Die aktuelle Kritik

Agencia El Solar & Schaubude Berlin: "Was Bleibt"

von Tom Mustroph

Das Projekt "Was Bleibt" legt in Zusammenarbeit mit der Berliner Schaubude ein Online-Archiv von DDR-Alltagsobjekten und den damit verknüpften Geschichten an. Es ist handelt sich um den Covid-19-bedingten digitalen Ableger einer ursprünglich als Objekttheater konzipierten Produktion der Gruppe Agencia El Solar.

Die Agentur der Objektdetektive El Solar verlagert ihre Erkundung von Objekten und Geschichten aus der einstigen DDR von einer physischen Raumsituation auf die Website wasbleibt-schaubude.com. Vor zwei Jahren bereits hatte die Gruppe von Theaterkünstler*innen aus Spanien, Mexiko und Deutschland in einen Weinsalon in Berlin-Friedrichshain eingeladen und Kaffeekannen, Modelleisenbahnen und Nussknacker aus volkseigener Produktion zu Auslösern von Geschichten gemacht. Es lief damals unter dem Titel "Tagebuch zwischen den Zeilen". Mit dem Griff zu Alltagsgegenständen gelang es der Gruppe, den eingefahrenen Narrationswegen über die DDR - die sich gern auf die Komplexe Stasi, FKK und die Laube als Nische beschränken - zu entgehen.

Das Potential dieser Objekt bezogenen Recherchetätigkeit deutete sich bereits damals an, als einzelne Zuschauer*innen nicht nur "Ahs" und "Ohs" des Erstaunens beim Auftauchen einzelner Gegenstände ausstießen, sondern auch bemerkten: "Das hatte ich damals auch" oder "Meine Eltern haben das immer noch im Schrank." Die Zuschauer*innen wollten reden, manche sogar während der Vorstellung. Und nicht selten dauerte das Gespräch danach noch länger als die Aufführung zuvor.

Diese dort angelegten Erzählfaden wollte El Solar in dem Folgeprojekt zu einem regelrechten Gewebe knüpfen. "Wir hatten geplant, mit dem Projekt in verschiedene Begegnungsstätten in Berlin zu gehen. Dann aber kam Corona", berichtet die Schauspielerin Anya Deubel, die während des ersten Projekts vor allem als Übersetzerin und Vermittlerin agierte, jetzt aber zentral für das Folgeprojekt ist. Wegen der Einschränkungen durch die Pandemie wurde die Premiere der Theateraufführung zwar abgesagt. Die Recherche lief dennoch weiter. Und Präsentationsplattform ist die Website. "Wir besuchen jetzt einzelne Menschen, führen Interviews und verarbeiten die Geschichten und die Objekte in Videosequenzen", sagt Deubel.

Das erste Video ist seit dem 20. April online. Erzählerin ist Silvia Brendenal, frühere Intendantin der Schaubude. Während die von innen erleuchteten Waggons einer Modelleisenbahn durch die dunkle Nacht fahren, erinnert Brendenal sich an ihre alte Wohnung in Nähe der Mauer, die einen sogenannten "Winkbalkon" hatte. "Immer, wenn jemand die DDR verlassen konnte, einen Ausreiseantrag hatte, und den hatten ja viele in der Theater- und Kulturszene laufen, dann kamen ihre Freunde und Angehörigen zu uns, denn sie konnten von hier aus winken, während die anderen drüben auf dem Westbahnsteig standen", erzählt Brendenal. Niemand, weder die Winkenden auf dem Balkon, noch die, die auf dem Bahnsteig in Richtung Aufnahmelager standen, wussten damals, ob sie sich je wiedersehen würden.

Ihren alten Balkon kann Brendenal nur verbal in diese Objekte- und Geschichtensammlung einfügen. Ihre alte Schreibmaschine der Marke "Olympia", auf der sie ihre Texte für "Theater der Zeit" schrieb, bevor auch dort das Computerzeitalter Einzug nahm, hat sie aber behalten. Bilder der Schreibmaschine sind nun auf die Website geladen, wie auch ein Foto von Michail Bulgakows "Der Meister und Margarita" - diesem düster-phantastischen Moskauroman, der einen auch in ummauerten Zeiten zumindest in Gedanken ganz weit weg fliegen ließ.

"Jede Woche planen wir, eine neue Videogeschichte online zu stellen", sagt Deubel. Material für knapp ein Dutzend Geschichten hat sie bereits. Sie will aber mehr, denn eigentlich ist das Archiv unendlich. Deubel will auch, dass Geschichten und Objekte aufeinander reagieren. Wer Interesse hat, kann Fotos und Geschichten auf die Website hochladen. "Es können sich aber auch Menschen bei mir melden und wir besuchen sie dann", meint Deubel. Mit der Online-Version hofft sie, insgesamt sogar mehr Menschen zu erreichen als mit den Theatervorstellungen. Es wird, so erzählt sie Fidena, auch korrespondierende Blicke aus dem Westen geben. Und auch die Sicht von einstigen Vertragsarbeiter*innen wird über einzelne Objekte und Erzählerfiguren eingebracht.

Beim ersten Video konzentriert sich der Kamerablick stark auf die Objekte, umkreist sie, macht sie groß und präsent. Und durch die melancholische Stimmlage der Erzählerin eröffnet sich ein Assoziationsraum, der sich tatsächlich bis in die vergangenen und versunkenen Zeiten ausdehnt. "Was bleibt" könnte auch über Covid-19-Zeiten hinaus Bestand haben, als Online-Archiv, aber auch als inszenierungsbegleitende Installation.

Tom Mustroph

2 Kommentare
dfp
06.10.2020

"Was bringts, hier zu schreiben? Liest das einer?"

Lieber Peter Waschinsky, vielen Dank für Ihre Anmerkung. Die "Aktuelle Kritik" hier auf dem Portal erfreut sich einer großen Leserschaft: Die Rubrik hat in diesem Jahr bisher bereits 1764 Seitenzugriffe (Stand: 05.10.2020). Von daher können wir Ihre Frage mit "ja" beantworten.

Besten Gruß, Pascal vom dfp
Peter Waschinsky
05.10.2020

Was bleibt

Was bringts, hier zu schreiben? Liest das einer?
Das ObjektTHEATERprojekt, das statt WAS BLEIBT eigentlich vorgesehen war, würde ich gerne sehen.

Auch ich habe mich an der nunmehrigen virtuellen Ausstellung beteiligt: Mit 2 erhaltenen Requisiten... äh Objekten aus dem Puppenspiel "Regenwürmer", das 1976 von einer DDR-Jury gnadenlos abgewertet wurde und wenig später längere Zeit das international erfolgreichste DDR-Puppenspiel wurde, nicht nur im Ostblock. Einen Teil daraus jetzt noch einmal zu spielen - als Wiedervereinigungsbeitrag und als Erinnerung, daß Ostdeutschland im Weltpuppenspiel mal weit vorne stand - wurde mir nun von der Schaubude verwehrt. Und der Bericht darüber, also die Fortsetzung dieser Teilungs-Geschichte in der Gegenwart, wurde in "Was bleibt" freundlich gestrichen.

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