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Holzwurm Theater / Hamburger Puppentheater: „Amy, Tarik und das Herz Emoji“

Von Falk Schreiber

Kinder, die entweder zu cool sind oder zu unsicher, um irgendwas zu machen: „Amy, Tarik und das Herz Emoji“ ist eine zu Herzen gehende Geschichte über Privatheit und Grenzüberschreitungen in Zeiten von Social Media. Und ein klug konstruierter Grenzgang zwischen Puppentheater und virtueller Realität.

Vorsicht, Internet: Zwischen Amy und Tarik entwickelt sich auf WhatsApp eine zarte Romanze, und weil Amy glücklich ist, schickt sie einer Freundin einen Screenshot des Chats. „Aber nicht weitersagen …“ Klappt natürlich nicht: In Windeseile landet das Bild im Netz. Und dazu eine Fotomontage, auf der Tarik einen Fußball gegen den Schädel gedonnert bekommt. Weil es witzig ist. Ist es ja tatsächlich, obwohl: Tarik findet es nicht besonders witzig. Nur wird der nicht gefragt. Er wird auch nicht gefragt, als man ihn unter der Dusche filmt. Überhaupt wird hier ständig gefilmt und gepostet, überhaupt werden ständig Grenzen überschritten, und niemand fragt, ob das okay ist.

Als Moral ist „Vorsicht, Internet!“ natürlich billig zu haben. Aber weil Jens Heidtmann und Petra Erlemann vom Winsener Holzwurm Theater diese Moral mit norddeutsch-trockenem Charme auf die Bühne des Hamburger Puppentheaters bringen, funktioniert das Stück „Amy, Tarik und das Herz Emoji“ für ein Publikum ab neun Jahren. Darsteller Heidtmann tut gar nicht so, als ob er den Blick eines Jugendlichen einnehmen könne, sondern erzählt von Anfang an aus der Perspektive eines Erwachsenen, der nicht immer eindeutig versteht, was in der Klasse 5b abgeht, aber dafür Empathie für das Leiden junger Menschen aufbringt. Die Jugendlichen selbst sind derweil von Irena Naußed weitgehend starre, naturalistisch gestaltete Puppen, die Heidtmann über die Bühne schiebt.

Ja, die Puppen werden geschoben, nicht animiert: Das Höchste an Bewegung ist ein Drehen des Kopfes oder ein Heben des Armes, an dem ein Smartphone hängt. Allerdings fehlt einem das ausgefeilte Spiel auch nicht: Dargestellt werden dünne, stumme, ratlose Wesen aus dem Heute, Kids mit Dreadlocks und Hoodie, wie sie ja tatsächlich meist still auf dem Schulhof rumhängen, den Blick auf den Bildschirm geheftet. Kids, die entweder zu cool sind oder zu unsicher, um irgendwas zu machen.

Folgerichtig verschiebt „Amy, Tarik und das Herz Emoji“ einen Großteil der Aktion ins Virtuelle. Die Videos von Hannah Lowitz und Henrik Knüppel dokumentieren Chatverläufe, GIFs, Likes, am Ende, als die eskalierende Demütigungsschraube sich ein neues, überraschendes Opfer sucht, formieren sich die Visuals zu einer Phalanx aus anklagenden Thumbs-up-Emojis. Das ist so beunruhigend wie klug konstruiert, mit Gespür für die ästhetischen Besonderheiten der virtuellen Realität, und dass die Bühnenbeleuchtung an einer Stelle ausschließlich aus kalt leuchtenden Smartphone-Bildschirmen besteht, zeigt, wie genau dieses spröde Theater seine sparsamen Mittel einzusetzen weiß.

Allerdings entwickelt „Amy, Tarik und das Herz Emoji“ so manchmal eine Sprödigkeit, die die Identifikation mit den Figuren wenn nicht verunmöglicht so doch zumindest erschwert. Da rettet Heidtmanns Performance die Inszenierung vor dem Ästhetizismus: Der Schau- und Puppenspieler bleibt explizit Mensch. Ein Mensch, der sieht, dass hier etwas Übles vor sich geht, und der keine Lösung weiß, aber warnen kann. Gleich zu Beginn hält Heidtmann sein Telefon hoch, zeigt das zersplitterte Display: „Ich weiß, das sollte man reparieren lassen.“ Aber er will es nicht in die Werkstatt bringen, weil er Angst hat, dass der Techniker die Festplatte durchsuchen könnte, „so ein Smartphone ist doch irgendwie privat.“

Der Erwachsene weiß, dass Privatheit als Konzept ausgedient hat, aber er plädiert für Augenmaß, für Menschlichkeit. Vorsicht, Internet – ja, klar, man kommt nicht daran vorbei, sich mit dem Medium auseinanderzusetzen. Aber man sollte zumindest darüber nachdenken, wie man das macht. Von solch einem Erwachsenen nimmt man diesen Rat sogar an.

 

Amy, Tarik und das Herz Emoji

von Jens Heidtmann, Petra Erlemann

Regie: Kristiane Balsevicius, Petra Erlemann

Spiel: Jens Heidtmann

Figurenbau und Illustration: Irena Naußed

Bühnenbau: Jens Heidtmann

Musik und Ton: Karl F. Parnow-Kloth

Printmedien und Videoprojektion: Hannah Lowitz, Henrik Knüppel

https://hamburgerpuppentheater.de
Foto: Holzwurmtheaters Jens Heidtmann

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