Die aktuelle Kritik

Theater der Jungen Welt Leipzig: „Der futurologische Kongress“

von Andreas Herrmann

Christian Georg Fuchs verortet Stanislaw Lems 1971 erschienene Geschichte im Hier und Heute.

 

Foto: Tom Schulze

 

 

Lang lebe die Chemokratie

Es beginnt mit einer langen Liveschalte: Eine kesse Blondine (Alicja Rosinski) interviewt als öffentlich-rechtliche Plapperschlange für den MDR-Spartensender „Future TV“ den berühmten Raumfahrer Ijon Tichy (Dirk Baum), der im Hilton-Hotel von Nounas, Hauptstadt von Costricana, einer vakanten Militärdiktatur, den 8. Futurologischen Kongress beobachtet. Doch dort herrscht Bürgerkrieg, die Rebellen greifen an, das Hotel wird beschossen und plötzlich findet sich Tichy gemeinsam mit einem Leipziger Professor (Wilfried Reachi), der gut und gern an Militärforschung und für Geheimdienste arbeitet, 200 Meter unter der Erde in der Kanalisation.

 

Was ihm sofort klar wird: Rebellen oder Regierung setzen halluzinogenen Gutstoffe, sogenannte „Begnitoren“ ein, die dreimal die mögliche Flucht per aus Landshut ferngesteuerter Rettungsdrohne vorgauckelt. Beim dritten Mal trifft Tichy auf tadschikische Rebellen, die ihn, der glaubt, er sei im Traum, dahin meucheln. Weil ihm nicht mehr zu helfen ist, kommt er ins „Revitarium“. Hier wird der Held, so wie alle hoffnungslosen Fälle guter Menschen, deren Leben zu erhalten lohnt, in Stickstoff eingefroren, bis die menschliche Medizin einmal so weit sein wird, ihm helfen zu können.
Eine nette Lehrerin, die aussieht wie die Reporterin, erzählt ihm danach alles über das Glück seines neuen Lebens, hier im New York des Jahres 2079 – wo alle Sinne durch chemische Dosen auf nützliche Weltwahrnehmung eingestellt werden: die Chemokratie macht die ganze Welt friedlich und zufrieden. Doch Tichy, nun wieder ganz bei Sinnen und er selbst, kommt hinter das Geheimnis und zeigt das Dilemma: akzeptieren oder kämpfen, also besser oder schlechter verrecken.

 Stanislaw Lem – mit dem doppelten IQ eines jeden Politbüromitglieds einst als schlauster Mensch in Südpolen bekannt, war im Osten Deutschlands noch populärer als Jules Verne oder John Ronald Reuel Tolkien und intellektuell gerissener als die gemeinen Dystopie-Experten Orwell oder Huxley – hält seinen Helden redlich die Treue. Er stellt deren Wirken generell unter den Scheffel des Humanismus, sein Tichy musste viele Abenteuer bestehen, die er mit Geist statt Gewalt löste.

 Der „Kongress“ erschien 1971, zehn Jahre nach dem Welterfolg von „Solaris“. Also verortet Christian Georg Fuchs das Geschehen seiner Fassung im Hier und Heute, spielt mit Jargon und Lokalkolorit – und versetzt auch das Aufwachen im Revitarium vierzig Jahre später als im Original an. Der Regisseur Fuchs arbeitet jeweils mit drei Formen der Figuren: meist mit breiten Maulklappenpuppen, aber auch mit Handpuppen und den Akteuren selbst. Anders als zu oft im Schauspiel erlebt, lenkt hier das Mittel die Liveübertragung auf zwei Bildschirme nicht vom Geschehen ab, sondern macht es weiter. Als Bühne dient dem Ausstatter Fuchs nur eine helle, dreiteilige Verkleidung mit zwei bildschirmgroßen Ausschnitten, die bei Bedarf schnell abgebaut wird. Das funktioniert trotz der Komplexität alles reibungslos bis elegant, die 80 Minuten vergehen rasanter als im Weltraumfluge.

Das Stück, versehen mit dem Zusatz ab 16 und älter, entstand in einer Kooperation mit der Leipziger Moritzbastei, dem wohl bekanntesten und größten Studentenklub und heute immer noch ein Hort zivilisierter Jugendkultur, und wird zumeist dort als Abendprogramm aufgeführt. Dessen Gewölbekeller legte in ihrer Leipziger Studenten- und FDJ-Zeit angeblich eine gewisse Angela Merkel mit frei. Diese ist nun zwar Physikerin, aber ähnliche Wundermittel täten heute not, um die kommenden Probleme zu lösen.

Das Dresdner Publikum konnte den 80-minütigen Parforceritt gen ambivalente Zukunft, der in einer wunderbaren Pointe der Synchronisation von Spielern und Puppen mündet, aufgrund einer schönen Idee im Rahmen des 5. Sächsischen Puppentheatertreffens sehen. Dessen Auswahlmodus, bei dem sich die künstlerische Leitung einer Sparte – jeweils genau begründet – ein Stück eines anderen Hauses wünscht, sorgt für mehr Qualität als jedweder Jury- oder Selbstentscheid. Gastgeberin Ania Michaelis vom Theater Junge Generation hat sich eigens diese Inszenierung gewünscht.

Das Theater der Jungen Welt wird in zwei Jahren erstmalig selbst Gastgeber des sechsten sächsischen Branchentreffs. Dann soll auf Wunsch aller Teilnehmer die neu gegründete Figurenabteilung der Landesbühnen Sachsen mit Sitz in Radebeul – derzeit als Ein-Mann-Betrieb die kleinste Sparte der Welt – als sechste öffentlich-rechtliche Puppenbühne des Freistaates teilnehmen.

 

Premiere: 23. Oktober 2014

 

Theater der Jungen Welt Leipzig

nach Stanislaw Lem / in einer Fassung von Christian Georg Fuchs

Regie und Ausstattung: Christian Georg Fuchs

Puppenbau: Peter Lutz

Es spielen: Alicja Rosinski, Dirk Baum und Wilfried Reach

0 Kommentare

Neuer Kommentar