Tradition verpflichtet - Das Kölner Hänneschen-Theater

von Kerstin Turley

 

Die traditionsreichen Puppenspiele der Stadt Köln, vermutlich besser bekannt unter dem inoffiziellen Namen Hänneschen, sind nicht einfach nur ein Theater, sondern ein Phänomen.

Während Touristen aus aller Welt den nostalgisch anmutenden Schriftzug „Puppenspiele“ über dem Eingangsportal auf dem historischen Eisenmarkt in der Kölner Altstadt fotografieren, sitzen eben hinter dieser Tür Zuschauer, deren Anfahrtswege selten weiter als 50 km waren.

Für Besucher außerhalb des großkölnischen Zirkels ist es fast unmöglich, den Dialogen der Stabpuppen auf der Spielleiste zu folgen. Denn hier wird Kölsch gesprochen - ausschließlich, programmatisch und zum größten Vergnügen aller Beteiligten.

Das Hänneschen steht in der theatergeschichtlichen Tradition der Commedia dell'Arte, und hier wie dort findet sich ein immer wiederkehrender Figurenkanon. Die Charaktere sind in ihren Grundzügen festgelegt und treten zumeist als (Gegen-)Paare auf.

Die parodistisch angelegten Typen des Hänneschen bieten ein großes Identifikationspotenzial für das lokale Publikum, besitzen sie doch – vermeintlich – typisch kölsche Eigenschaften.

Die Figuren und ihre Wesenszüge sind vertraut, ebenso das topografische Setting im fiktiven Knollendorf, was deutliche Elemente der Domstadt zitiert.

Der Mikrokosmos Knollendorf als Spiegel und heimisches Gefilde gleichermaßen. In diesem Rahmen agieren die Puppen, dürfen den Zuschauern einiges um die Ohren hauen, sind frech, unverblümt und kommentieren tagesaktuelle politische Themen (letzteres besonders gefragt in den Puppensitzungen, die die alljährlichen Sitzungen des Kölner Hochkarnevals persiflieren).

 

1802 beginnt die Erfolgsstory der Puppenspiele, die von Christoph Winters, seines Zeichens Anstreicher und Alleskönner, gegründet wurden. Der findige Winters überzeugte die Kölner Stadträte, setzte sich hartnäckig gegen Konkurrenten durch und baute damit den Grundstock für das bis heute fest in der Kölner Kulturlandschaft verankerte Theater.

Das Hänneschen ist ein Kleinod, für dessen Erhalt sich der überaus engagierte Theaterwissenschaftler Carl Niessen eingesetzt hatte.

 

Seit 1926 hat das Hänneschen den Status einer städtischen Bühne inne und beschäftigt aktuell 28 Mitarbeiter, darunter 14 Figurenspieler. Trotz moderater Eintrittspreise arbeitet das Theater äußerst effizient und verweist auf eine durchweg hohe Auslastung.

 

Im Dezember 2012 übernahm die 45-jährige Frauke Kemmerling die Leitung und löste damit Heribert Malchers nach 24 Jahren Intendanz ab. Nach insgesamt sechs Spielleitern in der Geschichte des Hänneschen ist Frauke Kemmerling die erste Frau im Chefsessel.

Wobei ein Chefsessel sicherlich keinen Platz findet im Theatergebäude am Eisenmarkt, denn hierarchisches Denken ist nicht in Kemmerlings Sinne und „wäre im Ensemblesystem des Hänneschen auch nicht zielführend.“

Tatsächlich herrscht ein basisdemokratischer Geist im Hänneschen, der sich über die Generationen fortsetzte. Das liegt vermutlich auch daran, dass jeder Spieler neben seinen Figuren noch weitere festgelegte Arbeitsfelder hat, sei es in der Requisite, in der Programmheftgestaltung oder beim abendlichen Schminken der Puppenköpfe.

Die Atmosphäre im Haus ist freundschaftlich, humorvoll, aufmerksam und fast schon familiär. Von den Spielern hat keiner eine klassische Puppenspiel-Ausbildung, obschon sie überwiegend über vorangegangene Bühnenerfahrungen etwa als Schauspieler, Musiker oder Sänger verfügen.

