Die aktuelle Kritik

Theater Konstanz: „Gerron“

Von Manfred Jahnke

Aus der Hölle ein Paradies machen.

Wer kennt noch Kurt Gerron, der einst in der Uraufführung von Brechts „Dreigroschenoper“ „und der Haifisch, der hat Zähne“ gesungen hat, der neben Marlene Dietrich oder Heinz Rühmann vor der Kamera stand und bei UFA-Filmen selbst Regie führte? Ein einst gefeierter Künstler, dem 1933, weil er Jude war, nicht nur alle Würde, sondern schließlich auch die Existenz genommen und dem Vergessen überliefert wurde. Nicht ganz, 2011 hat Charles Lewinsky dem Schauspieler eine fiktive Biografie gewidmet, die den Lebensstationen Gerrons folgend die Geschichte einer Selbstüberschätzung eines Ichs und die eines moralischen Dilemmas erzählt. Ihm und seiner Frau Olga gelingt die Flucht durch halb Europa. Sie werden festgenommen, als die Deutschen in die Niederlande einmarschieren. Sie kommen nach Theresienstadt und dort soll nun Gerron einen Film drehen, der der Welt davon berichten soll, dass dieses Konzentrationslager keine Hölle, sondern ein Paradies ist: mit Schwimmbad, Café, Läden und Gewächshäusern. Gerron zögert, allzu offensichtlich muss er lügen – „Film ist Lüge“ bricht es zwei Mal aus ihm heraus –, andererseits kann er, solange er dreht, nicht nur seine Deportation nach Auschwitz verhindern, sondern die von vielen Menschen. Trotz vieler Skrupel entscheidet er sich für den Dreh und wird im Anschluss mit Olga nach Auschwitz transportiert, wo er drei Tage vor dem Ende der Vergasung wegen der nahenden Front 1944 getötet wird.

Annette Gleichmann hat aus dem Buch von Charles Lewinsky eine spannende szenische Fassung gebaut. In ihrer Bearbeitung konzentriert sie die Handlung auf die Gewissensituation Gerrons. Den führt André Rohde als jemand vor, der an dieser Entscheidung zerbricht, der dabei an einem Selbstbild festhält, das der Wirklichkeit nicht mehr standhält. So, wie er in seiner Selbstwahrnehmung den Aufstieg Hitlers ausblendete, so knüpft er nun an seine Allmacht an, die ihm der Status als UFA-Regisseur gab. Diese Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Selbstbildwahn wird von Rohde in ihrer ganzen tragischen Dimension ausgespielt, mit Magdalene Schaefer als Olga, die eher zur Stichwortgeberin wird. Der Gefahr, bloßes Betroffenheitstheater zu provozieren, entgeht Gleichmann geschickt, indem sie der „aktuellen“ Theresienstadtebene, die im Spiel der Darsteller*innen entsteht, eine zweite gegenüberstellt: In Rückblenden werden Szenen aus der Vergangenheit erzählt, die mit Puppen verkörpert werden. Das sind Szenen aus der Kindheit mit dem Großvater, im Schützengraben des 1. Weltkrieges, wo Gerron schwer verletzt wird oder das Kennenlernen von Olga. Diese Szenen schaffen zum fast unerträglichen moralischen Konflikt eine Distanz nicht nur durch den Humor, der den Texten eingeschrieben ist, sondern auch durch die Brüche, die Magdalene Schäfer und Sebastian Fortak im ständigen Switchen zwischen Schau- und Figurenspiel zu bewältigen haben.

Ira Hausmann und Janna Skroblin, die nicht nur für Bühne und Kostüme zuständig sind, sondern auch für den Puppenbau, haben Figuren geschaffen, die die Charakteristika ihrer historischen Vorbilder in holzstrukturellen Köpfen und historischen Kostümen abbilden. Zumeist werden sie von einem Spieler allein mit einem Griff am Kopf geführt, manchmal führt derart aber auch Sebastian Fortak die Figur und Magdalene Schäfer führt die Füße. Das Bühnenbild ist dreigeteilt. Rechts ragt ein langer weißer Vorhang herein, der es ermöglicht auch hinter der Leiste Figuren verdeckt zu führen, oder im Spiel mit Schatten bedrohliche Wirkungen erzeugt. In der Mitte etwa hängt ein Vorhang, auf den beispielsweise Bilder von Gerron oder am Ende Videoausschnitte gezeigt werden, in denen Zeitgenossen das moralische Dilemma kommentieren. Rechts steht ein Verschlag mit Pritschen und Regalen, die Abstraktion einer Kammer („Kumbàl“), wie sie in Theresienstadt vorhanden war. Dieser Verschlag wird immer wieder in verschiedene Positionen geschoben.

Annette Gleichmann ist eine dichte Inszenierung gelungen, die einen nicht kalt lässt. Gegen Ende erzählt der Großvater seinem Enkel (beides Puppen) die Geschichte vom Riesen, den ein Zauberer ein Mittel eingibt, dass ihn täglich kleiner werden lässt. Wenn er, als er noch ein Riese war, ein Schild trug, auf dem stand, „Ich bin ein Riese“, so heißt es am Ende: „Ich war eine Riese“. Treffend beschreibt diese kleine Parabel die Situation von Gerron. Und da dieser auch in Theresienstadt im „Karussell“ Kabarettabende gegeben hat, hat Andreas Kohl mit dem Ensemble Lieder aus den letzten Jahren der Weimarer Republik einstudiert.

 

„Gerron“ von Annette Gleichmann nach Charles Lewinsky

Regie: Annette Gleichmann Bühne, Kostüme, Puppenbau: Ira Hausmann, Janna Skroblin Dramaturgie: Miriam Fehlker, Musikalische Leitung: Andreas Kohl Video: Sebastian Heiland

Es spielen Magdalene Schaefer, Sebastian Fortak und André Rohde

 

0 Kommentare

Neuer Kommentar