Eine Leidenschaft, die nie ruht: Anke Meyer im Porträt
Wer Anke Meyer – wie der Autor dieser Zeilen – erst und vor allem als Figurentheaterkundige und Redakteurin des double-Magazins kennt, ist überrascht von ihrem übrigen Tun. Sie stand auf und hinter der Bühne, organisierte Festivals und analysierte Theater als Kritikerin. Zwanzig Jahre war sie fürs Deutsche Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst tätig. Und sie ist Mitgründerin des „double“-Magazins, dessen Redaktionsarbeit sie nun abgegeben hat. Dem Figurentheater wird sie erhalten bleiben. Für alle, die Meyer kennen, hätte man diesen letzten Satz nicht aufschreiben müssen. Die sähen das als Selbstverständlichkeit an.
Meyer, Jahrgang 1954, kommt aus einer „Puppentheaterfestival-Stadt“, wie sie es nennt: Braunschweig. Als großes Kind und Jugendliche hat sie das Festival besucht, erinnert sich noch an die Aufführung einer chinesischen Gruppe in den 60er-Jahren. „Ich habe nichts verstanden, aber man muss der Sache nicht folgen können, um total fasziniert zu sein. Dieses Gefühl habe ich mitgenommen.“ Für sie gehörte daher Puppentheater ganz klar zur Theaterkunst. Kaspertheater hingegen hat sie erst gesehen, als sie sich nach dem Studium intensiv mit Theater zu beschäftigten begann. „Das war richtig schlechtes Kaspertheater, so Kinder-Manipulations-Theater und das kann ich gar nicht leiden. Inzwischen habe ich allerdings die lustige Figur mitsamt der buckligen Verwandtschaft sehr zu schätzen gelernt - wenn sie klug und frech in Szene gesetzt sind.“
Praktische Erfahrung sammelte Meyer im Amateur- und Straßentheater, parallel zu ihrem Studium der Literatur- und Sprachwissenschaft, Erziehungswissenschaft und Kunstgeschichte, das sie 1980 abschloss. Als im selben Jahr in Braunschweig erstmals ein freies Theater ein eigenes Haus eröffnete, wurde sie als Ensemblemitglied angefragt. „Die Chance ergreifst du jetzt, dachte ich. Wissenschaft kannst du noch betreiben, wenn du alt bist.“ Zur geplanten Promotion über die Sprache von Frauen und Männern in Opernlibretti ist es dann nie gekommen. „Das Theater frisst einen auf mit Haut und Haar.“
Durch andere Schauspieler*innen kam Meyer mit Maskenbau und -spiel in Kontakt, lernte und bildete sich in Workshops weiter aus, etwa im No-Theater bei Yoshi Oida oder in Figurenführung bei Eric Bass. Sie selbst spielte und inszenierte über 15 Jahre in einer Mischung aus Schauspiel und Maskentheater. „Ich würde nicht behaupten, wirklich eine Puppenspielerin zu sein, aber ich habe mich mit diesem Medium auch künstlerisch-praktisch auseinandergesetzt.“ Unter anderem in gemeinsamen Produktionen mit dem Figurentheater Motte und dem Theater Fadenschein sowie in langjähriger Zusammenarbeit mit der Masken- und Puppenspielerin Crischa Ohler in Bochum.
Probenfoto "In der Mitte liegt die Nacht" mit Anke Meyer und Crisha Ohler, Regie: Ginka Tscholakowa (c) Klaus Wefringhaus
Mit Geburt ihrer Tochter war das für die freie Theaterarbeit existenzielle Touren für Meyer nicht mehr zu bewältigen. Auf der Suche nach einer Tätigkeit vor Ort kam sie 1995 zum Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, das damals von Silvia Brendenal geleitet wurde. „Es war der Beginn von zwanzig Jahren dfp. Das habe ich damals natürlich nicht gedacht. Es hat sich anfangs seltsam angefühlt, die Seiten zu wechseln und auf die Veranstalterseite zu gehen.“ Dabei erfuhr sie auch, wie viel Arbeit die Festivalorganisation bedeutet, gerade für ein kleines Team. „Als Künstlerin schimpfte ich schon mal über Festivalveranstalter, wenn der Raum nicht ideal war. Nun erlebte ich, wie schwierig es sein konnte, einen passenden Raum zu finden. Da lernte ich nochmal eine Menge dazu.“
Der zwischendurch aufkommenden Lust zu spielen und das Besondere der Bühnenluft zu atmen, folgte sie nicht, auch wenn sie gern an die Probenmomente zurückdenkt, wo man etwas entdeckt, das aus dem Zusammenspiel entsteht, „wo sich eine Figur erschließt, man ihrem Geheimnis nahekommt.“ Aber „zu schreiben, zu diskutieren, zu unterrichten ist ebenso erfüllend, wenn man Perspektiven abgleicht und auch streitet.“
Bis heute übernimmt Meyer regelmäßig Lehraufträge im Studiengang Figurentheater der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart. Aber bereits die 80er-Jahre hindurch lehrte sie an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig und an der Universität Hildesheim szenische Entwicklung und Maskenbau. Sie inszenierte damals bereits ortsspezifische Projekte, benutzte zum Beispiel in einer Maschinenhalle die Produktionsmittel mit. „Die Studierenden sind da mit ihren Masken auf den Maschinen herumgeklettert, und haben mit der Unwirtlichkeit, der latenten Unheimlichkeit des Raumes gespielt.“ Solche Ideen haben sie nie losgelassen. Zu Beginn ihrer Zeit am dfp lud sie Objekttheaterkünstler*innen und Musiker*innen zu einem szenischen Projekt zwischen und in den großen (leeren) Wasserspeichern ein, die sich über den Büros und der Bibliothek befanden (und immer noch befinden).
