Die aktuelle Kritik

Andreu Andreu: "NICHTS oder Herr Käseweis fliegt zum Mond"

Von Katja Kollmann

Andreu Andreu zeigt beim „Festival der verhinderten Premieren“ im Berliner Figurentheater Grashüpfer wie ressourcenbewusste Bühnenästhetik auf große ungelöste Fragen trifft.

Herr Käseweis will überhaupt nicht zum Mond. Er möchte immerzu fernsehen und Chips essen. Und dann sitzt er doch auf der großen silbernen Kugel, die an einem Kran hängt und schaut ins All. Er sieht die Erde, wird wehmütig – und dann ist die Erde weg. Verschluckt von dem großen Nichts, das er gerufen hat.

Andreu Andreu vom gleichnamigen Objekttheater wagt sich an große Themen in „Nichts oder Herr Käseweis fliegt zum Mond“. Denn in diesem kurzweiligen Stück Theater für Menschen ab vier wird neben dem bodenständigen Thema der zwischenmenschlichen Beziehungen eine neue Ebene ins Kindertheater geholt: die der Physik und Metaphysik. Man sitzt in dem kleinen Berliner Figurentheater Grashüpfer im Treptower Park, durch die Eingangstür schimmert die Realität der Straße herein – auf der Bühne aber entsteht das Weltall mit den alles verschlingenden schwarzen Löchern. Andreu Andreu lässt die Geschichte zunächst im Vertrauten beginnen, er steckt Innen- und Außenräume ab, lässt Alt und Jung aufeinanderprallen. Das Wort „nichts“ dominiert den Diskurs auf der Bühne, denn Herr Käseweis fordert den Stillstand ein, den er mit das „Nichts“ umschreibt.  

Andreus Käseweis hat die krächzende Stimme eines verbitterten alten Mannes. Käseweis hat einen ziemlich unproportionalen Körper, denn der Schädel, eine Ein-Liter-Hafermilchtüte, sitzt auf einem schmalen Sanitärplastikrohr. Zusammen mit seinen Flaschendeckel-Augen und seinen Propeller-Händen, ausgeschnitten aus einer orangen Getränketüte, ergibt das eine eindrucksvolle Präsenz auf der Bühne. Das ganze Bühnenbild dekliniert das Thema „Verpackungsmüll“ durch: so entstehen Stadtlandschaften aus Klopapierrollen und an Antons Ghettoblaster kleben die Deckel von Babybreigläsern. Das Nichts, das Herr Käseweis versehentlich herbeiruft, ist eine schwarze Mülltüte, deren Fassungsvolumen immer größer wird. Der Sounddesigner Peter Breitenbach entwickelt für die Präsenz des Nichts einen bedrohlichen Klangteppich. Verschluckt es Fußball, Fernseher, Herrn Käseweis’ Hände und zuletzt die ganze Stadt, dann begleiten Staubsaugergeräusche die Auslöschung.

Herr Käseweis muss fliehen und darum landet er auf dem Mond. Auf dem Weg dorthin trifft er eine Möwe, die ihn zuerst mitfliegen, aber dann fallen lässt - buchstäblich. So findet sich Herr Käseweis in den Tiefen des Ozeans wieder. Die Bühne ist nun in blaues Licht getaucht und Breitenbach zaubert dazu eine betörende akustische Unterwasser-Atmosphäre, die einen endgültig wegbeamt aus dem Treptower Park. Jetzt hat der große Sympathieträger des Nachmittags seinen Auftritt: der Fisch – ein Waschlappen mit zwei Deckelaugen. Andreu Andreu spielt ihn, wie auch die anderen Figuren, mit Empathie und Können. Er gibt ihm eine dunkle warme Stimme. Der Fisch bringt Herrn Käseweis das Schwimmen bei: „Vorsicht Strömung!“ und zeigt ihm den Weg zum Mond: „Du musst den Stöpsel ziehen!“ Auf dem Bühnenboden steht die Miniatur eines Rohrreinigers. Herr Käseweis und der Fisch diskutieren, ob das Verbot, den Stöpsel zu ziehen, übertreten werden kann. Schließlich zieht der Fisch daran und löst so eine ziemlich charmante Mondlandung aus. Dort bekommt Herr Käseweis Gesellschaft vom Mondgeist, einem luftigen Wesen aus Verpackungsbändern.

Andreu Andreu macht sich, nach fast 45 Minuten, an eine kindgerechte Auflösung des Konflikts: so braucht es nur einen schönen Gedanken, um das Nichts zu vertreiben und den Status quo wiederherzustellen. Herr Käseweis findet ihn – über Umwege und lernt dabei, dass an Chips denken, nicht in die Kategorie „rettende Gedanken“ fällt, an den Fisch, also an den Freund denken aber schon. Was hat er noch gelernt? Er muss sich ändern, sonst könnte er das Nichts wieder auf den Plan rufen. So versucht sich Herr Käseweis an einem Tanz zum Ghettoblasterlärm und sieht dabei ganz fröhlich aus. Hinter ihm leuchtet metallicblau die Verpackung meiner Lieblingschipsmarke und über ihm hängen Alu-Sterne am imaginären Himmelszelt.                             

 

Premiere: 18.9.2021 

Konzept und Spiel: Andreu Andreu

Sounddesign: Peter Breitenbach

Technische Betreuung: Kai Günther

Foto: Marcus Lieberenz

Gefördert vom Bezirksamt Treptow-Köpenick von Berlin Fachbereich Kultur und Museen  

Koproduktion mit dem Schloßparktheater Köpenick

0 Kommentare

Neuer Kommentar