Die aktuelle Kritik

Schauspiel Leipzig: "Sechs Personen suchen einen Autor"

von Tobias Prüwer

Im herrlichen Crossover spiegeln und doppeln sich Figuren und Schauspieler.

„Ha, das ist Material, um ein gutes Stück raus zu machen“, freut sich der Regisseur. Soeben ist eine merkwürdige Gliederpuppenfamilie in seine Proben geplatzt, hat ihn bequatscht und nun will er ihre Geschichte, eine Tragödie, inszenieren. Die Tragödie der Sippe wollen die Theaterprofis zu einem Stoff machen und diesen dann selber spielen. Die Figuren haben aber immer wieder etwas daran auszusetzen. Luigi Pirandellos „Sechs Personen suchen einen Autor“ ist das perfekte Stück dafür, Schauspiel und Figurentheater aufeinanderprallen zu lassen und die Figur-Darsteller-Doublette zu untersuchen.

Mittel des Figurentheaters finden in wiederkehrenden Moden ihren Einsatz im Schauspiel. Oft genug dienen sie dabei nur als Dekoration. Da wird mal eine Maske verwandt, aber die Möglichkeiten des Puppenspiels bleiben unausgeschöpft. Regisseur Moritz Sostmann verfolgt einen anderen Ansatz, wenn er immer wieder Schauspieler und Figuren im Spiel vereint. Ihn interessiert das gleichrangige Gegenüberstehen von beiden, was schon biografisch begründet ist: Sostmann studierte Puppenspiel an der Hochschule für Schauspielkunst in Berlin. Dann führte ihn die Arbeit als freier Schauspieler vor rund zehn Jahren zur Regie. Am Schauspiel Leipzig stellt er nun nicht nur beide Theaterformen, sondern das Theater selbst auf die Probe.

„Kenn ich schon“, mag es manchem Zuschauer durch den Kopf schießen, wenn er die Hinterbühne betritt. Der Eiserne ist geöffnet und man schaut hinein in den rot gepolsterten Zuschauersaal – ein beliebtes Setting. Aber hier geht es auf: Denn in den Reihen entdeckt man ein Regiepult, alsbald taucht ein Regisseur auf. Man befindet sich auf Theaterprobe. Einige Minuten sieht man lustlose Probeminuten mit schräg karikierten Schauspielertypen. Der alberne Einstieg führt schnell zum Crossover hinüber. Schauspieler und Regisseur lassen sich von der Darbietung der komischen Neuankömmlinge faszinieren. Schnell ist beschlossen, ihre Geschichte zu spielen. Die Proben finden auf der (Hinter-)Bühne statt und das Publikum ist jetzt dicht dran am Geschehen.

Immer wieder monieren die Puppen, wenn ein Schauspieler sie nicht »richtig« spielt. Dann führen die Figuren eine Szene vor, die die Schauspieler nachspielen, und der Regisseur durchs Nachspielen seinerseits noch einmal kommentiert.

Daran fällt das Timing absolut positiv aus. Figuren und Schauspieler sind auf Augenhöhe, immer mal wieder reicht ein Darsteller eine helfende Hand, wenn ein Spieler zu einer anderen Figur wechselt. Zwei bis drei Spieler – je nach Bewegungsnotwendigkeit – sind nämlich pro Gliederpuppe engagiert. Die Führung ist ausgezeichnet, wie man sie von den benachbarten Figurentheatern in Halle, Erfurt und Dresden kennt (woher auch einige der Spieler stammen).

Die an sich schon spannende Grundkonstellation verwischt sich in Nuancen immer mehr. Da sprechen Puppen mal mit Spielerstimme, die Figurenstieftochter hebt ihre Anklage sogar im beeindruckenden Dreistimmchor an. Wenn Spieler- und Puppenkörper zueinanderfinden, wird nicht mehr deutlich, ob das jetzt ein Spiegel oder eine Verdopplung ist. Und schließlich wird auch ein Spieler selbst mal zur Figur – und verändert seine Gestik. Denn das ist auffällig: Was bei einer Puppe durchgeht, wirkt beim Menschen exaltiert und manieristisch. Und so fächert auch das Sprechtheater in mehrere Theatersprachen auf.

Die Inszenierung steigert sich zur Frage, was jetzt eigentlich wahr und wirklich, was „nur“ Spiel ist. Dieser Abend thematisiert das Theater selbst und feiert es. Da ist es nur folgerichtig, dass am Ende alles zum toten Material zusammenfällt.

 

Premiere: 10.02.2018

Andreas Keller als Der Direktor
Bettina Schmidt als 1. Schauspielerin
Dirk Lange als 1. Schauspieler
Anne Cathrin Buhtz als 2. Schauspielerin
Alina-Katharin Heipe als Junge Schauspielerin
Andreas Dyszewski als Junger Schauspieler
Hans Jochen Menzel & Nis Søgaard als Der Vater
Kristine Stahl als Die Mutter
Anna Menzel & Franziska Dittrich als Die Stieftochter
Sebastian Fortak als Der Sohn
Nis Søgaard als Der kleine Junge
Franziska Dittrich als Das kleine Mädchen
 
Fotos: Rolf Arnold
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