Die aktuelle Kritik

Schaubude Berlin: Neustart mit Tim Sandweg

von Tom Mustroph

Bilanz einer Eröffnung mit der Berlin-Premiere von "Ressacs" und dem "Dystopischen Salon".

 

Das Ding und das Digitale

Links eine große Ampelkreuzung mit der Leuchtreklame eines Supermarkts dahinter, rechts die dunkle S-Bahn-Brücke sowie gleich daneben die Billig-Glitzerwelt von Strauss Innovation. Mittendrin die Schaubude, die sich in diesem urbanen Unort zur Neueröffnung mit seltsamen Objekten im Schaufenster zu behaupten versucht. Tonbandkassetten sind da zu entdecken, mal mit Kuschelrock, mal mit einer Show vom Zirkus Krone bespielt, Herzen jeder Art, eine Spinnenkrake aus einem Überraschungsei, ein Leuchtturm, ein Fernglas und ein Wecker. Es sind Objekte, die Geschichten erzählen. Die Geschichten erfährt man, wenn man sich hineinbegibt ins Foyer der Schaubude und in dem Katalog der Ausstellung "Irgendwas mit Liebe" blättert. Die Telefonkarten erzählen von einer Telefonbeziehung, deren Episoden - in den Zeiten vor Skype - immer nur so viel Gesprächsminuten andauerten, wie das Guthaben erlaubte. Mit der Spinnenkrake ist die Geschichte einer Frau verbunden, die so weit in die Demenz abtauchte, dass sie ihren Urenkel vergaß; er hatte ihr die Krake aus dem Überraschungsei, das er mit eigenem Geld gekauft hatte, geschenkt. Das Fernglas schließlich ist Handlungsstück einer Dreiecksbeobachtungssituation von Nachbarn aus einander gegenüberliegenden Wohnungen.

Es sind 50 Objekte, und damit 50 Geschichten. Mit ihnen könnte man eine ganze Spielzeit, ach was, eine ganze Intendanz bestreiten. Mitgebracht hat sie Tim Sandweg, der neue Leiter der Schaubude, aus seinem alten Arbeitsort Magdeburg. Dort wurden Menschen nach Objekten und den dazugehörigen Geschichten befragt. Geschichten, die in Dingen stecken, sollen das Programm der Schaubude prägen, das bestätigt Tim Sandweg im Gespräch. Das "Festival der Dinge", zur Marke geworden unter Sandwegs Vorgängerin Silvia Brendenal, solle ebenfalls eine Fortsetzung erfahren.

Einige der Ding-Geschichten aus dem Schaufenster fanden schon beim Eröffnungsprogramm einen Widerhall. Der Leuchtturm - es handelt sich um ein Feuerzeug in der Form eines Leuchtturms -  hätte gut gepasst in die Berlinpremiere "Ressacs" (Brandungen) der belgischen Compagnie La Gare Centrale. Agnes Limbos und Gregory Houben spielen darin ein Paar, das alles verlor, Haus, Auto, Garten, selbst das Hemd und später den Hund. Nur ein Boot blieb. Das leitete ein Inselabenteuer ein, mit neuen "Freitag"-Geschichten, nur kolonialistischer noch als bei "Crusoe"-Autor Daniel Defoe, der ja noch das befreiende, selbst behauptende Potential des handwerklich orientierten Frühkapitalismus betonen wollte. Jetzt, in dieser Spätversion des Kapitalismus, geht es um Raffen statt Machen. Und das wird deutlich in diesem Kammerspiel, in dem Limbos & Houben meist am Tisch sitzen, der Landschaft ist, Meer oder Insel, und auf dem sich die Objekte bewegen, die gerade Handlungsträger sind.

Die gleichzeitige An- wie Abwesenheit, wie sie die Telefonkarten aus dem Schau-Fenster der Schau-Bude signalisieren, stand im Mittelpunkt von Sandwegs Kerneröffnungsprojekt: dem dystopischen Salon. Auch hier ging es um Formen der Abwesenheit, alte und neue, Objekt-gebundene und Medien-gebundene. Diesen medialen Aspekt, das Medium verstanden als virtuelles Objekt, als virtuelle Figur, will Sandweg in Zukunft stärker in den Fokus der Schaubude stellen.

Der dystopische Salon begann denn auch mit dem Klingeln eines Telefons, eines altertümlichen Apparats, im Foyer. Eine Zuschauerin, die abhob, wurde aufgefordert, den Sekt auszuschenken. Weiteres Telefonklingeln führte zu weiteren Anweisungen, bis man dann endlich im Salon saß - der allein durch die Stimme der körperlich abwesenden Gastgeberin geführt wurde.

