Kolk 17 – eine Kulturinstitution für Figurentheater in Lübeck

von Katrin Ullmann

In Lübeck entstehen neue Synergien: Aus dem TheaterFigurenMuseum und dem Figurentheater Lübeck ist das „KOLK 17 Figurentheater & Museum“ hervorgegangen. Katrin Ullmann berichtet über die Geschichte beider Institutionen, über aktuelle Entwicklungen und zukünftige Pläne.

„Ich bin von der Sammlung immer wieder aufs Neue beeindruckt.“ Die Museumsleiterin Dr. Antonia Napp ist begeistert. Und auf die Frage, ob sie ein Lieblingsstück habe, antwortet sie: „Zu jedem Stück, was ich gerade am Wickel habe, entwickle ich eine Liebe.“ Beeindruckend ist die vielfältige Sammlung des Lübecker TheaterFigurenMuseums allemal: Mit mehr als 20.000 Objekten zählt sie zu den fünf größten in Deutschland und damit zu einer der bedeutendsten Kulturinstitutionen für Figurentheater im europäischen Raum. Seit Herbst 2015 leitet die studierte Kunsthistorikerin und Slawistin das Museum. Zurzeit unterzieht sie dessen Bestand einer eingehenden Inventur. Denn dieser ist aus seinem Stammhaus in der Lübecker Altstadt seit Anfang 2018 wegen aufwendiger Umbauarbeiten in ein Depot ausgelagert. Dort wird gesichtet, bewertet, archiviert und digital erfasst.

Auf knapp 1.500 Quadratmetern hat das Museum im Lübecker Gewerbegebiet CITTI-Park sein Ausweichquartier bezogen, bis es Ende 2023 das dann fertiggestellte, neue Gebäudeensemble im Kolk bezieht. So lange stehen unzählige Kisten, Kartons, Register und Regale, lagern Bühnenteile, sorgsam verpackte Figuren, Instrumente, Drehorgeln, Fotografien, Grafiken, Schattenspiele, Puppen und Plakate in einer weitläufigen Halle im ersten Stock über einem Kleider-Outlet. Zur Fensterfront hin befinden sich ein paar Büroräume. Im Stockwerk darüber hat sich das Figurentheater Lübeck – neben etlichen Umzugskartons und zahlreichen in Kisten und Koffern eingelagerten Inszenierungen – eine kleine Werkstatt und auch eine provisorische Theaterbühne eingerichtet. Denn seit Anfang 2021 sind das TheaterFigurenMuseum und das Figurentheater Lübeck unter dem Namen „KOLK 17 Figurentheater & Museum“ miteinander verschmolzen.

Die Geschichte des Lübecker TheaterFigurenMuseums und auch die des Lübecker Figurentheaters ist zugleich eine lokale und eine globale. Und sie ist vor allem eine, die von einer besonderen Sammlerleidenschaft erzählt. Der Kernbestand des Museums geht zurück auf Fritz Fey senior und dessen Sohn Fritz Fey junior. Fritz Fey senior findet nach dem Zweiten Weltkrieg zum Figurentheater: 1912 geboren, beginnt er 1944 im Lazarett, Handpuppenköpfe zu schnitzen. In der Nachkriegszeit zieht der gebürtige Eutiner mit Pferdefuhrwerk und Fahrrad, später mit einem Auto kreuz und quer durch Norddeutschland. 1977 lässt er sich in Lübeck nieder und eröffnet am 1. April im Kolk, einer schmalen Gasse im Südwesten der Altstadt – mit Unterstützung der hanseatischen Possehl-Stiftung – ein Marionettentheater. Als er 1986 stirbt, führt seine Frau Ingeborg das Theater bis 2007 weiter. Sie stirbt im Jahre 2011.

