Kreative Vielfalt - Das marotte-Figurentheater
Kreative Vielfalt und reger Austausch
Mit einer hohen Variationsbreite darstellerischer Formen wird die Umsetzung moderner Kinderbücher, traditioneller Märchenstoffe und auch experimenteller Stücke mit verschiedensten Figurenarten wie Handpuppen, Tischfiguren, Schattenspiel, Marionetten und Objekten realisiert.
Noch immer haftet so manches Klischee am Figurentheater, und auch im Badischen wird es gerne ins Umfeld der Jahrmarktsunterhaltung gerückt. Das spielerische Lernen durch unbelebte Stellvertreter ist ja Grundlage des Menschseins und wird vielleicht gerade deshalb unreflektiert als bedeutungslose Selbstverständlichkeit abgetan.
Geschichten erzählen, Gefühle transportieren
Dieser häufig anzutreffenden Unterschätzung des Genres wirkt die marotte bewusst entgegen und schafft es immer wieder, Figurentheater als ernstzunehmende mediale Ausdrucksform zu präsentieren. Bei Inszenierungen gehe es immer ums Ganze, betont Thomas Hänsel. Er komme aus der Stanislavski-Schule und somit sei es ihm wichtig, Geschichten zu erzählen, die Gefühle transportieren. Im Bereich der Emotionen lasse sich auch am klarsten die Faszination und die Magie des Figurentheaters ablesen. Die Kinder seien leicht mitzunehmen in eine Welt des Animismus, was von Darstellern stets respektiert und nicht ausgenutzt werden sollte
Das Theater wurde 1987 gegründet. Bereits seit Anfang der 1980er Jahre beherbergte der noch heute bespielte Raum ein Marionettentheater, das von Trude Reese mit einem starken persönlichen und individuellen Zuschauerbezug geleitet wurde. Ihr Tod im Jahre 1985 veranlasste die Stadt, einen Nachfolger zu suchen. Thomas Hänsel und Frank Soehnle ergriffen die Chance und gründeten ihr Theater unter der Bedingung, einen eigenen Ansatz verfolgen zu dürfen, der ein viel breiter gefächertes Repertoire an Spielformen beinhalten sollte. 1991 übernahm Thomas Hänsel die alleinige Theaterleitung, da sich Frank Soehnle, der freien Szene zuwenden wollte.
Erweiterung und Wandel
Zu einer Säule der badischen Kulturlandschaft entwickelte sich das Theater seit dem Ende der 1990er. In dieser Zeit haben zwei grundlegende Wandel stattgefunden: Zum einen erweiterte sich das Ensemble um Friederike Krahl, die als Mitglied der Gruppe „Theater Handgemenge“ viele Erfahrungen aus dem Bereich des Objekttheaters mitbrachte und eine „ganz andere Spielfarbe“ (Hänsel) beisteuern konnte.
Der zweite Wandel war die Zuwendung zur Neuinterpretation bekannter Kinderbücher, mitunter also populärer Marken und Franchises. Beginnend mit Pettersson und Findus wurde ein Markt aufgetan, der beständige Einnahmen und mehr Sicherheit versprach. Die Auswahl adäquater Spielformen und Puppenarten sei bis heute jedoch allen Beteiligten ein besonderes Anliegen, um die Stücke nicht zu einer bloßen Kopie werden zu lassen. Mittlerweile gehören zum Repertoire Michel in der Suppenschüssel, Der Grüffelo, Wickie und die starken Männer, Der kleine Eisbär, Ronja Räubertochter und Ritter Rost. Traditionelle Märchenfiguren wie Die Drei kleinen Schweinchen, Peter und der Wolf oder Hase und Igel sind natürlich immer noch genauso vertreten wie Puppentheaterveteranen vom Schlage eines Kaspers oder Räuber Hotzenplotz.
Fokus auf junge Zuschauer
Im Haus werden etwa 300 Vorstellungen im Kinder- und Abendprogramm gegeben, wobei es einen klaren Fokus auf junge Zuschauer gibt. Der Spielplan umfasst momentan 34 Kinderstücke aus eigener Produktion, welche zum größten Teil kurze Solostücke sind, die sich hervorragend zum Touren eignen, was 2012 zu über 400 Gastspielen in ganz Deutschland und Europa führte. Die Erträge aus den vielen Gastspielen stellen ein Drittel des Gesamtetats der marotte, die sich zu etwa 75 % selbst finanziert und mit über 80 % die höchste Sitzplatzauslastung aller Theater in Karlsruhe hat. Der einleitend angesprochene Ruf des Theaters sorgt auch dafür, dass kaum noch geworben werden muss, um dieses erfolgreiche Geschäftsmodell aufrecht zu erhalten.
