Die aktuelle Kritik

Kölner Künstler Theater: “Unter Fremden”

von Meike Hinnenberg

Versuch einer Antwort auf die Herausforderungen der Flüchtlingskrise.

 

Schwellenräume

Im Hintergrund steht der Gast als Übergangsfigur. Er befindet sich weder ganz hier noch ganz dort, sondern auf der Schwelle, das heißt am strittigen Ort, wo sich entscheidet, ob wir dem Anderen Raum gewähren oder seinen Platz okkupieren.
(Bernhard Waldenfels: Hyperphänome des Fremden)

Diese Schwelle verhandelt das dokumentarisch angelegte Jugendtheater "Unter Fremden", indem es Bezug nimmt auf Flüchtlingslager, Orte also, die weder hier noch dort liegen, die einen provisorischen Aufenthalt markieren und an denen sich jeden Tag entscheidet, ob wir den Anderen empfangen oder ihn abweisen. Intensive Recherchen in Notunterkünften und lange Gespräche mit Flüchtlingen gingen der neuen Arbeit des Kölner Künstler Theaters, das am 14. Februar 2016 Kölner Premiere feierte, voraus.

Das Stück beginnt im Dunkeln. Aus den Lautsprechern dröhnt dumpf ein Lied, das den Schlachtruf der DDR-Bürgerrechtsbewegung „Wir sind das Volk“ zitiert, der auf aktuellen Demonstrationen von Pegida & Co. neue, traurige Berühmtheit erlangt hat. Dass sich diese Parole, in der sich einst eine Widerständigkeit formulieren sollte, so leicht für fremdenfeindliche Zwecke instrumentalisieren lässt, hängt wohl mit einer Grundproblematik dieses Satzes und seiner einzelnen Elemente – Wir, Volk, Sein – zusammen: Wie und in welchem Namen lässt sich überhaupt ein „Wir“ formulieren? Ausschließlich auf der Basis eines identitätslogischen und nationalistischen Denkens? Oder gibt es ein „Wir“, eine Pluralität – ein Mit-sein, um einen Begriff des französischen Philosophen Jean-Luc Nancy zu gebrauchen –, das genau diese identitäre Logik unterläuft?

Es ist auf jeden Fall eine der großen Stärken der Inszenierung, dass sie in den Begegnungen der Charaktere auf der Bühne die einzelnen Elemente der Parole brüchig werden und die Frage nach einem anderen „Wir“ sowie anderen Möglichkeiten des Bezugs aufscheinen lässt.

Als das Licht auf der Bühne angeht, betreten nacheinander Karim (André Fängler), Alkova (Donia Touglo) und Stefan (Marcel Eid) die Bühne, auf der sich drei kleine, lediglich mit Stuhl und Bett ausgestattete Zellen befinden, die durch Vorhänge voneinander getrennt sind und an den begrenzten privaten Raum in Flüchtlingsheimen erinnern. Bruchstückhaft, unvollständig, ineinander verflochten beginnen sie ihre Geschichten zu erzählen – so, dass in diesen Berichten Raum bleibt für das, was sich jeder Erzählung, jeder Versprachlichung widersetzt.

Gleichzeitig zeigt die Inszenierung aber auch, dass diese Einzelschicksale nicht losgelöst von historischen oder politischen Prozessen zu denken sind: So hat Karim, dessen erster Fluchtversuch gescheitert ist, bereits während seiner anschließenden Haft in einem syrischen Gefängnis Deutsch gelernt, weil er dort die Möglichkeit hatte, Gebrauchsanweisungen der Waffen-Firma Heckler & Koch ins Arabische zu übersetzen. (Ironischerweise werden ihn genau diese Kenntnisse in Deutschland dazu befähigen, einen Anschlag auf ein Flüchtlingsheim zu verhindern und ihm eine Anstellung beim Kampfmittelräumdienst verschaffen). Und Alkova stammt aus Togo, einer ehemals deutschen Kolonie in Afrika. Sie hat bereits zwischen ihrem zweiten und achten Lebensjahr mit ihren Eltern in Duisburg gewohnt, wurde dann aber wieder nach Togo abgeschoben. Nachdem das Regime Alkovas Eltern ermordete, hat sie sich erneut auf den Weg nach Deutschland gemacht.

Angekommen sind beide, Karim und Alkova, in einem Flüchtlingsheim in Köln, in dem Stefan, der Kontakte zur rechten Szene hat, infolge eines Diebstahls Sozialstunden ableisten muss. Auch er gibt einen ausführlichen Bericht seiner 25 Kilometer langen Odyssee von Erftstadt nach Köln, die sich vor dem Hintergrund der Flucht von Karim und Alkova gewollt lächerlich ausnimmt.

Ähnlich wie Stefan und seine holzschnittartige Wandlung vom Mitläufer der rechten Szene zum selbstdenkenden und sich schließlich für Flüchtlinge einsetzenden jungen Mann, sind auch sein Hitler anbetender Freund Mirko und die Auftritte der drei Puppen, die sich durch latent rassistische Äußerungen auszeichnen und die Inszenierung rahmen, sehr plakativ: in pädagogischer Absicht (der Bürgermeister, der im Anschluss an das Stück noch ein paar Worte spricht, nennt es lobend Agitprop-Theater).

Die Inszenierung scheint genau das zu wollen: Zum Selbstdenken anregen und sich auf Begegnungen mit Flüchtlingen einlassen, bevor man sein Urteil fällt. So löblich und notwendig dieser Appell vor dem Hintergrund aktueller politischer Gesetzesänderungen und einer Flüchtlingen gegenüber immer ablehnenderen gesellschaftlichen Haltung scheint, bleiben die starken Momente der Inszenierungen allerdings diejenigen, die auf eine Botschaft verzichten.


Premiere: 14. Februar 2016 im Kölner Künstler Theater

Autor und Regie: Georg zum Kley
Dramaturgie: Ruth zum Kley
Regieassistenz: Marie Dinger
Darsteller: Marcel Eid, André Fängler, Donica Touglo
Musik: Markus Apitus
Figuren: Monika Seibold
Technik: Claudio Klein

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