Stadt, Land, Welt – Das Erlanger figuren.theater.festival

von Meike Wagner

Seit über 30 Jahren ist das Internationale Figurentheater-Festival in Erlangen (mit den Partnern Nürnberg, Fürth und Schwabach) eine wichtige Größe für die Figurentheater-Szene, führt es doch alle zwei Jahre wie kaum ein anderes Festival das Figurentheater weit an die Grenzen seiner gängigen Genre-Traditionen.

Die Zusammenschau von Puppentheater, Tanz- und Medientheater und Performance-Kunst hat in Erlangen schon immer Methode und führt den Zuschauern erhellende Querbezüge von Figur, Material und Medien vor Augen.

Die Erfolgsgeschichte des Festivals hat seine Wurzeln im Jahr 1976, als Karl Manfred Fischer die Leitung der neu geschaffenen Kulturreferats-Abteilung „Bildende Kunst und kulturelle Programme“ in Erlangen übernahm. Innerhalb weniger Jahre etablierte Fischer drei Festivals, darunter 1979 das Figurentheater-Festival. Für dessen Programm orientierte er sich stark an der französischen Puppenspiel-Szene, die schon sehr früh künstlerisch innovatives und Genre übergreifendes Figurentheater für ein erwachsenes Publikum etabliert hatte.

 

Dieser Fokus auf innovative Ästhetiken mit großzügigen Seitenblicken auf benachbarte performative Kunstformen hat das Figurentheater immer in einen großen Maßstab gesetzt – die regionale Expansion war so nur die logische Folge: Seit 1981 war das Festival auf Nürnberger Spielorte ausgedehnt, 1983 wurde die Stadt Fürth gewonnen und 1989 Schwabach in den städtischen Festivalbund aufgenommen. Die Besonderheit dieser städtischen Kooperation ist bis heute die enge Zusammenarbeit und Abstimmung als Gesamtfestival bei gleichzeitiger programmatischer Eigenständigkeit der einzelnen Festivalstandorte. So gelang es etwa Schwabach, sich als Stadt des Papiertheaters im Festival zu profilieren.


In den finanziell gut abgepolsterten 1990er Jahren entstanden zahlreiche Formate, die über die Aufführungen hinauswiesen. So konnte im Rahmen des Festivals eine deutsche Edition des großen Journals PUCK entstehen, die jedoch leider nach der 6. Ausgabe im Jahr 2001 eingestellt wurde. Darüber hinaus wurden Workshops, Round Table-Gespräche und wissenschaftliche Vorträge angeboten. Diese Angebote bestehen trotz aller Finanznöte weiter und bieten in der Programmschiene des „Jungen Forum“ für Theoretiker, Künstler und   interessiertes Publikum besondere Einblicke in oder Gesprächs-Möglichkeiten über Figurentheater.


Erlangen ist nach wie vor das Herz des Festivals und verfolgt am stringentesten den Anspruch einer künstlerischen Begegnung zwischen Genre übergreifenden Figurentheater-Produktionen und figuren-, objekt-, medienorientierter Theaterkunst und Performance. Dabei ist das Erlanger Festival jedoch keineswegs avantgardistisch abgehoben, der jetzige Festivalleiter Bodo Birk, der 2003 das Amt von Karl Manfred Fischer übernommen hat, behält immer die Bedürfnisse seines lokalen und regionalen Publikums im Blick, wenn er vom hohen Stellenwert der städtischen Verankerung des Festivals spricht. Eine traditionelle Platzauslastung von 100% ist der Lohn für diese Festivalpolitik, die von der Stadt in die Welt und den Theater-Kosmos reichen möchte und der es immer gelingt, international, kosmopolitisch zu sein, ohne je den eigenen Ort als Bezugspunkt zu verlieren. Wer das Festival in Erlangen besucht, der weiß, welche wichtige Rolle das städtische Setting für die Festival-Atmosphäre spielt. Die Veranstaltungsorte sind fußläufig voneinander entfernt und man hat – ähnlich wie beim „Festival Mondial“ in Charleville-Mézières – das Gefühl, während der zehn Festivaltage atmet die kleine fränkische Großstadt Erlangen förmlich Figurentheater.


