Die aktuelle Kritik

Bößer / Szörényi: Pieces of Manifesto

von Meike Hinnenberg

Bößer / Szörényi erkunden in einer installativen Performance das Sehen und das Zeigen.

Der Titel der installativen Performance „Pieces of Manifesto“ ist plural und ruft das Feld von Bedeutungen auf bzw. markiert den Rahmen, in dem die Arbeit der Choreographin Karen Bößer und der bildenden Künstlerin Beatrix Szörényi statthat. Denn „Pieces“ kann „Teile“, „Figuren“,  „Stücke“ oder „Beiträge“ bedeuten. Und „Manifesto“ lässt sich aus dem Englischen wohl am ehesten als „Manifest“ oder „Programm“ übersetzen. Denkt man jedoch das Lateinische Verb „manifesto“ mit, kann darunter allerdings auch „sichtbarmachen“ oder „offenbaren“ verstanden werden.

Offenlegung als künstlerisches Programm

Langsam sammeln sich die Zuschauer im Foyer des FFT Juta. Von dort werden sie in die „Blackbox“ geleitet. Und schon der Weg durch den engen, von Büroräumen gesäumten Gang scheint Teil der Performance, welche die Bedingungen des eigenen künstlerischen Arbeitens sichtbar macht. Denn die administrativen Prozesse, die sich in den Theaterbüros abspielen und die Aufführung im Vorfeld oder im Hintergrund regeln, bleiben auf der Bühne in der Regel unbemerkt.

Kurz bevor die Zuschauer die Blackbox betreten, passieren sie zwei Büros: Die Tür des ersten ist geöffnet. Im Setting eines Arbeitszimmers mit Regalen und Schreibtisch hängen zwei Fußball-große Papierkugeln in Kopfhöhe von der Decke. Ob Bößer und Szörényi die Kugeln mit ihren Köpfen bewegen oder die Bewegung der Künstlerinnen eine Antwort auf die Flugbahn der Kugeln ist und wo die Bewegung ihren Anfang genommen hat, bleibt unentscheidbar. Die Tür des zweiten Büros ist verschlossen. Vor der Tür ist eine Trittleiter aufgestellt, welche die Zuschauer einzeln hinaufsteigen können, um durch ein kleines Fenster am oberen Türrahmen in den verschlossenen Raum zu spähen – in dem es, außer der Unordnung eines Büros, eigentlich nichts zu sehen gibt. Doch die Enge des Gangs, das Gedränge vor den schmalen Türen und der Aufwand, den jeder Einzelne betreiben muss, um das zu sehen, was es zu sehen oder auch nicht zu sehen gibt, ermöglicht es den Besuchern dieses Abends, sich selbst als Schauende in ihrer singulär-pluralen Erscheinungsform wahrzunehmen.

Nach und nach betreten die Besucher des Abends die Blackbox; und das erste, worauf der Blick fällt, ist ein Spiegel, über den ein quadratisches Raster gelegt ist: Das erste, was der Besucher sieht, ist er selbst als Sehender, dessen Sehen durch ein Raster strukturiert wird. Erst dann öffnet sich der Blick in den Raum und auf die installative Anordnung hin: Hier finden sich unter anderem Kostüme, ein bühnenartiges Podest, Requisiten, ein mit Geld belegter Stuhl, ein Panel, das nach kurzer Zeit zur Kulisse wird, ein Lautsprecher, eine Kamera, eine auf die Wand projizierte Animation, ein mit Schaumstoff beklebter, hausähnlicher wirkender Kasten, in den man hineingehen, aber von außen nicht hineinsehen kann und mittendrin verschiedene Sitzgelegenheiten. Wie durch frühere Aufenthalte im Theater konditioniert, nehmen die Besucher des Abends auf diesen Sitzgelegenheiten Platz, und im selben Augenblick werden sie Zuschauer und Teil der Rauminstallation.

Auf der Bühne entspinnt sich zwischen Bößer und Szörényi ein non-verbaler Dialog, in dem sie jedes an der Inszenierung beteiligte Element einzeln erforschen und die Arbeitsweise der jeweils anderen befragen. So markiert die Performance einerseits das Zuschauer-Werden, das Kostüm-Werden, das Sichtbar-Werden, das Hörbar-Werden, das Körper-Werden, das Objekt-Werden, das Bühne-Werden, das Werk-Werden usf. Es ist das Zeigen selbst, das hier ausgestellt wird. Andererseits wird im neugierigen Erkunden, im Befragen der fremden Arbeitsweise offenbar, dass sich dieser Akt des Zeigens auf unzählige Weisen ereignen und auf vielfältige Weise Gestalt annehmen kann.

Diese radikale Offenlegung wird so selbst zu einem vielleicht nicht-sprachlich, aber künstlerisch formulierten Manifest – zum Programm der eigenen Arbeit, zu einer Forderung, nicht nur etwas sichtbar zu machen, sondern das Zeigen selbst, das in dem Augenblick, in dem etwas gezeigt wird, zumeist verborgen bleibt, sichtbar zu machen. 

 

Künstlerische Leitung / Choreographie / Performance: Karen Bößer

Künstlerische Leitung / Mixed Media /Performance: Beatrix Szörényi

Dramaturgie: Lise Brenner

Dokumentation: Susanne Diesner

Projektleitung: Anna-Maren Henke

Management: Béla Bisom

 

Fotos: Susanne Diesner

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