Die Kinderversteher - Das Fundus-Theater in Hamburg

von Kerstin Turley

Fernab jeglicher Metropolen- oder Kiez-Attitüde residiert das Hamburger FUNDUS THEATER im bodenständigen Stadtteil Eilbeck in den Räumlichkeiten einer ehemaligen Tabakfabrik. Bescheiden ist der erste Eindruck von dem Theater im Hinterhof. Dabei sind die ansprechend gestalteten Spielpläne randvoll mit Aufführungen für die unterschiedlichen Altersstufen, die die kleinen und größeren Zuschauer in ein „Paradies der Zeichen“, in ein vielseitiges Spektrum an Theaterformen entführen.

Und damit nicht genug. Denn hier ist der Ort, an dem sich die Kinder auch ihr ganz individuelles Theater bestellen können. „Stell dir vor, du sitzt im Theater und siehst ein Stück, das von dir und deinen Freunden handelt. Was darf auf keinen Fall fehlen?“

1980 als freies Theater von Sylvia Deinert und Tine Krieg gegründet und bis heute im Duo geleitet, ist das FUNDUS THEATER seit dem Jahre 2000 kulturbehördlich als Privattheater geführt. Nach Anfangsjahren ohne eigenen Theaterraum hat das FUNDUS heute sieben feste Angestellte, wechselnde Projektmitarbeiter, gut 200 Vorstellungen pro Jahr, eine Auslastung von knapp 80% und ein Publikum mit unterschiedlichen sozialen wie kulturellen Hintergründen, darunter viele Theateranfänger.
So weit, so ähnlich zu finden bei vielen Kindertheatern. Doch neben den eigenen Kinderstücken, dem Premieren-Reigen ausgewählter Hamburger Theaterensembles sowie Gastspielen bundesweiter Gruppen gibt es viele Überraschungen auf der FUNDUS-Bühne.

Wie das Konzept des Theaters selbst, führt auch sein Domizil erstaunlich in die Tiefe. Weitläufige Projekträume, großzügige Probebühnen und eine geräumige Teeküche mit einem kommunikationsfördernden langen Tisch veranschaulichen, dass die Zuschauerräume und das Foyer im Vorderhaus längst nicht alles sind.
„Fundus“ steht für das bewegliche Theatergut, bedeutet Grundlage und Bestand und ist – hier ein kleiner Ausflug in die menschliche Anatomie – mit dem Zusatz oculi die lateinische Bezeichnung für den Augenhintergrund, auf dem sich die Welt spiegelt. So beschreibt es Sylvia Deinert in einem Vortrag an der Universität Hamburg und verweist damit auf das „Mehr“, welches das FUNDUS THEATER von einem reinen Theater für Kinder unterscheidet.

Außergewöhnlich ist das Theatermachen mit den Kindern, das seit 2001 als sogenanntes Forschungstheater umgesetzt wird. Maßgeblich konzipiert, geleitet und noch heute aktiv mitgestaltet von Dr. Sibylle Peters, bildet das Forschungstheater eine feste Säule im FUNDUS-Programm. In zahlreichen Publikationen lässt sich nachlesen, auf welchen fundiert (sic!) ausgearbeiteten theoretischen Grundlagen die praktische Theaterarbeit basiert.