Der gemeinsame Sohn Fritz junior, Jahrgang 1940, wächst zwar in einer Puppenspielerfamilie heran, arbeitet aber zunächst als Kameramann. Doch die Faszination für die Puppen hat er offenbar im Blut. Für Fernsehdokumentationen bereist er die ganze Welt und erwirbt, wo immer er sich gerade aufhält, Theaterfiguren. Mit den Jahren wird die Sammlung umfangreicher, der Bestand größer, exotischer, internationaler, füllt sich mit seltenen Fundstücken aus Italien, Afrika, China, Japan und Indonesien. 1982 schließlich eröffnet das „Museum für Puppentheater“ und bezieht fünf 400 Jahre alte Lübecker Kaufmannshäuser – ebenfalls im Kolk, Ende 2012 geben Fritz und seine Ehefrau Saraswathi Fey die Sammlung und das Museum an die Possehl-Stiftung ab. Zu diesem Zeitpunkt ist es bereits eine einzigartige Sammlung und die Possehl-Stiftung, hervorgegangen aus dem Testament des Lübecker Kaufmanns Emil Possehl (1850–1919), bewahrt, fördert und erweitert diese. Possehl, ein einst bedeutender Unternehmer und reichster Bürger der Hansestadt, hatte als obersten Stiftungszweck in seinen letzten Wunsch „die Förderung alles Guten und Schönen in Lübeck“ vermerkt. Seither stützt und unterstützt die Possehl-Stiftung – neben etlichen anderen Einrichtungen der Hansestadt – das Figurentheater und das Museum, tätigt immer wieder besondere Ankäufe, wie etwa die des historisch bedeutsamen Nachlasses der Puppenspielerdynastie Schichtl.

2006 werden das TheaterFigurenMuseum und das Figurentheater in gemeinnützige GmbHs umgewandelt. Die Possehl-Stiftung erwirbt die Altstadthäuser im Kolk und wird bei beiden GmbHs Gesellschafterin. Kurz darauf, 2007, wird das Figurentheater Lübeck begründet, ein modernes Gastspielhaus für Figuren-, Masken- und Objekttheater. Mit seinem festen Kooperationspartner, dem Ensemble KOBALT Figurentheater Lübeck, entwickelt es unter der künstlerischen Leitung von Stephan Schlafke ein breitgefächertes Programm für Kinder genauso wie für Erwachsene, mit theaterpädagogischen Angeboten sowie einem alle zwei Jahre stattfindenden internationalen Festival. Aus dem recht traditionellen Lübecker Marionettentheater mit Guckkastenbühne und unsichtbaren Spielern im Hintergrund wird unter Schlafkes Leitung ein innovatives Figurentheater, das von der Finger- über die Handpuppe, von der Stock-, Klappmaul-, Stabfigur, über die bewegte Skulptur bis hin zur Marionette oder Großfigur alle möglichen Figurenarten spielt. „Als wir hier anfingen war das ein Kulturschock für die Leute“, erinnert sich Schlafke. Das breite Portfolio des mehrfach ausgezeichneten Figurentheaters reicht von „Dornröschen“ und dem „gestiefelten Kater“ über den „Schimmelreiter“, „Othello“ bis hin zum erst jüngst entwickelten Stück „Cherry-Picking Shakespeare – Perlen für die Königin“.

Eine Besonderheit bildet seit jeher die topographische Nähe zum Museum, das in derselben Gasse angesiedelt ist. Aber was die inhaltliche Zusammenarbeit angeht, „war da lange ein relativ tiefer Graben zwischen den beiden Häusern,“ berichtet Dr. Napp. Die Zusammenarbeit entwickelte sich erst nach und nach. Allmählich wurden Schwerpunkte aufeinander abgestimmt, gemeinsame Symposien abgehalten und – spätestens seit Beginn von Dr. Napps Amtszeit – dieser Graben geschlossen. So ist der gerade vollzogene Zusammenschluss der beiden Kulturinstitutionen nicht nur ein in die Zukunft weisendes Signal, sondern auch ein beglaubigendes Siegel, ein verbindliches Indianerehrenwort.

