Die aktuelle Kritik

Puppentheater Zwickau: "Die kleine Raupe im Gefühlssalat"

von Jessica Hölzl

Eine ganze Welt in fünfunddreißig Minuten - ohne Worte und mit bewegter Mimik.

 

Von unendlicher Neugier getrieben

Blauer Himmel mit weißen Wölkchen. Vogelgezwitscher. Die Sonne dringt durch das Grün der Bäume zum Innenhof der Alten Posthalterei, Spielort des diesjähigen Sommertheaters des Puppentheaters Zwickau. Hundertdreißig Kinderaugen blicken gebannt zur Bühne.

Darauf ranken sich menschenhohe wilde Gewächse, fantasievolle Blumen und liebevoll gestaltetes Blattwerk aus bunt glänzenden Stoffen. An einem Blütenblatt hängen handtellergroße Wassertropfen aus Plexiglas, in denen sich das Morgenlicht bricht. Ein summender und surrender Urwald aus Textilien, den ein zum Blätterdickicht passend gekleideter Spieler betritt und vorsichtig eine noch geschlossene Blüte öffnet. Aus einem runden Ei schlüpft unter seinen behutsamen Händen die kleine Raupe. Mit dem orange-flauschigen Körper und den großen Kulleraugen ruft das kleine Wesen unwillkürlich sämtliche Kindheitshelden der Sesamstraße in Erinnerung.

Jetzt kann es losgehen! Musikalisch gefühlvoll untermalt von Trommelschlägen und Xylophonklängen, die ein Musiker live auf der Bühne hervorbringt, erkundet das kleine Wesen juchzend seine Welt. Was es da nicht alles zu entdecken gibt! Der eigene Körper schon ein wahres Wunder: Geführt von zwei unter dem Leib seitlich geführten Stäben kann er kriechen, von Blatt zu Blatt sich fortbewegen, sich zusammenrollen und – sehr zur Erheiterung des versammelten Publikums - das eigene Hinterteil mit seinen sämtlichen Körperfunktionen entdecken. Genussvolle Geräusche begleiten die Erkundungstour der kleinen Raupe von Blüte über Stängel zum wahre Entzückensschreie auslösenden Steinpilz. Dabei ermöglicht das kindgerecht gestaltete Bühnenbild der hungrigen Raupe sogar, ganze Blattteile abzufressen und beim Baden in Wassertropfen deren Fall zu beobachten.

Zwischen Begeisterung und bitterlichen Niederschlägen durchwandert die Raupe ihre kleine Welt. Der Spieler kommentiert das Geschehen ohne Worte mit bewegter Mimik und führt sie als liebevoller Erzähler durch ihre Reisen. Doch nicht nur er steht der kleinen Raupe zur Seite. Der Bedrohung durch die Krähe, einer plüschigen schwarzen Handpuppe mit riesigen Augen, deren angsteinflößender roter Schnabel unheilvolle Krah-Krahs hervorstößt, kann sie nur durch die Hilfe der Blumen entkommen, die sie im letzten Moment vor dem Verspeistwerden retten.

Unendliche Neugier treibt die kleine Raupe vorwärts und immer wieder der sehnsüchtige Wunsch, noch ein bisschen schneller höher weiter zu gelangen. Doch jeder Flugversuch endet, cartoonhaft inszeniert mit Freeze-Moment des In-der-Luft-stehen-Bleibens, begleitet von einem ahnungvollen "Oh-oh", in einem recht schmerzhaften Sturz auf den Boden.

Das junge Publikum, bis zur Verpuppung der kleinen Raupe vom Geschehen gebannt, wird kurz vor Ende für einige Sekunden spürbar unruhig. Durch Bühnenpräsenz und präzises Gespür für ihre Gäste beweist das Zwickauer Puppentheater Spielgefühl und Können. Mit interaktivem Spiel gelingt es unverzüglich, die kleinen Zuschauer_innen wieder zu fesseln. "Tick Tack" wispern die Kinder im Chor unter Anleitung des Spielers und bringen damit die kleine Raupe zur Verwandlung: Hinter der Bühne steigt zu Trommelwirbel und flotter Musik ein Schmetterling mit schillernd-bunten Flügeln empor, der das Publikum geradezu verzückt.

Nach begeistertem Klatschen folgt ein wunderbares Nach-Spiel: Die Kinder stürzen zur Bühne, werden von der kleinen Raupe geflauscht und geküsst und unter freudigem Gekreisch vom Vogel in die Hand gezwickt. Als die Vorstellung schließlich wirklich zu Ende geht, verlassen die Kinder die Pforten der Alten Posthalterei Zwickau nicht nur mit leuchtenden Augen. Eine ganze Welt in fünfunddreißig Minuten, die Reisen der kleinen Raupe verzaubern den Blick auf vermeintlich Kleines und Alltägliches und hinterlassen Spuren verschmitzter Abenteuerlust.

 

Premiere: 4. Juni 2017

Regie: Malgorzata Kazinska
Spiel: Konrad Bruno Till
Musik: Clemens Nöbel
Puppen und Ausstattung: Ewa Wozniak
Anfertigung der Dekorationen: Silvio Hack
Technische Einrichtung: Jens Schwientek
Dramaturgie: Monika Gerboc

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