Die aktuelle Kritik

El Cuco Projekt, Köln: "Captcha"

Von Dorothea Marcus

Natur oder Kunst: Fledermäuse werden trotz Artensterben vermutlich die Menschheit überleben. Sie gelten als hochintelligent, leben in komplexen sozialen Systemen und haben ohnehin auf dem Kopf hängend eine völlig andere Perspektive als andere Wesen.

Diesen Grundgedanken hat die neue Performance des Kölner Kollektivs El Cuco Projekt (Sonia Franken und Gonzalo Barahona), das sich schon seit Gründung (2015) mit den seltsamen Verbindungen von Mensch und Tier, Technik und Natur beschäftigt – bzw. dem, was Menschen in diese Verbindungen so hineinprojizieren. Stets tragen die Performer*innen dabei täuschend echt wirkende Tiermasken, meist seltenen Echsen-, Vögel-, oder Katzenarten nachempfunden. Auf der Bühne erscheinen sie wie seltsame, fremde Tiermischwesen – was die Arbeiten von El Cuco Projekt schon per se zum Ereignis macht.

In ihrer neuen Arbeit „Captcha“ sind es also Fledermäuse, die menschliche und tierische Intelligenzsysteme ausloten, seien es Algorithmen, seien es die der animalischen Schwarmintelligenz. Der Titel „Captcha“ („completely automated public Turing test to tell computers and humans apart“) weist übrigens auf diese allbekannten Internet-Tests hin, die vorgeben, Computer von Menschen unterscheiden zu können. Jede*r Zuschauer*in im lichten Saal des Kunsthauses Rhenania in Köln hat eine Postkarte mit  einem solchen Test in die Hand bekommen, mit dem sie*er erst einmal etwas um die seltsamen Objekte im Bühnenbild herumwandert: hier schmilzt eine Tasse auf einem weißen Kubus, dort kippt ein Büro-Tisch, wenig weiter löst sich ein Stuhl im Boden auf – und ganz hinten, als Halbrund, ist eine liebliche Naturlandschaft auf Leinwand dargestellt: So wie sich der Mensch die von ihm unterworfene und zerstörte Natur in idyllischen Retro-Fantasien eben ausmalt.  Und dann kommen die drei Tänzerinnen – Carla Jordão, Jimin Seo und Margherita Dello Sbarba – in ihren riesigen Fledermausmasken nach und nach hinter dem Landschaftsbild hervor, niedlich und gruselig zugleich: gigantisch gewölbte Knopfaugen, feines Fell, Raubtierzähne. Dazu tragen sie weite Hosen in Batik-Optik, die an Flecktarn oder Lichtflecken in einem Wald erinnern, die Socken gelb-grün wie ein Naturerlebnis.

"Captcha" © Julia Franken

Bei El Cuco Projekt stülpt sich eine Sichtweise immerzu in eine andere um, fein philosophisch wird mit Konkav- und Konvex-Effekten gearbeitet: zwischen Groteske und Ernst, Kindlichkeit und Bedrohung. Blicken wir hier auf Menschen, die Fledermaus-Formationen nachbilden – oder auf Fledermäuse, die Menschensysteme zerstören und überleben? Wer gewinnt, Natur oder Kunst? Was passiert, wenn Künstliche Intelligenzen sich auf einmal selbst organisieren? Wie in einem Endzeit-Szenario stolpern, schwanken, tasten die Drei sich wie auf neugieriger Entdeckungsreise gemeinsam an der Wand entlang, kriechen durch den Raum, als seien sie einer unsichtbaren Ordnung unterworfen: eine kleine Schwarmintelligenz, die immer stärker zusammenfindet. Eine kindliche KI-Stimme verliest über Lautsprecher „für das Protokoll“, dass sich Algorithmen zuweilen wie Tiere verhalten, dass sich ihre Parallel-Systeme den rätselhaften Gruppenformationen von Tieren annähern – zu manchen Vorstellungen übrigens auf Englisch, hier war es Deutsch. Wie in Zeitlupe nehmen die Fledermaus-Wesen den Bühnenraum in Besitz, schmiegen, schleichen, winden sich, nehmen den Computer aus der Halterung, umwickeln sich mit Druckerpapier, stoßen irgendwann den Bürotisch um, belegen die Reste der menschlichen Zivilisation mit anarchischer Natur. Aber diese Gedanken finden natürlich nur in unseren Köpfen statt, schließlich ist kaum etwas Künstlicheres denkbar als Performer*innen mit Tierköpfen.

"Captcha" © Julia Franken

El Cuco Projekt verstehen es, philosophische Assoziationsketten im Kopf der Zuschauer*innen hervorzurufen. Sie schlüpfen in das Hosenbein des anderen, stolpern als verschmolzene Existenzen durch den Raum, grölender Jubel tönt vom Band, lächerlicher Rest einer vermeintlichen Kontrolle. Am Ende kommen sie auf das Publikum zu, dirigieren mit Handzeichen, wann wir klatschen oder nicht – und wir folgen brav. Hat die Kunst, die Technik oder die Natur jetzt die Macht übernommen? Und was sind das überhaupt für unzureichende Begriffe? Letztlich, so die These des Abends, ist Kleben nicht menschengemacht, sondern schon lange in Strukturen und Netzwerken der Natur vorhanden, sei es als Echowellenkommunikation von Fledermauskolonien, Ameisenvölkern oder Wurzelsystemen. Ein surrealer und komplexer Abend, der schön mit seinen Rätseln spielt.

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Premiere: 17.02.2022

Idee, Choreographie, Text sowie Masken & Bühnenset: Sonia Franken & Gonzalo Barahona; Performance: Carla Jordão, Jimin Seo, Margherita Dello Sbarba; Komposition: Timm Roller; Kostüm: Lena Thelen; Dramaturgie: Li Kemme, Outside Eye: Barbara Fuchs, Benedetta Reuter, Eva-Maria Baumeister und Marcelo Omine, Licht: Roman Sroka, Presse: neurohr & andrä; Trailer, Fotos und Videodokumentation: Julia Franken; Administration: Ruth Spitzlei; Produktion: Sonia Franken. 

Mit Unterstützung von: Barnes Crossing e.V. und Kunsthafen im Kunsthaus Rhenania e.V.

Gefördert durch: Kulturamt der Stadt Köln, Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste, Kunststiftung NRW sowie dem Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Sonderprogramm AUTONOM

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