Die aktuelle Kritik

Hamburger Puppentheater: "Herr Eisatnaf"

von Falk Schreiber

Cora Sachs erzählt in "Herr Eisatnaf" eine Geschichte über Phantasie – mit Masken, Schatten und begeisterndem Körpertheater. 

Wochentag. Morgens. Schülervorstellung. Vier Kita-Gruppen bevölkern das Foyer des Hamburger Puppentheaters, ein paar Kinder haben entdeckt, dass man den Programmflyer zu Cora Sachs’ „Herr Eisatnaf“ zur provisorischen Maske umgestalten kann und wirbeln verkleidet durch den Raum, „Huu! Huu!“. Hübsch, sie haben mit viel Phantasie (auf die der Stücktitel als Palindrom anspielt) das Warten auf den Theaterbeginn zu ihrem eigenen Stück gemacht.

Wobei das eigentliche Stück „Herr Eisatnaf“ dann deutlich weniger immersiv daherkommt als man beim Vorgeplänkel hätte denken können. Wollte man böse sein, dann könnte man feststellen, dass Sachs das Kindertheater mit „Herr Eisatnaf“ nicht gerade neu erfunden hat. Wenn man freundlich ist, dann erkennt man die genaue Figurenzeichnung, die szenische Phantasie, das handwerkliche Geschick, mit der die in Hamburg sehr präsente Regisseurin, Puppenbauerin und Kostümbildnerin hier vorgeht. Und wahrscheinlich liegt die Qualität des knapp 45-minütigen Stücks irgendwo dazwischen.

Kathrine Altaparmokovs Bühne ist ein klassischer Guckkasten, über den Titelheld Eisatnaf einen schweren Koffer schleppt. Paul Behren, ehemaliger Protagonist am Deutschen Schauspielhaus Hamburg und als Boy-Gobert-Preisträger ansonsten in weit größeren Häusern zu sehen, spielt seine Prominenz nicht aus: Der Starschauspieler verschwindet vollkommen hinter einer der typischen Sachs-Masken, einem riesigen Knubbelkopf, der keinerlei Mimik zulässt und eine heitere Traurigkeit ausstrahlt. Dazu trägt er einen langen Mantel, einen Schal, auf dem Schädel eine Melone – ein Erwachsener. Was einigen Kindern schon zuviel ist. „Herr Eisatnaf“ ist empfohlen für ein Publikum von drei bis sechs Jahren, aber beim Auftreten der grotesken Figur verbreitet sich ein Wimmern im Saal, Weinen, Angst.

Die sich freilich mit Furzwitzen, Verzeihung, wegblasen lässt. Ja, es geht um die Kraft der Phantasie, aber die Phantasie kann bei Sachs auch hübsch derb zuschlagen, und Behren ist ein begnadeter Körperspieler, der solche Szenen genießt, der den Kopf in den Schalltrichter eines altertümlichen Grammophons steckt, und sich darauf vom trötenden „Pfrrz!“ die Melone vom Haupt pusten lässt. Schaut er gerade vielleicht verdutzt? Nein, sein Gesicht steckt ja in der Maske, aber man erkennt die Qualität von „Herr Eisatnaf“, wenn man in sein unbewegliches Gesicht hier einen verdutzten Ausdruck hineinliest. Und das Publikum erkennt diese Qualität auch, wie das befreiende Gelächter beweist.

Für das eigentliche Phantasie-Thema ruft Sachs dann mehr oder weniger vorhersehbare Bilder ab. Herr Eisatnaf ist ein Clown, und als Clown bringt er einen Zirkus in seinem Koffer mit – zumindest in der Phantasie. Also imaginiert er eine Dressurnummer mit kleinen Spinnen, bei der ein Krabbeltier entwischt, er geht auf Tauchfahrt zwischen Fischschwärmen, am Ende besucht er den Mond, und weil diese Episoden phantasievoll von Mara Wild als Schattentheater an die Bühnenwand geworfen werden, während Behren passgenau mit den Schatten interagiert, stört man sich nicht daran, dass die Zirkusmetapher die wahrscheinlich abgedroschenste Möglichkeit darstellt, Phantasie künstlerisch zu bearbeiten. Zum Schluss kehrt sogar die verlorengegangene Spinne freiwillig zurück in die Arme des Flohzirkusdirektors, und das ist zwar ein harmonisches Ende, aber eigentlich war sie auch ganz niedlich, wie sie auf dem Mond saß und den Menschen mit ihren acht Beinchen zuwinkte.

Regisseurin Sachs jedenfalls findet schlüssige, wenn auch verhältnismäßig unoriginelle Bilder für ihre Geschichte, und diese Bilder lässt sie von einem wandlungsfähigen Performer und einer raffinierten Ausstattung zu einem stimmigen Theaterstück verbinden. Dass allerdings die Phantasie des jungen Publikums noch vor Stückbeginn einfach durch einen geschickt gestalteten Programmzettel angetriggert werden konnte, bis hin zu einer Form immersiven Theaters, die das eigentlich Stück in Bezug auf Innovation weit hinter sich ließ, das gibt einem schon zu denken.

Premiere: 20.10.2019

Regie, Figuren, Kostüm: Cora Sachs
Spiel: Paul Behren
Live Mapping, Video: Mara Wild
Bühne: Katharine Altaparmakov
Musik: Nis-Momme Köpp
Technik: Ole Schmetzer

www.hamburgerpuppentheater.de

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