Die aktuelle Kritik

Figurentheater Chemnitz: "Der Froschkönig"

von Marianne Schultz

Eine Synthese aus Puppenspiel und Schauspiel erzählt vom Kuss, der alles verändert.

 

Frosch will, Prinzessin nicht

Das Figurentheater Chemnitz malt das Grimm-Märchen in seinen lieblichsten Pastellfarben aus und zieht Kinder ab vier Jahren behutsam aus dem Alltag in die Welt der Phantasie. In der Premiere waren die Kinder auch gleich angetan von der fröhlich tollenden, selbstbewussten Prinzessin und erschüttert, als der nasse kleine, grüne, glitschige Kerl von einem Frosch nörgelnd quengelnd ins Bettchen des Mädchens drängt, was mit einem Gebalge in den Federn, dem Klatsch an die Wand und der Verwandlung in den Prinzen endet. Nicht von großer Wichtigkeit scheint zu sein, warum der Prinz von einer Hexe in den Frosch verwandelt wurde. Eine entscheidende Frage beantwortet die Inszenierung allerdings deutlich, wenn auch unaufgeregt: Niemand muss, was er nicht will. Die eigene Entscheidung ist wichtig.

Das Spiel beginnt bereits beim Platznehmen. Die beiden Puppenspielerinnen Gerlinde Tschersich und Kotti Yun stellen sich als Ferdinand und Wolfgang am Hof von Chemnitz vor, tragen edle Livree und Perücke und führen die Kinder sorgsam auf ihre Plätze. Die vornehmen Typen rümpfen distanziert die Nase, weil Jeans und Pullover im Publikum offensichtlich nicht ins Bild bei Hofe passen. Sie üben mit den Kindern, wie man einem König elegant zuwinkt, die Hand in Augenhöhe hochgestreckt, leicht hin- und herkippend, nicht heftig wedelnd, und der Saal winkt gewünscht anmutig zurück. Derart einbezogen, hält die Spannung bis zum Schluss.

Es ist ein Vorteil dieser Inszenierung von Dorothee Metz, die zwar mit Weihnachten gar nichts zu tun hat, aber sehr, sehr oft in diesen Tagen gespielt werden wird, dass sie nicht grellbunt, sondern anmutig-anschaulich und kostbar in sorgfältiger Genauigkeit den ganzen Zauber dieser Synthese aus Puppenspiel und Schauspiel zelebriert. Die Übergänge sind fließend, die Bühne von Andreas Becker ist mal groß, mal klein, die Figuren mal lebensecht, mal Puppenspiel, aber immer aufwendig und realistisch wie teure Spielzeuge ausgestattet.

Je nach Betrachtungsweise wechseln die Schauplätze. Mal wird der ganze Bühnenraum bespielt, dann ein königliches Schloss in Form eines Zeltes mit festlichen Kerzenleuchtern, sich öffnenenden Spielflächen, dann wechselt die Inszenierung hinüber in ein  Schattenspiel in Schwarzweiß. Und wenn Gerlinde Tschersich als Diener den Frosch auf einem roten Samtkissen hereinträgt, ihn zirzensisch flink an Stäben bewegt, scheint der lebendige Frosch unter uns. Gerade die wechselnden Blickwinkel stricken konsequent den Handlungsfaden weiter.

Viel Suppe würde in die hübsch-elegante, fein bemalte Terrine passen - beim Froschkönig ist sie der Brunnen im Garten, an dem die Prinzessin Rosalinde - kühn wie Pippi - so gern mit ihrer goldenen Kugel spielt. Eine Schlüsselszene ist nicht das Hineinplumpsen der goldenen Kugel, sondern die anschließende Tauchfahrt des Frosches abwärts: Aus dem Bühnenbunt wird das Schwarzweiß von Licht und Schatten, und der Ganzkörpereinsatz scheint glaubhaft anstrengend. Aber darf der Frosch dafür den Platz an der Seite des Mädchens fordern gemäß dem Grundsatz „Versprochen ist versprochen?“ Auch wenn der alte König dem Wasserpatscher recht gibt: So leicht macht es sich die Inszenierung nicht. Sie entwickelt behutsam den Charakter des Prinzessinnen-Kindes: Nicht herrschsüchtig fordernd oder verwöhnt und launisch, sondern lustig verspielt und voller Neugier ist Kotti Yuns Mädchen.

Es gibt in dieser Inszenierung gewiss keine neuen Erkenntnisse zum Froschkönig, denn allein der immense Bilderreichtum beflügelt die Phantasie. Auch macht die Verwandlung des Froschs nach seiner Petzerei und Nörgelei nach einem lauten Klatsch an die Wand kaum Probleme. Denn da isser, der Prinz der Brüder Grimm. Sogar stehende Begriffe wie die vom alten Wasserpatscher oder „In alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat", sind original erhalten. Die Kinder müssen sich an keine Textinnovationen in der Bühnenfassung von Dorothee Metz gewöhnen. Sie lernen, dass auch eine Prinzessin - wie ein Mädchen - wehrhaft sein muss, dass bedingungslose Gutgläubigkeit nicht immer hilfreich ist, wenn man den flehenden Wasserpatscher nicht küssen will. Mädels, wehrt euch!

 

Premiere: 14. November 2015

 

Regie & Bühnenfassung: Dorothee Metz

Ausstattung & Puppen: Andreas Becker

Spiel: Kotti Yun, Gerlinde Tschersich

Musik: Steffan Claußner

Dramaturgie: Friederike Spindler

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