aufruf zur Interaktion verkennen und das Hinterteil des Raumschiffskokons zu erkunden suchen, werden zurückgeschickt. Sonst passiert: nichts.

So bleibt, vermutlich artgerecht, gegenseitige Ratlosigkeit zurück, zumal Regisseur Ariel Doron konsequenterweise auf Auflösung verzichtet: Die beiden Beutestücke, also Frau und Schuh, tauchen kurz vor Ende en passant wieder auf, aber die fünf Spieler, die hier nicht auf ihre Talente oder Ausbildung rekurrieren brauchen, bleiben zum zaghaften Applaus anonym verschwunden.

Sind wohl einfach ab- oder weitergereist. Und auch in Dresden sind nach den drei aufwändigen Vorstellungen am Premierenwochenende weitere Landungen bislang nicht in Spielplansicht. Hier, zur Neueröffnung im ehemaligen Kohlekraftwerk Mitte vor drei Jahren, präsentierte Doron „Besuchszeit vorbei“ und schlachtete das obsolete TJG-Puppendepot nahezu komplett, um Willkür und Brutalität der Todesstrafe zu illustrieren. Auch damals waren die fünf Henker alle anonym.

Nun geht es zwar (jenseits der Töne) weit friedlicher bis entschleunigt, aber auch unterkomplex zu: eine Performance, die ob der Einzigartigkeit sicher als hochambitioniertes und technisch wie energetisch sehr anspruchsvolles Objekttheater im Gedächtnis bleibt. Sich ob der obskuren Situation aber auf spontane Publikumsreaktionen zu verlassen, damit überhaupt etwas Spannung entsteht, erscheint dürftig. Ratlosen hilft mangels Programmheft vielleicht die theaterpädagogische Anleitung namens „Zündstoff“, in der auf transkulturelle Kommunikation abgehoben wird – mittels drei Spielübungen sowie einem Exo-Soziologen-Interview. Als Fazit bleibt ein Trost: Theaterspielen und Musikgefühl hat die Menschheit diesen Außerirdischen womöglich immerhin noch voraus.

 

Regie: Ariel Doron

Objekte & Kostüme: Anni Josephine Enders

Es spielen: Jemima Milano, Moritz Schwerin, Uwe Steinbach, Alina Weber, Florian Thongsap Welsch

Altersempfehlung: ab 14 Jahre

Netzinfos: www.tjg-dresden.de

 
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