Die aktuelle Kritik

Westflügel Leipzig: "Frauen in gehobenen Positionen"

Tobias Prüwer

Schrille, schräge und schöne Performance rund um Feminismus und Körperlichkeit(-en)

Ein Schwan hackt dem anderen kein Auge aus? Denkste! Während in der Mitte eine schwarze Glamour-Ritterin nach vorne drängt, kloppen sich am Bühnenrand zwei Schwäne. Federnd an ihren langen Hälsen fahren die Schnabel bewehrten Köpfe wieder und wieder nach unten, um auf den Kontrahenten – oder die Kontrahentin – einzuprügeln. Am Schwert der schwarzen Reckin schlagen Flammen in die Höhe. Ein letzter Effekt, dann erlöschen Feuer und Licht bei der »Schwanensee«-Episode. Sie ist aus, diese originelle Revue über ein Thema, an dem sich noch immer die Geister scheiden. Und man sich fragt: Warum denn?

Feminismus heißt das Sujet, das sich das Duo Lehmann & Wenzel – Samira und Stefan Lehmann – und Franziska Merkel vorgenommen hat. Feminismus muss nerven, das ist seine Aufgabe und es braucht ihn solange, bis es ihn nicht mehr braucht: So hat es die Comedian Sarah Bosetti einmal zusammengefasst und dem wäre wenig hinzuzufügen. Denn wenn die  Geschlechtergerechtigkeit hergestellt ist, braucht es keinen Feminismus mehr. Auf Westflügelbühne setzt das Trio mit »Frauen in gehobenen Positionen« nicht bei der Politik an, sondern früher. Ihnen geht es um Körperbilder, Normvorstellungen und nicht zuletzt die Klischees im eigenen Kopf. Wie kann man diesen Gespenstern beikommen?

Indem man sie zunächst einmal zu fassen versucht, also sich zuhört, sich selbst problematisiert. Das haben die drei Kunstschaffenden gemacht und in logischer Konsequenz niemanden als Regie- oder Dramaturgieunterstützung von außen herangeholt, sondern sich untereinander intensiv befragt. Und daraus entwickelten sie Szenen und Miniaturen; in der Produktion »Versuche« genannt. Dabei agieren sie zuallerst als Performer, Figuren- und Objektspiel wird sparsam eingesetzt. So entsteht ein vielfältiger, bunter Reigen, dessen gemeinsamer Nenner der Assoziationsraum der Drei ist.

Der Charakter des Balletts und seine möglicherweise chauvinistischer Perspektive werden reflektiert, während sich Samira Wenzel und Franziska Merkel selbst in Tutu und Spitzenschuhe kleiden. Während sie entsprechende Posen einnehmen und dadurch parodieren, dass sie keine Balletttänzerinnen sind, referiert Merkel einen kritischen Text, der diese Tanzform zur phallischen Parade erklärt. Der leicht ironisierende Gestus, der Ernst des Inhaltes eröffnen einen Raum, der zu denken aufgibt. Der Abend schreibt insgesamt keine Botschaften vor, sondern liefert Gedankenanstöße.

Und das geschieht oft sehr sinnlich. Die Revue eröffnet zum Beispiel eine Szene, in der eine Schlange Eva mit einem Apfelsaft-Tetrapäckchen verführt. Stefan Wenzel gibt den animalischen Verführer mit Schlangenkopfmaske herrlich ungelenk. Um seinen Körper wirbelt, schlingt und wringt er einen langen Stoffschlauch, der der Tierleib sein soll und zischt seine Sätze nur so heraus. Wie er sich ziert, der Gier, seine Eroberung endlich machen zu können, lässt den Zuschauer wundern, wie so eine lächerliche Urszene am Anfang der Geschlechterordnung stehen konnte. Auch Europa und Zeus werden thematisiert, wobei auch die Frau hier als Eroberin aufscheint. Dem wilden-willige Stier bleibt nichts anderes übrig, als dem roten Tuch in Gestalt eines Frauenkleides zu folgen. In einer wunderbaren Puppentheaterepisode fragt sich, ob das Leda ist, die ihren Schwan erdolcht. Stefan Wenzel lässt eine Handpuppe flehend ins Publikum und die Landschaft schauen. Plötzlich formen die zwei Spielerinnen aus ein bisschen Stoff eine Wasserfläche, auf der das Federvieh erscheint. Besingend bezirzt die Frau das Tier, erdolcht es dann. Wiederum nur mit ein wenig Stoff entsteht eine Blutlache und färbt die fiese Szene ein. Es ist große Kunst, dass diese Auseinandersetzung nicht zum bloßen Klamauk wird oder ins Anstößige abdriftet. Denn ja, die Produktion ist sehr physisch, aber nie peinlich, wenn schöne Bilder auf erhellende Gedanken stoßen.

Premiere: 10.10.2019

Foto: Thilo Neubacher

0 Kommentare

Neuer Kommentar