Die aktuelle Kritik

Puppentheater Magdeburg: "Der Mann, der eine Blume sein wollte"

Von Tobias Prüwer

Von der Pflanzwerdung: Der Bilderreigen über die Selbstfindung eines Menschen berührt zutiefst.

Kelle heben, grünes Signal zeigen, pfeifen und ab geht der Postzug. Dann kommt ein Päuschen mit Stullen-Essen, dann wieder ein Zug usw. – ganz dem Fahrplan folgend. Zufrieden ist der namenlose Bahnwärter schon, das sieht man seinem rhythmischen Wippen in den Knien und gemütlichem Tun an der Bahnsteigkante an. Aber richtig glücklich ist er nicht, wie seine floralen Traumgestalten verraten. Zum Glück lässt Regisseur Leonhard Schubert den „Mann, der eine Blume sein wollte“ zu sich selbst kommen.

Die Bühnenversion enthält Elemente des gleichnamigen Kinderbuches, allerdings  komprimiert sie den Stoff. Metamorphose und Ichwerdung, Selbst- und Fremdbild, Wunsch und Wirklichkeit bilden die Hintergrundthemen dieser fantastisch gearbeiteten und in jeder Hinsicht stimmigen Inszenierung. Handwerklich ist großartige Figurenführung zu erleben. Die Bühne bildet ein langer Quersteg, Raumtiefe wird nicht genutzt. Rechts wird sie zum Bahngleis, wobei eine Bank als Andeutung ausreicht. Links machen sie ein Sessel, Bett und Topfpflanze zum Zuhause unseres Protagonisten. Ein Vorhang, der hin und hergeschoben wird, schafft reibungslose szenische Übergänge.

Die kleinen Gliederpuppen – sie stammen von den erfahrenen Puppenbauern Barbara und Günter Weinhold und lassen sich augenscheinlich wunderbar spielen – werden von zwei bis drei Spielenden animiert und über die rampenartige Bühne bewegt. Dabei gelingt es Linda Mattern, Anna Wiesemeier und Richard Barborka noch in die kleinsten Bewegungen Lebensnähe einzuhauchen. Da sitzt jedes Streicheln der Hand, jeder Hüftschwung und Wink. In fast magischem Realismus kämpft der Bahner mit einem vom Winde verwehten Blatt, mit federnden Schritten geht er in den Feierabend. Hinreißend ist seine Balletteinlage. Das Innenleben dieses kleinen Mannes wird so detailliert und verständlich nach außen gebracht.

"Der Mann, der eine Blume sein wollte" © Viktoria Kühne

Neben den Bewegungen wird die Inszenierung von der Musik getragen – kein einziges Wort wird gewechselt. Den Alltag etwa bestimmt thematisch eine Art moderne Filmmusik mit mechanischen Elementen, fast psychedelische Traummotive werden zu einer elektronischen „Sunny“-Interpretation zusammengesetzt. Den wenigen Störgeräuschen der jungen Zuschauenden nach zu urteilen – die Produktion ist für Menschen ab vier Jahren geeignet – funktioniert das auch bei ihnen. Das liegt wohl mitunter an der Konzentration auf wesentliche Elemente wie der reduzierten Ausstattung oder einer über den Köpfen hängenden übergroßen Uhr, die das Tempo anzeigt. Zu Beginn der Inszenierung drehen sich die Zeiger entgegen dem Uhrzeigersinn. Die Zeit wird zurückgedreht in den Geschichtenmodus: Es war einmal. In einer anderen Szene rast die Uhr und die Spielenden bewegen ihren Blumenmann in einem verblüffenden Zeitraffer.

Die Produktion ist hoch verdichtet, wie ein kaleidoskopischer Reigen ziehen die fünfzig bunten Minuten vorbei. Der Protagonist wird zwar mal kurz für seine Vorliebe, Blüten zu tragen, verlacht, dann findet er aber auch schon Gesellschaft unter Blumenkindern und anderen. Und niemanden stört es, dass er ein klein bisschen anders ist. Die einfache Botschaft ist hier poetisch verpackt und kann für viele Rollen oder soziale Konventionen stehen, die jemand überschreiten möchte. Die Inszenierung kann daher Ermutigung sein, eigene Schritte zu gehen, aber vielmehr noch dazu, Menschen einfach Menschen sein zu lassen. Und das kommt in einem so schönen Gewand daher, dass man die Botschaft verstehen muss, um von dieser Pflanzwerdung tief berührt zu werden.

 

Der Mann, der eine Blume sein wollte

von Anja Tuckermann, Mehrdad Zaeri und Uli Krappen für Menschen ab 4

PREMIERE 26.02.2022

REGIE Leonhard Schubert

AUSSTATTUNG Jonathan Gentilhomme

PUPPEN Barbara und Günter Weinhold

DRAMATURGIE Sofie Neu

SPIEL Linda Mattern, Anna Wiesemeier, Richard Barborka

FOTOS Viktoria Kühne

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