Die aktuelle Kritik

Theater Waidspeicher Erfurt & Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach: "Der Diener zweier Herren"

Von Michael Plote

Am Canal Grande in Venedig herrscht der heitere Wahnsinn. Ein Krokodil (!) taucht auf und schnappt nach einem Geldsäckchen. Das gibt’s doch nicht! Doch. So ist das mit der überbordenden Fantasie des Regisseurs Christian Georg Fuchs im Erfurter Theater Waidspeicher.

Fuchs ist ein „alter Hase“ im historischen Speicher am großen Domplatz in Erfurt, er inszeniert hier zum fünfzehnten Mal. Und immer wieder überschreitet er Grenzen des Puppentheaters. Diesmal erfindet er ein Krokodil, um der Verwechslungsgeschichte noch mehr Tempo und Spaß zu geben.

Der andere Clou: Der Regisseur und Co-Autor Fuchs verbandelt den Theaterautor Carlo Goldoni (1707-1793) mit dem Komponisten Antonio Vivaldi (1678-1741). Begegneten sich die Beiden tatsächlich in Venedigs Gassen? Wäre möglich gewesen.

„Der Diener zweier Herren“ von Carlo Goldoni trifft auf die berauschende Musik von Antonio Vivaldi (und ein bisschen Bach und Biber). Auf der kleinen Theaterbühne wird es eng und fast kuschelig. Acht Musikerinnen und Musiker der Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach, geführt vom Violinisten Alexej Barchevitch, füllen mit Notenständern und Instrumenten, darunter Cembalo und langhalsige Theorbe, optisch und akustisch den Raum vor dem „Kaspermobil“ aus, der Guckkastenbühne von Klemens Kühn (auch Kostüme).

Foto © Lutz Edelhoff / Theater Waidspeicher

Der Regisseur setzt auf Bilder, Töne und Turbulenzen, auf Kostüme und ein bisschen Chaos, auf Puppenspiel und Barockmusik. Das Publikum (empfohlen ab 10 Jahre) muss Goldonis Komödie mit all ihren Verwechslungen und Verwirrungen nicht kennen und verstehen. Die Puppen-Figuren der Commedia dell´arte haben Namen, tragen spezielle Kostüme und individuelle Masken, die menschliche Charaktere und Eigenschaften symbolisieren. Wer und was und wie? Spielt der historische Hintergrund eine Rolle für das Publikum? Eher nicht, meint der Kritiker. Hauptsache es hat jede Menge Spaß, amüsiert und berauscht sich. Der heitere Wahnsinn am Canal Grande triumphiert.

Wer genauer hinschaut und hinhört, hat ebenso Spaß mit Truffaldino, dem Diener zweier Herren, der Überblick und Übersicht über Briefe, Aufträge, richtige und falsche „Herren“ und Identitäten verliert, ja niemals hatte. Die Gier nach gutem Essen, ein bisschen Liebe und doppelten Lohn treibt ihn an und ins heitere Chaos. Er tutet und trompetet, mal kurz und schrill, mal laut und launig. Kein gesprochenes Wort, doch alle verstehen und missverstehen ihn.

Diese wunderbare, ca. 50 Zentimeter große, sehr bewegliche Stabhandpuppe (wie die anderen Puppen auch von Peter Lutz: Kopf und Körper, Kostüme Kathrin Sellin) führt Tomas Mielentz, was der Programmzettel aber nicht verrät. Der Puppenspieler bleibt hinter der Guckkastenbühne unsichtbar, wie auch Karoline Vogel und Paul Günther. Die Drei führen die Puppen-Figuren Pantalone, Brighella, Smeraldina und weitere, deren Kostüme und Masken für sozialen Status und menschliche Eigenschaften stehen. Doch das muss das Publikum hier nicht interessieren.

Die beiden „Herren“ und ihre wechselnden Identitäten erscheinen in menschlicher Größe, gespielt von Melissa Stock und Nicolas Jantosch. Der Schauspieler und Chef des Kabaretts „Die Arche“ aus demselben Haus Waidspeicher übernahm den Part nur wenige Tage vor der Premiere für einen Kollegen, der nach einem Sportunfall ausfiel.

Foto © Lutz Edelhoff / Theater Waidspeicher

Das Publikum hat Spaß am Verwechslungsspiel der Figuren und dem Wechsel von Musik und Puppenspiel am illuminierten Canal Grande, an wilden Tänzen und Action im „Kaspermobil“. Der Szenenapplaus in der Premierenvorstellung treibt Schauspielerinnen und Schauspieler, Musikerinnen und Musiker sicht- und hörbar an.

Da fällt am Ende fast beiläufig der Satz auf der Bühne: „Weniger Possen und mehr Aufmerksamkeit“. Wie bitte? Wer sagt so was? Wir sind doch in Venedig bei Goldonis virtuosem Verwechslungsspiel, lauschen Vivaldis barocken Klängen aus den Jahreszeiten. Ernst ist das Leben schon genug. „Es lebe hoch der Diener zweier Herren“, klingt es nach 75 Minuten aus vollen Kehlen und mit allen Instrumenten. Sehens- und Hörenswert.

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„Der Diener zweier Herren“

Von Carlo Goldoni | Spielfassung von Christian Georg Fuchs

Premiere im Theater Waidspeicher, Erfurt: Freitag, 28. April 2023, um 19:30 Uhr

Mit Musik von Antonio Vivaldi, Johann Sebastian Bach und Heinrich Ignaz Franz Biber

Musikalische Leitung: Alexej Barchevitch

Regie: Christian Georg Fuchs

Bühne und Kostüme: Klemens Kühn

Puppen: Peter Lutz

Puppenkostüme: Kathrin Sellin

Puppenspiel: Melissa Stock, Karoline Vogel, Paul Günther, Nicolas Jantosch, Tomas Mielentz

Solo-Violine: Alexej Barchevitch | Laute und Mandoline: Susanne Herre | Cembalo: Jens Goldhardt/Bastian Uhlig

Mit dem Barockorchester der Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach

Fotos: Lutz Edelhoff / Theater Waidspeicher

Nächste Vorstellungen im Theater Waidspeicher Erfurt:

09.05. | 10.05.2023

Vorstellungen im Ekhof-Theater Gotha im Rahmen des Ekhof-Festivals 2023:

07.07. | 08.07. | 14.07. | 15.07. | 16.07.2023

www.waidspeicher.de

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