Bis Ende 2023 soll der Umbau des gesamten Gebäudekomplexes fertig gestellt sein. Es ist ein ausgeklügeltes Konzept, bei dem die historische Fassade der fünf roten Backsteinbauten des TheaterFigurenMuseums am Kolk samt Theater erhalten bleibt. Das Museum wird als Haus im Haus gebaut, der Abstand zwischen der alten, denkmalgeschützten Hülle und dem neuen Museum als Umgang und zugleich als zweiter Rettungsweg genutzt. Das Lübecker Architekturbüro Konermann + Siegmund hatte die Idee dazu und den Wettbewerb für sich entschieden. „Dieser Entwurf hat auch nochmal forciert, dass wir zusammenrücken, da wir dann einen gemeinsamen Eingang und ein Foyer haben“, erzählt Schlafke. Natürlich gab es viele Anpassungsarbeiten, von Museumsseite, was Sicherheit, Lüftung und Raumklima anbelangt, ebenso von Theaterseite, was einzelne Abläufe, die Sichtachsen und die Akustik betrifft. „Das ist komplex und deshalb war uns schon klar, dass nach der Wettbewerbsentscheidung erst einmal eine lange Phase kommen musste, in der Nutzeranforderungen angeglichen und in den Entwurf übernommen werden. Und so hat sich dieser dann ja nochmal wirklich geschärft“, fasst Dr. Napp zusammen.

Aufgrund der aktuellen Standards bezüglich Brandschutz, Technik, Fluchtwege und Barrierefreiheit sind die Räumlichkeiten letztlich kleiner, aber es entstehe mehr Professionalität in vielerlei Hinsicht. In den neuen Räumlichkeiten kann man etwa auch einfach mal eine Etage schließen und umbauen, während der normale Museumsbetrieb weiterläuft. Doch vor allem freut sich Napp, die Exponate nicht mehr nur in Vitrinen ausstellen zu müssen, sondern darauf, „dass wir dann diese Freiheit haben werden, den Raum als ästhetischen Raum zu inszenieren.“ Theaterseitig warten ebenfalls neue Herausforderungen, „weil der neue, etwa 120 Zuschauer fassende Saal deutlich mehr Möglichkeiten bieten wird. Und gleich in der ersten Neuinszenierung wollen wir versuchen mit dem Einsatz von Videoprojektionen einen weiteren Schritt zu gehen“, kündigt Schlafke an.

Über die Zusammenarbeit sind Frau Dr. Napp und Stephan Schlafke gleichermaßen glücklich, über den permanenten Austausch, die gemeinsamen Denklabore und die innovativen Ansätze und Konzepte, die daraus entstehen. „Wir merken, dass diese Synergien total super sind und man mehr und mehr zusammenwächst zu einem Team von Menschen, die sich mit dem Gleichen beschäftigen“, freut sich Napp. Die neue Institution KOLK 17 wird auch die bisherigen, eher disparaten Besucher- und Zielgruppen zusammenführen. Bisher verirrten sich vorwiegend Touristen auf der Suche nach dem berühmten UNESCO-Welterbe in die schmale Gasse hinter der St. Petri-Kirche und damit in das TheaterFigurenMuseum. Das Figurentheater hingegen kann mittlerweile auf ein festes, leidenschaftlich involviertes Stammpublikum zählen.

KOLK 17 wird Praxis und Wissenschaft zusammenrücken. Wird Forschergeist, Leidenschaft, Akademisches, Spielfreude, aber vor allem die Hingabe zum Figurentheater miteinander verbinden. Diese Hingabe, die Dr. Antonia Napp immer wieder zu einzelnen Sammlungsstücken entwickelt, ist „wie die Liebe zu unseren Puppen in dem Augenblick, in dem wir sie bespielen“, ergänzt Schlafke. So ist es nur folgerichtig, „wirklich die gesamte Jahresplanung aufeinander abzustimmen“, wie Dr. Napp abschließend bemerkt. Der erste Themenaufschlag wird sich der Bühne widmen. Jenen Brettern, die nichts weniger als die Welt bedeuten.

 

Fotos

  • Das Titelbild zeigt das neue Design von KOLK 17 nach dem Architekten-Entwurf von Konermann Siegmund Architekten.
  • Das zweite Bild (rechte Pfeiltaste anklicken) zeigt eine Mitarbeiterin im Depot bei der Objektdokumentation
  • Das dritte Bild zeigt eine Szene aus "Der Schimmelreiter" vom KOBALT Figurentheater Lübeck.
  • Das untere Bild im Fließtext zeigt Stephan Schlafke, Figurentheaterdirektor von KOLK 17 zusammen mit Dr. Antonia Napp, Geschäftsführende Museumsdirektorin von KOLK 17

https://kolk17.de

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