Viele Aufgaben erfüllte Meyer von 1995 bis 2015 als wissenschaftliche Mitarbeiterin und stellvertretende Leiterin des Forums: Konzeption und Organisation von Symposien mit und bei diversen Kooperationspartner*innen, Mitarbeit der künstlerischen Leitung des Fidena-Festivals, Bibliotheks- und Archivaufbau, Betreuung der Researcher in Residence und von Publikationen wie Gyula Molnàrs „Objekttheater“, nicht zuletzt die redaktionelle Mitarbeit am Portal der Figurentheaterszene, auf dem Sie gerade dieses Porträt von Anke Meyer finden. „Das Festival war natürlich eine fantastische Sehschule, auch wenn die Arbeit einen permanent gefordert hat. Nach der ‚Fidena‘ war stets vor der ‚Fidena‘.“
Moderation des vom dfp ausgerichteten Kurzvideo-Wettbewerbs "Kunstpiep" 2013 (c) Sara Hasenbrink
Und als ob das Engagement nicht reichte, gründete Meyer 2004 „double“ mit, das als unabhängiges Magazin die Reflexion über das Figuren- und Objekttheater noch einmal intensivierte. Hier übernahm sie 2014 sogar die Redaktionsleitung. Die Freude, wenn eine Heftausgabe fertig ist, erinnert Meyer an die Stückentwicklung. „Es ist alles erst lose und dann greift es mehr und mehr ineinander und man sieht, wie oder ob die Konzeption aufgeht.“
„Es ist genug“, sagt Anke Meyer über die Redaktionsarbeit. Nun sollen Jüngere die Heft-Regie übernehmen, sie selbst wechselt in den Beirat und wird bei Bedarf hin und wieder Artikel beisteuern. Ihren Nachfolger*innen wünscht sie viel Erfolg, denn “diese ehrenamtliche Arbeit ist schon daher wichtig, weil Reflexionen über Figurentheater kaum Raum bekommen. ‚Sie lassen die Puppen tanzen‘, habe ich erst neulich wieder gelesen. Das ärgert mich so.“ Seit Jahrzehnten hat sich die Floskel eingeschliffen. „Sie reproduziert nicht nur ein falsches Bild von Puppentheater, sondern hat auch noch einen sexistischen Hintergrund.“ Eines ihrer Seminare an der Ruhr-Universität Bochum zum Schreiben über Figurentheater hatte den Titel „Auf keinen Fall die Puppen tanzen lassen“.
Ab jetzt freut sich Anke Meyer einfach aufs neue „double“-Heft, das ihr in Braunschweig in den Briefkasten flattert. Sie ist nach 35 Jahren Bochum kürzlich in ihre Geburtsstadt zurückgezogen. „Es fühlt sich wie eine Mischung aus Neuanfang und Wiederkehr an. Es sind vertraute Wege, dem Festival hier war ich ja immer verbunden.“ Nur fünf Minuten Fußweg braucht sie zum Theater Fadenschein, dem Ausrichter des Internationalen Figurentheaterfestivals WEITBLICK, bei dem sie mehrfach Künstler*innengespräche moderiert hat. „Das mache ich auch als auf die siebzig Zugehende noch mit viel Freude.“ Außerdem unterrichtet Meyer weiterhin in Stuttgart und am Figurentheater-Kolleg in Bochum, 2021 erschien ein Buch über das Puppentheater Magdeburg, das sie gemeinsam mit Silvia Brendenal herausgegeben hat, ein Buchprojekt über das Figurentheater-Festival in Erlangen ist in Arbeit. Ruhestand – was ist das? Anke Meyer macht weiter.