Die aktuelle Kritik

Theater Junge Generation Dresden: „Der Process“

von Andreas Herrmann

Eine hüftgroße Josef-K.-Puppe steht der feindlichen Umwelt aus Menschen gegenüber.

 

Foto. Dorit Günter

Foto: Dorit Günter

 

In den Zwängen des Systems

Josef K. wird durch Verhaftung in seiner Pension geweckt. Es ist der Morgen seines 30. Geburtstags, was im weiteren Verlauf keine Rolle mehr spielt. Von nun an, so erklärt ihm der Eindringling einer unbekannten, aber vermutlich mächtigen Behörde, wird ihm der Prozess gemacht. Bis dahin bleibt auf freiem Fuß und kann weiter arbeiten wie bisher. Doch Josef fühlt sich überaus unschuldig – und beginnt dennoch sein Leben zu durchforsten: Einerseits zur Selbstbestätigung, andererseits auf der Suche nach Verbündeten. Beides gelingt ihm nicht. Nicht einmal die Behörde, die ihn verfolgt, lässt sich feststellen.

Max Brod, der die 200 Seiten Skizzen aus Franz Kafkas Nachlass entgegen dessen Wunsch nicht dem Feuer zuführte, sondern in Buchform brachte, sortierte daraus eine fiktive Romanstruktur, die gern auch im Theater verwendet wird, um sich dem Prager Literaten anzunähern. So wie nun in der Puppenbühne des Theater Junge Generation im Dresdner Rundkino in einer Fassung von Ania Michaelis - mit einer Puppe, vielen Masken und sechs edel in braun gekleideten Mitspielern, die durch drei Türen auf- und abtreten und als Kulissen nur mit Kürzeln bedruckte Umzugskartons haben. In einer mit KK bezeichneten steckt anfangs der Held, dem durchaus Gelüste, so aufs laszive Fräulein Bürstner und auf die blonde Kanzleihilfe Leni, aber auch logische wie harte Diskussionen und Entscheidungen wie gegen den Advokaten zugestanden werden – K. als Sympath.

Eine sehr gute Idee der Inszenierung ist, Franz-Josef als hüftgroße Puppe den Mitspielern als meist furchteinflößende Umwelt in Menschengröße gegenüber zu stellen. Der elegante erste Bank-Prokurist mit modischem Seitenscheitel versucht verzweifelt, hinter die Masken, also in die Tiefen des Systems zu schauen, was ihm nicht gelingt und er sich am Ende sogar von seinem Alter ego, stimmlich wie körperlich eine sehr intensive und harmonische Leistung von Uwe Steinbach, lossagt, um allein zurecht zu kommen. Auf den Mord wird hier verzichtet.

Die Menschenmasken – allesamt grau mit verschiedenen Frisuren und Haarfarben – hat der Studiengang Maskenbild der ortsansässigen Hochschule für Bildende Künste unter Leitung von Irina Laubner und Jenny Grell modelliert. Jede einzelne mit arteigenem Charakterzug und offensichtlicher Nähe zur Figur. Einziger Nachteil: die Stimmen klingen etwas hohl, was die Verständlichkeit ein wenig behindert. Der Verzicht auf weit verbreitete Videoeinspiele oder anderer Technikspielereien zur Untermalung dessen, was gesagt eigentlich reichen müsste, tut der 70-minütigen Performance gut.

Die zu vermutende Grundintention des vor neunzig Jahren postum quasi unlauter veröffentlichten Fragmentes – der Lebensprozess in menschlicher Gesellschaft als immer währende Anklage – bleibt in Ania Michaelis' Fassung erhalten. Als Regisseurin treibt die TJG-Oberspielleiterin ihr Sixtett zu gehörigem Tempo, wobei ihr trotz der Figurenfülle nichts durcheinander gerät. Für Jüngere ist ihr Einstieg in die Kafka-Welt mittels dieses „Process“, an dessen Fertigstellung er just vor einhundert Jahren die Muße verlor, eine Herausforderung, für reifere unter jenen des für Leute ab 16 Jahren anempfohlenen Stückes ergeben sich direkte Assoziationen in die Gegenwart der so genannten „sächsischen  Demokratie“ der vergangenen Jahre, als die Justiz mehrere meist sehr lange Prozesse gegen Journalisten, Protestierende, aber auch Fußballfans führte, deren Intentionen mittels „Verfahren als Strafe“ kritisiert wurde.
 

 

Premiere: 27. Februar 2015

 

Theater Junge Generation Dresden, Der Process
von Franz Kafka / in einer Fassung von Ania Michaelis
Regie: Ania Michaelis
Bühne/Kostüme: Ulrike Kunze    
Musik: Bernd Sikora


Es spielen: Patrick Borck, Manuel de la Peza, Anna Menzel, Uwe Steinbach, Anna Tkatsch, Annemie Twardawa    
 

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