Die aktuelle Kritik

Numen Company, T-Werk Potsdam: "Hero"

Von Tom Mustroph

Lädierte Subsubjekte: Die Numen Company kreiert in „Hero“ einen suggestiven wie verstörenden Beziehungsreigen

Am Anfang steht das Ornament. Am tiefschwarzen Bühnenhintergrund fügen sich Lichtpunkte zu Mustern. Die verschieben sich unmerklich, so sacht zunächst, dass man glauben mag, die Veränderungen rühren vom eigenen Blinzeln her. Ein bisschen zu früh beschleunigt sich dann die Dynamik der Verwandlungen. Muster gebären neue Muster. Und schließlich schält sich der übergroß wirkende Umriss eines Mannes heraus. Die Silhouette wird dreidimensional und erobert die Bühne, die plötzlich durch einen Lichtschacht erhellt wird. Ein erster Moment der Entzauberung. Denn der dreidimensionale Mensch da auf der Bühne wirkt winzig im Vergleich zur leuchtenden Silhouette, die sich gerade noch von der tiefschwarzen Wand abgehoben hat. Man kann das als Hinweis auf die Metamorphose deuten, denen Comicfiguren, Superhelden, wie der Titel der Performance sie herbeiruft, unterworfen sind, wenn plötzlich echte Menschen, echte Schauspieler, in ihren Umriss steigen. Dann wird der Umriss zwar vollkörperlich, mit der kompakten Dreidimensionalität geht aber jede Menge an assoziativer Aufladung verloren.

Dieser Entladung ist jetzt auch der Performer Tibo Gebert unterworfen, der zwar umhüllt in schwarzem Tuch, aber doch sehr nackt wirkend auf einer kargen Bühne steht. Die kommt nach dem geheimnisvollen Anfang zudem sehr schlicht und profan daher. Die Klebestellen des Belags werden im hellen Licht zum unfreiwilligen Bedeutungsgeber. Mehr Sorgfalt bei der Auswahl des Untergrunds wäre hier am Platz gewesen. Als neuer Kraftquell für das Bühnengeschehen kauert in einem entfernten Winkel eine kindsgroße Gestalt. Sie ist naturalistisch gearbeitet. Und für einen so kurzen wie zauberhaften Moment bleibt ununterscheidbar, ob es sich um ein regloses Menschenwesen oder um eine kurz vor der Beseelung stehende künstliche Figur handelt.

"Hero" © Joachim Fleischer

Diesem Wesen, fast leblos, aber doch nicht tot, nähert sich nun die entzauberte Heldenfigur. Erste Berührungen geschehen, Kinderfinger tasten über das Erwachsenengesicht. Erwachsenenfinger gleiten über den Kinderkörper. Positionen verändern sich. Durch immer wieder abrupt erlöschendes und wieder aufscheinendes Licht werden Episoden gerahmt. Zeit dehnt sich. Das ist durchaus eindrucksvoll. Man scheint einem Ritus beizuwohnen. Was sich aber auch ins Gemüt und ins Auge brennt, ist die latente Bedrohlichkeit der Situation. Im vorsichtigen Berühren, im Entdecken, scheint sehr viel Gewalt zu stecken. Es handelt sich um gerade noch bezähmte Gewalt, gewiss. Aber doch Gewalt. Auch durch die beständigen – und sich auf Dauer erschöpfenden – Wechsel von Licht und Dunkelheit entsteht der Eindruck von verbotenem Tun. Und immer weniger kann man sich des Gedankens erwehren, hier gehe es um Darstellungen von Missbrauch an Schwächeren, an Schutzbefohlenen.

Mit dem Programmzettel der Produktion lässt sich das alles irgendwie in Einklang bringen: Um verschiedene Facetten einer Persönlichkeit solle es gehen. Und natürlich können diese Facetten sich auch antagonistisch gegenüberstehen, als Subsubjekte miteinander kämpfen, sich ausnutzen, unterwerfen, miteinander verschmelzen und wieder kühlen Blickes auseinanderstreben. Warum Gebert und sein großes und auch prominentes Co-Leitungsteam (Regiemitarbeit: Joachim Fleischer, Choreografiemitarbeit: Laura Siegmund, dramaturgische Beratung: Tim Sandweg) sich für das Anspielen der Missbrauchsthematik im Kontext multipler Ichs entschieden hat, bleibt rätselhaft. Im Verlauf des Abends kommt noch eine übergroße pyramidale Gestalt ins Spiel, ein Oberpriester vielleicht, eine Verkörperung des Über-Ichs, ausgestattet auch mit einem Mutterschoß, in den sich Performer und Puppe zurückziehen und sich dort in goldenem Licht einer erneuten Metamorphose unterziehen.