Initiativ-Bewerbungen gebe es, „ja, aber eher selten“, erläutert Frauke Kemmerling. Fast alle Spieler haben einen persönlichen Bezug zum Hänneschen und kommen aus der Umgebung. Was logisch erscheint, ist doch die Grundvoraussetzung die Beherrschung der Muttersprache Kölsch. „Das Puppenspiel kommt später, das lernt man im Laufe der Zeit im Haus“, so Frauke Kemmerling.

 

Die Stücke selber kommen aus dem Haus, wobei die Autoren häufig gleichzeitig die Regie übernehmen. In ihrer Rollengestaltung sind die Spieler relativ frei und können im Rahmen der gesetzten Figurenprofile improvisieren und ausprobieren.

Grundsätzliche Entwicklungen der Figuren sind im Laufe der Zeit möglich, wenn sie von ihren langjährigen Spielern langsam aufgebaut werden. Als Beispiel führt Frauke Kemmerling die Figur des Speimanes (hochdeutsch in etwa: spuckender Hermann) an, der zu seinen Anfängen ein eher böser, vom Leben benachteiligter und Gift spritzender Gesell war. Mit den Jahren erhielt er eine liebevolle Nuance und bekam von seinem aktuellen Spieler Charly Kemmerling noch mehr Tiefe und eine leicht ironisierende Ebene, was großen Zuspruch bei den Zuschauern findet.

„Das Publikum mitnehmen“ ist ein Grundsatz von Frauke Kemmerling, für die „Tradition und Moderne im Hänneschen eben kein Widerspruch [ist], sondern vielmehr das Geheimnis des Erfolges dieses Hauses.“ (in „Hinger g'r Britz“, Mitgliederjournal des Fördervereins).

Dabei kennt sie das Hänneschen so gut wie ihre Westentasche, ist doch ihr beruflicher und privater Lebenslauf eng mit diesem Theater verbunden.

Mit der Puppensitzung 2013 liefert die designierte Intendantin ihren (Regie-)Einstand und wird angesichts der zu erwartenden Aufmerksamkeit fast nervös. Zum Glück lässt der aktuelle Arbeitsanfall für weit schweifende Gedanken gar keine Zeit, so viele Planungen wollen gemacht und Gespräche geführt werden.

Kemmerling sieht sich zu 80% als Kulturmanagerin und beschränkt ihr künstlerisches Wirken zunächst auf den verbleibenden Rest. Wichtig ist ihr der Ausbau der Kommunikation, sowohl intern als auch nach außen. Die allgemeine Web-Präsenz und die Kontaktpflege zu den anderen Kölner Theater- und Kulturinstitutionen sollen aufgemöbelt und ausgeweitet werden, Vernetzungen und Beteiligungen an großen Events (wie an der Kölner Theaternacht) in Gang gebracht werden. Das Hänneschen soll seinem Dasein als „Closed-Shop“ entwachsen und ein offenes Haus für sein Publikum werden.

 

Frauke Kemmerling wünscht sich für das Hänneschen eine allgemeine Wahrnehmung als Volkstheater, was es in ihrer Sicht vornehmlich ist. Sicherlich stehe das Hänneschen auf den zwei Säulen Kinder- und Erwachsenentheater, allerdings sei es aber nicht bloß Kinderbelustigung - es ist eben „etwas Besonderes“. Folgerichtig erteilt sie der Frage nach möglichen hochdeutschen Fassungen der Stücke eine klare Absage, denn grundlegende Aufgabe des Hänneschen war, ist und bleibt die Bewahrung der kölschen Mundart.

Künstlerische Reformen stehen derzeit nicht im Vordergrund, gleichwohl könnte sich Frauke Kemmerling eine Zuwendung zu „größeren Themen“ vorstellen und möchte zudem „Befruchtungen von außerhalb“, etwa im Bereich Regie, zulassen.

 

Neues aus Knollendorf? Bestimmt. Denn et bliev nix wie et wor. Was sicher bleibt, ist die große Liebe der Kölner zu „ihrem“ Hänneschen. Und in der Tradition wird das Hänneschen ewig jung bleiben.

 

Kerstin Turley