Vier Gäste hatte sie, alle mit Erfahrungen in Sachen An- und Abwesenheit. Die Electronic-Combo atelierTheremin verblüffte mit virtuosem Spiel des Instruments, das berührungslos, nur durch die Modulation eletromagnetischer Wellen durch die Hände, Klang erzeugt. Erfunden wurde es vom russischen Physiker und Violionisten Lew Termen, der in den 20er Jahren auf US-Tournee sein Publikum derart begeisterte, dass sich der Name "Geistermusik" einprägte. Termen wurde später von Stalin ins Gulag gesperrt und entwickelte danach, noch im Gefängnis, als Akustikexyperte Wanzen für den KGB, bevor er nach Mauerfall fast 100jährig verstarb.

Gut hätte mit ihm Ulrich Makowski Kontakt aufnehmen können, der zweite Gast des Abends. Er präsentierte sich als Medium, als jemand also, der Kontakt mit Verstorbenen aufnehmen kann. Und er erzählte auch davon, dass diese Geister oft "durch ihn hindurch" sprächen. Das wiederum hätte Joachim Kruse interessieren können. Dieser junge Mensch gab vor, an der Technologieschmiede MIT an einer Art organischem Plasma zu arbeiten, mit dem sich die Gedanken eines Menschen auf einen anderen übertragen lassen. Geistertechnologie für Neugierige also, Entzauberungstool für Romantiker und Ankaufsobjekt Nr. 1 für Geheimdienste und andere paranoide Institutionen. Kruse zeigte dann aber ein so wirr-parodistisches Reenactment eines MIT-Versuchs, dass alle Befürchtungen über ein NSA-geführtes Auslesen der Gedanken und Vergooglisierung des eigenen Hirns als eine doch eher ferne Dystopie abgelegt werden konnten. Auf der Homepage des MIT war Kruse denn auch nicht zu finden, im Gegensatz zu Makowski, der seine überirdischen Kommunikationsdienste per Website offeriert. Echt im Netz und echt im Leben ist Elisabeth Rank. Die Redakteurin der deutschen Ausgabe von "Wired" wartete aber nur mit dem banalen Statement auf, dass Facebook-Accounts auch Jahre nach dem Ableben ihrer Betreiber noch Algorithmen-basiert Gebrtstagserinnerungen versenden. Nun ja, ein kleiner Hinweis darauf, warum das einstige Hacker-Fanzine aus Kalifornien - zumindest in der deutschen Version - zum Mainstreamprodukt mutiert ist.

Der Salon, den Sandweg in halbjährlichem Rhythmus plant, unterstreicht die Absicht, sich den Herausforderungen und Möglichkeiten des Digitalen auch für das Genre zu stellen. "Das ist die Zukunft des Objekttheaters, sich auch mit virtuellen Objekten auseinanderzusetzen", meinte Sandweg. Durch den Salon wurden erste Kontakte zur Hacker- und Gamerszene geknüpft. Auch eine engere Kooperation mit den Game-orientierten Puppenspielern um Friedrich Kirschner, Professor für digitale Medien an der Abteilung Puppenspiel der Hochschule Ernst Busch, ist angestrebt.

Zweite neue Säule der Arbeit ist die Entdeckung der osteuropäischen Figurentheaterszene. Das Gastspiel "Margarethe" - eine Auseinandersetzung des polnischen Künstlers Janek Turkowski mit 64 Super 8-Filmrollen - ist ein Anfang. Die alten Qualitäten der Schaubude sollen aber nicht vernachlässigt werden, wie das Gastspiel von La Gare Central und auch die Einladung vom Figurentheater Wilde & Vogel - mit der deutsch-polnischen Koproduktion "FAZA REM PHASE" - belegen. Perspektivisch will Sandweg die Schaubude als einen der drei wichtigsten Objekt- und Figurentheaterstandorte in Deutschland - neben FITZ! und Lindenfels - erhalten und ausbauen und zukunftsfähig werden durch die vertiefte Auseinandersetzung mit dem Digitalen.

Dass dabei die Realweltobjekte nicht außer Blick geraten sollen, zeigt auch die Ausstellung im Schaufenster. Hier ist nur schade, dass das prägnanteste Objekt, die Euro-Palette, auf der viele der kleinen Dinge befestigt sind, nicht ebenfalls als Geschichtenträger, als lokaler Geschichtenträger aus Berlin zudem, beachtet wurde. Ein Theater der Dinge in Berlin sollte in Zukunft Dinge aus Berlin ernster nehmen.

 

Foto: Alice Piemme (Szene aus "Ressacs")

 

Premiere "Der dystopische Salon": 17. September 2015

Berlinpremiere "Ressacs": 18. September 2015

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