"Hero" © Joachim Fleischer

Visuell ist vieles an „Hero“ eindrucksvoll, wie so oft bei Gebert. Man tastet sich in Halbtraumwelten, gelegentlich auch Alptraumwelten vor. In diesem Falle schien aber die Kompassnadel beim Trip durch Untergründe durch thematisch-magnetische Irritationen seltsam verwirrt. Zumindest zur Deutschlandpremiere des Stücks im Potsdamer T-Werk machte es den Anschein, als rühre dieser „Hero“ noch sehr in den Ingredienzen herum, die ihn in Zukunft ausmachen könnten. Ein klarerer Bauplan bei der Charakteralchemie wäre hilfreich, ohne dass er immer gleich klinisch klar erkennbar sein muss.

Atmosphärisch nimmt der Abend gefangen. Das ist seine große Stärke. Was er eigentlich erzählen will, bleibt aber schwach artikuliert. Vielleicht liegt das auch an der multiplen Väter- und Mütterschaft. Gleich 17 Institutionen aus mehreren Ländern schlossen sich zu dieser Koproduktion zusammen. Wenn nur jede zweite davon Einfluss haben wollte mit Anregungen an Form und Inhalt, wird das Kraftfeld, dem Gebert und die von ihm entworfene zauberhafte Puppe ausgesetzt waren, erschreckend deutlich. Bleibt zu hoffen, dass dieser „Hero“ sich von seiner Patchwork-Elternschaft noch emanzipiert und in einem ersten Schritt zu sich selbst findet, um sich dann wieder in je eigene Persönlichkeiten aufzuspalten und schließlich dem Programmzettel auch gerecht zu werden.

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Regie: Tibo Gebert

Konzeption/ Bühne/ Puppe: Tibo Gebert

Spiel: Tibo Gebert

Mitarbeit Regie: Joachim Fleischer; Gabriel hermand-Priquet; Laura Siegmund Musik: Jasmine Guffond

Video: Grit Schuster

Dramaturgische Beratung: Tim Sandweg

Licht: Joachim Fleischer

Kostüme: Iris Weber-Auvray, Tibo Gebert

Produktion/ Administration: Diane Sinizergues

PRODUCTION : Numen Company

CO-PRODUCTIONS : Festival Mondial des Théâtres de Marionnettes de Charleville-Mézières; Fonds franco-allemand pour le spectacle vivant Transfabrik; T-Werk Potsdam; Schaubude Berlin; TJP CDN de Strasbourg Grand Est; Figurteatret i Nordland; Conseil départemental de Seine Saint-Denis; Le Mouffetard - Théâtre des arts de la marionnette à Paris; Théâtre Au fil de l'eau (Pantin); Théâtre des Bergeries (Noisy-le-sec); Le Pavillon (Romainville); Centre Culturel Jean Houdremont (La Courneuve); Le Studio théâtre de Stains; La Maison du théâtre et de la danse (Épinay-sur-Scène); Le Théâtre du Garde-Chasse (Les Lilas); wunder. Internationales Figurentheaterfestival 2022 München; internationales figuren.theater.festival Erlangen

Weitere Spieltermine: 8. und 9. April in der Schaubude Berlin

Fotos: Joachim Fleischer

1 Kommentar
Peter Waschinsky
09.04.2022

Hero

Huhu, liest hier noch jemand?
Schön, daß Mustroph sich mal traut, deutlich zu kritisieren. Man kommt sich ja immer als Spaßbremse vor, wenn mans tut.
Meine Meinung:
https://generalanzeiger-waschinsky.de/index.php/blumen-und-tomaten/512-hero-tibo-geberts-puppen-premiere-in-der-schaubude

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