Vorgestellt: Alexej Vancl & Theater FIGURO

14. November 2022

Lieber Alexej, dass du heute im sächsischen Roßwein Figurentheater machst, ist mit Blick auf deine Biografie nicht selbstverständlich. Welche Stationen lagen bis zur Gründung von Theater FIGURO auf deinem Weg und wie hast du die Liebe zum Figurenspiel entdeckt?

Das waren einige Stationen und natürlich spielen Zufälle auch immer eine große Rolle: Ich bin in Kiew geboren und mit meiner Familie in die USA ausgewandert. Mit 18 habe ich in New York Informatik studiert. Als Nebenfach habe ich Germanistik gewählt, weil ich mich sehr für die deutsche Sprache und Literatur interessiert habe. Im Germanistikstudium bin ich dann mit der Malerei der Neuen Sachlichkeit in Berührung gekommen, in die ich mich verliebt habe. Nach meinem Abschluss arbeitete ich zunächst einige Jahre als Informatiker, doch ich merkte, dass mir etwas Wichtiges fehlte. Also bin ich mit meinem Ersparten nach Berlin ausgewandert und habe erst mal überlegt, was genau ich überhaupt machen möchte. Nach einem Jahr zog ich nach Leipzig und studierte dort an der HGB Bildende Kunst. Hier kam dann eins zum anderen: Ich lernte Martin Hufsky kennen, der eine Amateurgruppe im Bereich Figurentheater gründen wollte, und ein Nachbar von mir war Schauspieler. Mit der Zeit haben wir dann das Haus, in dem ich wohnte, in eine Bühne verwandelt und dort Vorstellungen gegeben. Parallel dazu habe ich Unterricht im Schauspiel genommen und Tanzkurse besucht, weil mir der Anatomieunterricht an der Hochschule zu mechanisch war und ich mehr über die Bewegungsqualitäten von Körpern lernen wollte. Wenn ich so darüber nachdenke, würde ich sagen, dass der Mix aus meinem persönlichen Umfeld, aus Bildender Kunst, Tanz, und der Frage, ob ich bei einer Amateurgruppe mitmachen will, mich schließlich zum Figurentheater geführt hat.

Seit 2013 wird Theater FIGURO von dir und deinem Partner Aleš Vancl geleitet. Wie sah die Ursprungskonstellation 2004 aus und wofür steht der Name?

Zu Beginn waren wir vier Menschen. Mir war recht früh ein gewisses künstlerisches Niveau wichtig, was aber nicht unbedingt der Anspruch der anderen Mitglieder war. Drei Jahre später ist die Gruppe dann auseinandergebrochen, und 2010 habe ich entschieden, das Theater zu meinem Hauptberuf zu machen. Der Name FIGURO leitet sich vom Verb Figurare ab, dass es im Lateinischen und Italienischen gibt. Es heißt gestalten, bilden, formen oder in der konjugierten Form auch ich gestalte oder ich zeichne. Außerdem gibt es eine Verwechslungsgefahr mit der berühmten Opernfigur Figaro, das fanden wir lustig und durch den Theaterbezug sehr passend. 2013 stieß dann Aleš dazu, der wie ich kein gelernter Puppenspieler ist, dafür aber auch aus der Bildenden Kunst kommt.

Alexej und Aleš Vancl © Theater FIGURO

Ihr entwickelt sowohl Stücke für Kinder und Familien als auch für ein dezidiert erwachsenes Publikum. Wie unterscheidet sich dabei euer Vorgehen?

Die Stücke für Erwachsene sind in der Entwicklung aufwändiger, länger und komplizierter, deshalb arbeiten wir da in größeren Teams und laden externe Regisseur*innen ein. Bei einem Kinderstück steht eine klare Idee im Vordergrund, die rüberkommen soll. Bei Inszenierung für Erwachsene gibt es mehr Ambivalenzen, da geht es um mehr als um eine Geschichte und dafür arbeiten wir gerne mit anderen Künstler*innen zusammen. Hier stehen eigentlich künstlerischer Erfahrungsaustausch und gemeinsames Suchen im Vordergrund, auch deshalb arbeiten wir so gern international, wie etwa mit Künstler*innen aus fünf Ländern in unserer letzten Produktion.

Inwiefern gebt ihr denn die Richtung eines Stücks vor und inwieweit wird die Regie einbezogen?

Wir versuchen, die regieführende Person bei der Konzeption eines Stückes mit einzubeziehen, weil in dieser Phase das Entscheidende entsteht. Natürlich ist allen Beteiligten klar, dass auf der Bühne etwas anderes passieren kann als das, was auf dem Papier entworfen wurde. Schwieriger ist es, wenn die Person, mit der man das Konzept entwickelt hat, plötzlich absagt und durch eine andere Person ersetzt werden muss, die nicht von Anfang an dabei war. Aber auch so eine Situation haben wir schon gut gemeistert.

Und was für Erfahrungen habt ihr bisher mit den verschiedenen Regisseur*innen gemacht?

