Uneins - Identitätsentwürfe im Figurentheater

20. März 2019

Beiträge mit unterschiedlichen Ausrichtungen und Perspektiven sind willkommen.

Tagung: 23. – 24. Januar 2020
Universität Bern & Hochschule der Künste Bern
 


Call for Papers


Im Figurentheater treten Protagonisten diverser Formen auf – nackte Hände, Marionetten, Handpuppen, Alltagsgegenstände, Schattenfiguren oder Klappmaulpuppen, die von und mit Spieler_innen manipuliert oder animiert werden. Anders als im repräsentativen Schauspielertheater hat sich die Frage der psychologischen und körperlichen Einheit von Akteur und Rollenfigur im Figurentheater nie gestellt. Das Reservoir künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten und das damit verbundene Denkpotenzial aber, die sich aus dieser grundlegenden Gespaltenheit oder Duplizität speisen, wurden erst in den letzten vier Jahrzehnten in einer Vervielfältigung der Figurengestaltungen, Spielformen und dramaturgischen Techniken genutzt und somit zum Drehpunkt der Entwicklung neuer Figurentheater-Praktiken.

Der menschliche Körper als corps-castelet fungiert im offen gespielten Figurentheater mitunter als gegenständliche Spielfläche für Puppen und Objekte, womit er seiner Position im Aufmerksamkeitszentrum einer Inszenierung enthoben wird. In diesem Fall ist er ein Darstellungsmittel unter vielen, in einem Netzwerk menschlicher und dinglicher Akteure, die ihre je spezifische Agency im Verhältnis zueinander entfalten. Wie bei einem Kaleidoskop zerlegen sich im Figurentheater Körper und setzen sich neu zusammen. Dinge, in variantenreichem Kontakt mit den Spieler_innen, fungieren als deren Erweiterungen: Das Knie wird zum Gesicht, über die Hand wird eine Puppe gestreift, ein Dialog zwischen Knie-Gesicht und Puppe beginnt.

Mit der Erweiterung, Verdopplung, Überlagerung oder Hybridisierung des menschlichen Körpers geht dessen Zersplitterung in voneinander unabhängige Figuren einher. Normativ holistische Körperbilder und die ihnen zugrundeliegenden Diskurse werden so aufgebrochen und die Idee der Identität als geschlossene Einheit hinterfragt. Figurentheater wird auf unterschiedlichste Weise zum Laboratorium für Identitätsentwürfe. Seine Spielmittel und Instrumente erlauben experimentelle Versuchsanordnungen, die der Frage nachgehen, wie menschliche und nicht-menschliche Identitäten wahrgenommen werden, wie sie durch Spieltechniken generiert und im Spielprozess transformiert werden.

Dies geschieht nicht nur in den Figurentheaterinszenierungen Ilka Schönbeins oder der Mossoux-Bontés mittels fragmentierter Körper, sondern auch durch Arbeitsweisen des Objekttheaters, etwa im Fall der Agentur der Objektdetektive „El Solar“, die den biographischen Spuren von Alltagsgegenständen nachgehen, oder der Produktion Invisible Lands von Livsmedlet Theatre, in welcher die Künstler_innen ihre eigenen Körper und Spielfiguren nutzen, um sich mit geopolitischen Fragen rund um das Thema Flucht auseinandersetzen. Auch Produktionen wie Wax vom TJP Strasbourg oder 3 Akte von Antje Töpfer gehen aktiv mit Identitätsentwürfen um. Hier werden Materialien wie Wachs, Stoff, Papier künstlerisch untersucht, um Figuratives zu generieren, zu transformieren und zu zerstören.
 
Die Dekonstruktion anthropozentrisch-holistischer Identitätskonzepte durch die dem Figuren-, Objekt- und Materialtheater eigenen Techniken und Ästhetiken kann sich wiederum produktiv auf aktuelle schauspiel- und theatertheoretische Entwürfe auswirken.
 
Beiträge mit unterschiedlichen Ausrichtungen und Perspektiven sind willkommen. Besonders erwünscht sind Arbeiten, die
  • sich schauspiel- und theatertheoretisch mit der Fragestellung befassen,
  • Gegenstände aus postkolonialer Perspektive bearbeiten,
  • Identitätsentwürfe im Figurentheater unter dem Gender-Aspekt erforschen,
  • aus Sicht der Disability Studies aktuelle Figurentheater-Produktionen analysieren,
  • in Hinblick auf New Materialism und Enhanced Humanity die Verhältnisse von Menschlichem und Nicht-Menschlichem untersuchen

 

Sektionen

  1. Identitätskonzepte: Inwiefern werden durch die Spielformen der (im Prozess der Aufführung) fragmentierten und neu zusammengefügten, prekären Körpereinheiten im Figurentheater neue Identitätsentwürfe ermöglicht und Trans-Identitäten generiert?
  2. Körperkonzepte: Wie werden Körperkonzepte durch die materielle Doppelung, Kontaminierung oder Hybridisierung menschlicher und nicht-menschlicher, belebter und dinglicher Körper auf der Bühne demonstriert, kommentiert, hinterfragt?
  3. Theaterkonzepte: Welches Potenzial kommt dem Figurentheater zur Reflexion der Verhältnisse von Akteur_in, Objekt und gespielter Figur zu? Wie werden die Relationen von Schauspielertheater und Theater der Dinge auf der Bühne verhandelt?
  4. Agency: Wie macht Figurentheater die Agency der Dinge offenbar und bildet so einen geeigneten Ort zur Reflexion komplexer globaler Akteur-Netzwerk-Verschränkungen?
 
Die Tagung Uneins. Identitätsentwürfe im Figurentheater findet am 23. und 24. Januar 2020 an der Universität Bern und der Hochschule der Künste Bern statt.
 

Einreichung

Bitte reichen Sie Ihr Abstract (300 Wörter) nebst Kurz-CV und Publikationsliste per Email an figurentheater@itw.unibe.ch ein.

Ende der Einreichfrist: 7. Juni 2019.
Bis Ende Juli 2019 erhalten Sie von uns eine Antwort zu Ihrer Einreichung.
Die Abstracts können in deutscher, englischer oder französischer Sprache verfasst sein.
 
Die Vorträge im Rahmen der Tagung werden ebenfalls in diesen Sprachen gehalten.
Wir bemühen uns darum, mit einem Beitrag für Reisekosten und Unterkunft die Anreise und den Aufenthalt zu unterstützen. Auf eine Tagungsgebühr für die Vortragenden wird verzichtet.


Organisator_innen

Marcel Behn, Franziska Burger, Laurette Burgholzer, Angela Koerfer-Bürger, Nadja Rothenburger.


Scientific committee

Marcel Behn (Universität Bern), Franziska Burger (Universität Bern), Laurette Burgholzer (Universität Bern), Beate Hochholdinger-Reiterer (Universität Bern), Angela Koerfer-Bürger (Universität Bern & Hochschule der Künste Bern), Christina Thurner (Universität Bern), Andi Schoon (Hochschule der Künste Bern), Meike Wagner (Universität Stockholm).
 
 
Informationen zur Tagung: www.figurentheater.unibe.ch

Die vom Schweizerischen Nationalfonds geförderte Tagung wird von der Universität Bern in Kooperation mit der Hochschule der Künste Bern ausgetragen.