Zunächst wird die übliche theaterpädagogische Reihenfolge umgekehrt: Schulklassen gehen hier nicht zuerst ins Theater, besuchen eine Vorstellung und reden anschließend über das Stück, sondern das Theater kommt in die Schule. Zu einem bestimmten Thema werden Gespräche geführt, Statements aufgezeichnet, Einfälle und Ideen festgehalten. Das „Theater auf Bestellung“ in der Reihe Forschungstheater thematisiert die konkrete Frage: Stell dir vor, du sitzt im Theater und siehst ein Stück, das von dir und deinen Freunden handelt. Was darf auf keinen Fall fehlen?
Die Antworten der acht- bis zwölfjährigen Kinder werden auf der Bühne unter Einsatz von digitalen und multimedialen Techniken umgesetzt, was den Kinder auf der Schwelle zum Jugendlich-Werden näher liegt als die klassischen Erzählformen des Kindertheaters.
Die Themen sind so bunt wie die Kinderfantasien selbst: Wundersuche, Schuluhr und Zeitmaschine, Geister in Schule und Theater, Astronaut-Sein auf der Erde, Flüssigkeiten (Liquids) oder demnächst Piraten. So bekommt im Forschungstheater jede Klasse oder Gruppe ihr eigenes Theaterstück, das jeder einzelne als Ideen- und Impulsgeber aktiv mitgestaltet und mitbestimmt hat. Es ist nachvollziehbar, welch tiefen Eindruck der Auftritt eines imaginären Pferdes haben muss, das nach Angaben der etwa zehnjährigen Schöpferin bei einer Aufführung unbedingt dabei sein sollte.

Das FUNDUS THEATER als Kinderversteher nimmt seine Zuschauer in jeder Altersgruppe ernst und weiß um die angemessene Ansprache. Denn Kinder und Jugendliche, so Sylvia Deinert, sind ein elementarer Bestandteil der Theaterprozesse. „Sie geben zurück, was dann wiederum in das (oder in ein neues) Stück einfließt.“ „Prozessorientiertheit, nicht Produktorientiertheit“ steht im Vordergrund, bestätigt Tine Krieg, „das Produkt Stück ist mit der Aufführung nicht zu Ende“.
Beide Theaterleiterinnen begannen ihren beruflichen Weg mit einem pädagogischen Studium, wonach das aktive Bühnengeschehen lockte. Sylvia Deinert ist seit 1977 freie Theatermacherin, Tine Krieg studierte ab 1976 Bildende Künste, um danach ebenfalls in das Theaterfach als Regisseurin, Spielerin und eben Leiterin zu finden. Verschiedene Lehraufträge sowie Sylvia Deinerts Aktivitäten in der UNIMA hielten die Verbindung zu internationaler Lehre und theoretischen Betrachtungen.

Kultursenatoren kamen und gingen, das FUNDUS THEATER blieb – und entwickelte sich stets weiter. Womit überzeugt FUNDUS die kulturbehördlichen Entscheidungsträger? „Durch Kontinuität“, sagt Tine Krieg. Und stellt ein zunehmendes Zusammenspiel von Schul-, Sozial- und Kulturbehörden fest, „etwas, was FUNDUS schon lange zuvor im Programm anstrebte.“ Die lange Zusammenarbeit mit dem gemeinnützigen Verein PROFUND zeigt die Verantwortung für Fragen zwischen Kunst und Kindheit. Auch die beständige Präsenz in der kulturpolitischen Öffentlichkeit mit qualifizierten und publizierten Beiträgen vermittelt eine Idee von der Ernsthaftigkeit und dem Respekt, mit denen hier im Hamburger Vorort Kindertheater gemacht wird.
Zugrunde liegt die Überzeugung: „Gutes Theater für Kinder und Jugendliche ist eine Schnittstelle für zukunftsorientiertes Handeln.“ (Sylvia Deinert, IXYPSILONZETT, 01.2011). Sicher sei es einfach, die Kinder mit altbewährten Gags zu begeistern und kurzfristig zu unterhalten. Doch darauf kommt es dem FUNDUS-Team gar nicht an.
Beide Theatermacherinnen wissen ganz genau, was sie wollen: „Nachhaltigkeit und Kontinuität“. Glamouröse Festivals auszurichten ist nicht ihr Ding, nicht kurzweilige Feuerwerke sollen entstehen, sondern langlebige Brandherde, die eine tief gehende Verbindung zwischen dem kleinen, und später erwachsenen Zuschauer und dem Theater an sich entfachen. Und wenn aus den kleinen Forschern große Forscher werden, die ihre ersten prägenden Theatererlebnisse mit einem Hinterhof-Theater in Hamburg verbinden, dann ist zu wünschen, dass dieses besondere Kindertheater sein außergewöhnliches Konzept noch lange verfolgen wird.

Kerstin Turley