Meiner Meinung nach gibt es drei verschiedene Regietypen: Als erster Typ fällt mir der tyrannische Regisseur ein, der erwartet, dass all seine Ideen belebt werden und der keine Abweichung duldet. Dann gibt es das dritte Auge, eine Person, die nur guckt und ein bisschen was sagt, aber eher wenig vorgibt. Zuletzt gibt es den Regisseur als Freund. Das ist jemand, der mit einem zusammen am Konzept gearbeitet hat, eigene Ideen einbringt und danach sucht, was deine Stärken sind. Der z. B. fragt, was du als Spieler für Fähigkeiten und Talente mitbringst. Der versucht, das Beste mit dir und aus deinem Potenzial heraus zu erarbeiten. Das sind mir die Liebsten, daher kann ich nur raten: werdet Freund*innen!

Um sich externe Regisseur*innen leisten zu können, braucht es natürlich erst Geld.

Das stimmt. Wenn Leute nicht gut darin sind, Anträge zu schreiben, werden sie nicht gefördert. Egal, ob sie gute Spieler*innen sind oder tolle Ideen haben. Da braucht es ein Umdenken in der Förderpolitik. Es hat auch Jahre gebraucht, bis ich das gelernt habe. Freund*innen haben mir gezeigt, was ich wissen muss, und irgendwann habe ich verstanden, wie es geht. Dann macht es auch Spaß, wobei ich diese Form von Theatermanagement nur mache, um zu spielen, nicht andersrum.

Apropos Spaß: Was war der lustigste oder seltsamste Ort, an dem ihr als Tourneetheater bisher gespielt habt?

Besonders in Erinnerung geblieben ist mir ein Pferdestall in Nordsachsen. Das war der Schwarzbachhof in Sprotta. Die dortige Pferdezüchterin Julia Stichel war begeistert von unserer Produktion „Paradies“ und lud uns ein, auf ihrem Hof zu spielen. Sie sagte, sie habe einen Raum und viel Publikum. Ich dachte zuerst nicht, dass das geht, doch sie besorgte die gesamte Technik (und das war allerhand) und versorgte die Pferde außerhalb, sodass wir tatsächlich im Stall auftreten konnten. Es roch natürlich nach Tieren, aber das hat erstaunlich gut gepasst, weil die Protagonisten in unserem Stück sehr abgehoben sind. Es gab sozusagen einen zusätzlichen olfaktorischen Kommentar. Wir haben zwei Abende gespielt und die Vorstellungen gehörten zu den besten, die wir je gegeben haben. Die Gäste kamen alle aus der Umgebung und waren völlig begeistert.

"WAND | LUNG" © Theater FIGURO

Zuletzt hatte eure neue Produktion „Eros & Thanatos“ Premiere. Darin verbindet ihr Sigmund Freuds frühes Interesse an Insektenforschung mit seinem psychoanalytischen Denken in dem Werk „Jenseits des Lustprinzips“. Welche Projekte stehen zukünftig bei euch an?

Ich fand Freud schon immer interessant und lese ihn eher als Schriftsteller, denn als Wissenschaftler. Vielleicht wird es nicht das letzte Projekt mit ihm gewesen sein. Doch als nächstes werden wir eher kleine Projekte machen und schauen, wie sich die Förderpolitik 2023 verändert und was dann in Sachsen möglich sein wird, denn hier gibt es ziemlich viele Künstler*innen und das Land hält sich leider nicht an die branchenüblichen Mindestgagen.

Zuletzt noch eine Frage zu deiner Tätigkeit bei der UNIMA Deutschland. Seit diesem Jahr bist du dort 2. Vorsitzender. Was hat dich motiviert, dich zur Wahl zu stellen und wofür setzt du dich ein?

Zuerst war ich unsicher, ob ich mich zur Wahl stellen soll, da ich mich neben meiner Arbeit für das Theater FIGURO in zwei Vereinen engagiere. Aber dann begann der Angriffskrieg gegen die Ukraine, und ich wusste, bei der UNIMA kann ich Menschen helfen und etwas bewegen. Recht früh hatte dann die 1. Vorsitzende Ruth Brockhausen die Idee, private Unterkünfte für ukrainische Figurenspieler*innen und ihre Familien bei deutschen Kolleg*innen zu organisieren. Tatsächlich konnten wir so einigen Menschen helfen. Ich habe sie dann z. B. telefonisch von der ukrainischen Grenze bis zu ihrem Ankunftsort in Deutschland begleitet. Ich war ständig im Gespräch mit der österreichischen, ungarischen und rumänischen UNIMA, um Hilfe zu organisieren. Das war sehr anstrengend, gerade mit Blick darauf, dass wir solche Projekte auf Ehrenamtsbasis realisieren. Falls das hier ein Anwalt oder eine Anwältin liest, der oder die uns ehrenamtlich unterstützen möchte, freue ich mich sehr über eine Kontaktaufnahme. Ein besonderer Dank geht übrigens an den Puppenspieler Bodo Schulte, der mehrere Menschen bei sich und in seinem persönlichen Umfeld unterbringen konnte. Zukünftig will ich die internationalen Beziehungen der UNIMA Deutschland weiter ausbauen und die Figurentheatergemeinschaft zu mehr Zusammenarbeit aktivieren.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Das Interview führte Christofer Schmidt

Titelfoto © Dara Hryb

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