Vielleicht hat diese Eigentümlichkeit des Erlanger Festivals auch mit seiner immer noch einzigartigen Organisationsform zu tun. Die Festivalmacher – mit Bodo Birk ein Vierer-Team – sind weiterhin Angestellte des städtischen Kulturreferats und mit der Hilfe von zusätzlichen Honorarkräften zuständig für die Planung und Durchführung der drei Erlanger Kultur-Festivals. Damit bleibt es bei einer soliden Struktur, die langfristige Planungen, Konsolidierungen von Visionen bei gleichzeitiger Einbettung in kulturpolitische Rahmungen der Stadt ermöglicht. Hinzu kommen städtische Haushaltsmittel von ca. 240.000 € (Bezugsgröße ist das Festival 2013) bei selbst erwirtschafteten Mitteln (Eintritte, Sponsoring, Anzeigen etc.) von etwa 185.000 €. Weit mehr als 50% des Festivalbudgets werden also von der Stadt Erlangen bestritten. Diese Zahlen sprechen von einer äußerst günstigen ökonomischen Situation des Figurentheaterfestivals in der städtischen Kulturpolitik. Davon können andere Figurentheater-Festival nur träumen.


Dass diese kulturpolitische Einbettung auch schwierig sein kann, erlebten die Festivalmacher im Jahr 2010. Völlig unerwartet strich damals der Erlanger Stadtrat die Haushaltsmittel des Festivals komplett und kündigte das ‚Aus’ für die Festivalausgabe 2011 an als Maßnahme zur Sanierung des städtischen Haushalts. Dass es sich hier nur um Symbolpolitik handelte, war allen Beteiligten klar: der kulturelle Anteil am Haushalt ist so gering, das Defizit der Stadt wurde kaum merklich beeinflusst. Den Festivalmachern waren als städtische Angestellte politisch die Hände gebunden – der Beschluss des Stadtrats galt als politische Weisung.


In dieser Situation wurde nun aber die Reichweite und das ‚standing’ des Figurentheater-Festivals in Erlangen, Deutschland und auf der internationalen Ebene bewusst. Ein Tsunami des Protests erreichte die Erlanger Stadtpolitik. Künstler und Kuratoren, Theaterwissenschaftler und Publizisten bewiesen dem Oberbürgermeister die Wichtigkeit des Festivals mit Protestbriefen und Presseberichten. Zahlreiche öffentliche Demonstrationen der Erlanger Bürger machten ganz deutlich, dass es auch in der Stadt ein großes Theater-Bedürfnis gibt und die Erlanger nicht auf ihr Figurentheater-Festival verzichten wollen.


Letztlich wurde die Durchführung des Festivals 2011 durch den spontane Einsatz des Großsponsors Siemens ermöglicht, so dass das Festival-Programm ohne größere Einbußen realisiert werden konnte. Doch jetzt, im Jahr 2013, zeigt sich die Wirkung der öffentlichen Protestwelle: das Festival ist heute unbestritten, das Budget schließt an das Volumen von 2009 an – mit der gewohnten Unterstützung durch städtische Haushaltsmittel. Mit ziemlicher Sicherheit hat diese kulturpolitische Krise in der Stadt Erlangen das Figurentheater-Festival sogar gestärkt und im Stadtrat ein größeres Bewusstsein über die Relevanz des Festivals für die Stadt, das Land und die Welt der zeitgenössischen Figuren/Theater/Kultur reifen lassen.


Ungebrochen lebendig und spannend zeigt sich so das diesjährige Festivalprogramm. „63 Kompanien, 17 Länder, 130 Vorstellungen“ vermerkt die Festivalbroschüre auf dem Titel – das ist eine Menge Theaterkunst in kurzer Festivalzeit. Wer mag, der kann sich also problemlos einmal mehr dem halluzinatorischen Festivalwahnsinn ergeben, der einem nach unzähligen Glücks- und Erschöpfungsmomenten ganz neue Erkenntnisse über die ästhetische Sinnlichkeit von Figurentheater bescheren kann.

 

www.figurentheaterfestival.de