Die aktuelle Kritik

Theater Waidspeicher: "Vier Märchen von Himmel und Erde"

Von Inga Hettstedt

Gelungenes Regie-Debut am Puppentheater Waidspeicher

Feder, Knochen, Holz, Stein – mit diesen vier Elementen begrüßen die Puppenspieler das Publikum zur Premiere der Inszenierung „Vier Märchen von Himmel und Erde“, und zerstreuen sich sodann in alle Himmelsrichtungen, das Publikum in kleinen Gruppen zu je sechs Personen im Schlepptau.

Vier Geschichten, vier Bühnen, an vier Orten des Puppentheaters und jeweils ein Puppenspieler in ungewohnter Nähe vor seinem Publikum, weit genug weg, um ein Corona-konformes Beisammensein zu ermöglichen und doch viel näher, als in der klassischen Bühne-Zuschauersaal-Szenerie. Kultur in Zeiten von Corona hat einen besonderen Stellenwert. Es tut gut, dass die Puppen im Theater Waidspeicher wieder tanzen. Mit „Vier Märchen von Himmel und Erde“ hat das Theater ein neues Stück im Repertoire, das für Kinder wie Erwachsene gleichermaßen geeignet ist und bestens mit den pandemiebedingen Beschränkungen für Spieler wie Publikum zurechtkommt.

Martin Vogel, viele Jahre Ensemblemitglied des Theaters Waidspeicher, hat sich mit seinem Regie-Debut direkt in die Herzen des Publikums gespielt. Ausgehend von den Elementen Feder, Knochen, Holz und Stein wurden in dieser Uraufführung vier Märchen aus verschiedenen Regionen der Welt gefunden und in Erfurt auf vier kleine Bühnen gebracht. Die Bühnen – drei kleine Stehpulte und ein am Boden drapierter Rock – sind im Haus verteilt und das Publikum wandert im Laufe des Abends von einer Bühne zur nächsten. 

In „Die goldenen Kraniche“, erzählt Maurice Voß auf einem aufgeplusterten Federkissen ein nordamerikanisches Indianermärchen welches lehrt, dass Gold und Schönheit Freiheit nicht ersetzen können. Kathrin Blüchert verwandelt ihren aus Plastikstreifen gewebten Rock in eine einsame, vereiste Insel inmitten des hohen Nordens, in der „Die Knochenfrau“ Dank der Liebe eines jungen Inuit zu neuem Leben erwacht. Paul Günther wiegt „Die schlanke Birke“ im Wind und feiert mit einem alten russischen Ehepaar die Entdeckung des Zauberbaums, welche aufgrund aufkeimender Habgier jedoch nicht von langem Glück beschieden ist. Auf der vierten Bühne des Hauses plaudert Tomas Mielentz aus dem sprichwörtlichen Nähkästchen und kocht nach der Vorlage eines französischen Märchens eine lebensrettende „Steinsuppe“, die den aus allerlei Nähmaterialien gefertigten Tieren einen überaus geselligen Abend bereitet. 

Nadine Wottke, die erstmals für die Gesamtausstattung verantwortlich ist, hat in „Vier Märchen von Himmel und Erde“ Puppen und Bühnen gestaltet, die besonders reich sind an Originalität und Liebe zum Detail. Zusammen mit landestypischen Kompositionen und Soundcollagen von Andreas Böhmer, die die Spieler über transportable Boxen selbst einspielen, dem Charme und der Spielfreude der vier Puppenspieler sowie der liebevollen Inszenierung des Regisseurs Martin Vogel ist eine Hommage an die Kraft und Magie der Märchen gelungen.

Die Tatsache, dass die vier Märchen parallel aufgeführt werden, dass das Publikum alle 15 Minuten von einer Bühne zur nächsten wechselt und dass das gesamte Haus wie ein Bienenstock zu summen scheint, mag zunächst verstören und ablenken. Aber schließlich hilft es, sich noch stärker auf das aktuelle Stück zu fokussieren, die durch die ungewohnte Nähe gewonnenen Atmosphäre zu genießen und noch tiefer in die Erzählung und in die gestalterischen Details einzutauchen. Und es erinnert daran, dass Märchen stets präsent sind und überall auf der Welt erzählt werden.

Ob jung oder alt, ob Puppentheateraffin oder nicht, „Vier Märchen von Himmel und Erde“, die an die wunderbare Kraft der Liebe und der Gemeinschaft erinnern, sind absolut sehenswert.

 

Premiere: 10. Oktober 2020

Fotos: Lutz Edelhoff

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