Der verantwortungsvolle Umgang mit dem Kernpublikum zeigt sich in den differenziert erwogenen Altersfreigaben für die jeweiligen Stücke (ab 3, ab 4, ab 5, ab 7). Das Mindestalter von 3 Jahren ist für Hänsel essentiell für das Funktionieren eines gemeinschaftlichen Theatererlebnisses. Die Ordnungsparameter des Theaterraums stellten einen kulturellen Wert dar, der sich keineswegs im Selbstreferentiellen verliere. Vielmehr erhält der Besuch einer Aufführung einen perzeptiven Mehrwert, da es allen Beteiligten ermöglicht werde, tiefer in die Fiktion einzutauchen. Der Bekanntheitsgrad vieler Charaktere ist dabei ein zusätzlicher Reiz, werden doch die bereits vertrauten Bilder plastisch erfahrbar gemacht. Die relative strenge Einforderung der Regeln gegenüber Eltern und Veranstaltern (die zumeist positiv aufgenommen wird) steht einer leicht ironischen Herangehensweise Thomas Hänsels gegenüber, der bei aller Professionalität ein elitäres Verständnis von Puppentheater ablehnt. Es gehe bei aller Kreativität und Individualität der Künstler eben immer auch um Figurentheater als Unterhaltungsmedium, in diesem Fall für Kinder.
Ensemble mit verschiedenen kreativen Ansätzen
Die hohe Qualität der einzelnen Inszenierungen erklärt sich durch die Zusammensetzung des Ensembles, denn Claudia Olma, Carsten Dittrich, Friederike Krahl und Thomas Hänsel sind alle diplomierte Figurenspielerinnen und Figurenspieler, die an den Hochschulen in Berlin und Stuttgart ausgebildet wurden und feste Stückverträge besitzen. Die verschiedenen kreativen Ansätze der einzelnen Mitglieder sorgen für die Vielfalt der Darstellungsformen und schaffen einen konstruktiven Diskussionsraum, der die Möglichkeit gegenseitiger Kritik genauso beinhaltet wie gemeinschaftliche Projekte. Die Verbindung zwischen dem eigenen Anspruch an das künstlerische Wirken und dem Bedienen der Sehgewohnheiten junger Zuschauer herzustellen, ist eine Herausforderung, welche die Spieler immer wieder annehmen.
Ein Blick auf das regelmäßige Abendprogramm verrät zusätzlich, dass der Verwirklichung von Projekten über den Kinderspielplan hinaus stets Raum zur Verfügung gestellt wird. So führt Carsten Dittrich mithilfe des Geistes eines im Mittelalter verstorbenen Bäckermeisters durch das benachbarte Städtchen Ettlingen und präsentiert an Originalschauplätzen die dazugehörigen Sagen. Als Mitarbeiter des Institutes für postmortale Psychokinese machen Claudia Olma und Thomas Hänsel den (erwachsenen) Zuschauern im Zusammenspiel von Farben, Licht und Schatten eindrücklich die verloren geglaubte Gedankenwelt von Kaspar Hauser begreiflich und mit Kuscheltieren als Protagonisten erzählt Friederike Krahl leidenschaftlich und berührend von den Höhepunkten und Abgründen aus dem Gefühlsleben von Mann und Frau. Untermalt von Live-Musik schafft sie es dabei, die inhärente Kraft des Objekttheaters aufzuzeigen.
Das Festival marottinale und neue Pläne
Auch die jährliche Durchführung der marottinale, einem kleinen Festival für etablierte und junge Künstler der Figurentheaterszene, ist eher eine Herzensangelegenheit als finanzielles Kalkül. Zu einem großen Teil selbst finanziert, hat das vielfältige Festivalprogramm bereits ein treues, erwachsenes Stammpublikum gefunden und es kommen immer wieder neue Zuschauer, die sich von einzelnen Stücken angesprochen fühlen. Der rege Austausch zwischen Künstlern, Publikum und Veranstalter trägt indes dazu bei, das Verständnis für die oft belächelte Kunstform zu erhöhen.
Mit dem 25 jährigen Bestehen versucht das marotte-Figurentheater nun auch eine leichte Verschiebung des bisherigen Modells zu erreichen. Mit einer erhofften Förderungssteigerung sollen zum einen eine Kindertheatergruppe aufgebaut und Workshops gegeben werden. Zum anderen soll die Gastspielanzahl reduziert werden, um das künstlerische Potenzial des Ensembles und der Spielstätte besser zu nutzen. Stücke mit mehreren Beteiligten, intensivere Probearbeit und eine Konzentration auf das hauseigene Programm sind geplant. Ein Anliegen, das hoffentlich gehört und unterstützt wird.
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