Die aktuelle Kritik

Puppentheater Magdeburg: "Das schönste Land der Welt"

Von Tobias Prüwer

Theatererlebnis im Container: In Magdeburg lädt ein Schiffscontainer an verschiedenen Stellen der Stadt zum Nachdenken über die Wende ein.

„Der Weg ist nicht zu Ende, wenn das Ziel explodiert“, hielt Heiner Müller in den Wendejahren fest. Ein Land gab es nicht mehr, dafür ist ein anderes größer geworden. Aber durch was? Durch Zusammenwachsen und Kooperation oder Verschlucken und Einverleiben? Oder allem gleichzeitig? Und was ist das nun für ein Land, in dem wir leben? „Das schönste Land der Welt“, behauptet Dramaturgin Miriam Locker. Und schickt die Besucher auf eine Reise ohne Ziel, für die sie sie in einen Stahlcontainer mit Objekttheater verfrachtet. Der wird quer durch Magdeburg zu sehen sein. Die Premiere findet auf dem Gelände des Puppentheaters statt.

Von außen wirkt das rostrote Stahlding wenig attraktiv. Als die Tür aufgeht, tut sich auch nur ein schwarzer Schlund auf. Zwei Spielende bitten nonverbal, einzeln einzutreten – und sich vorher die Haxen abzukratzen. Schließlich betritt man eine gute Stube. Man bekommt Kopfhörer und wird an einer Tafel platziert: Immer vier Personen passen in eine Vorstellung. Vor jedem steht ein Unterteller mit umgedrehter Tasse darauf. Dann geht es los, wird die Theaterreise als gemeinsames Kaffeetrinken serviert.

Die leisen, rauschenden Geräusche im Kopfhörer werden von Stimmen unterbrochen. An dieser Tafel unterhalten sich nicht die Sitzenden, sondern diese wohnen im Gegenteil einem vielstimmigen deutsch-deutschen Austausch bei. Es entsteht ein gespenstischer Kaffeeklatsch. Erzählungen, wie es damals so war mit den Schlangen und den Bananen, wie frei oder unfrei man sich hinter einer Mauer und Schießbefehl fühlte und ob der „goldene Westen“ wirklich sein Versprechen hielt, sind zu vernehmen. Aber auch Perspektiven von Menschen, die erst nach 1989 in die Region Magdeburg kamen, sind zu hören. So entsteht ein Kaleidoskop subjektiver Blickwinkel und Erfahrungen. Dazwischen sind Textschnipsel von Roland M. Schernikau geschnitten, der in Magdeburg geboren wurde und laut seiner Mutter eine besondere Beziehung zum Puppentheater gehabt hat. Schernikau passt aber auch als Symbolfigur für die Produktion: Er siedelte zwei Mal über – einmal als Kind mit seiner Mutter in die BRD und dann im September 1989 zurück in die DDR. Er war getrieben und hingezogen zugleich.

Zu den Texten entsteht auf der Tafel Miniaturtheater, wenn die beiden Spielenden Objekte auftischen und manipulieren. Es erscheinen keine Bebilderungen oder direkte Illustrationen des Gehörten, sondern lose Assoziationen. Die Szenen sind von eigener Sprache, evozieren eigene Gedankenbilder und -ketten. Klar, da wird auch mal ein Trabbi und Ähnliches gezeigt, aber auch er ist keine direkte Bebilderung, wenn er im Dutzend in Formation übers Tischtuch zieht. Es ploppen aber auch Szenen mit Ufos und Merkel vorm Bällebad mit Schweinebesatzung auf, visuell Utopisches wird angerissen. Das wird mit ganz ruhigem und unaufgeregtem Spiel gezeigt. Mal kommt ein Wald vom Himmel, mal wird eine Bananendruckerei – ja, tatsächlich – unterm Tisch vorgezaubert. Mehrfach wird die Tischmitte zum Laufband, auf dem die Tableaus vorbei geschoben werden. In einer Szene trennt eine Jalousie plötzlich die Blicke der Gegenübersitzenden, während das Laufband Grenzanlagen mit Stacheldraht und Beobachtungsturm vorbei transportiert. Unmittelbarer kann man die Trennung durch die Mauern kaum zum Ausdruck bringen.

Ohnehin ist es diese Intimität, durch die man wie bei der Mikromagie so dicht dran den Spielenden auf die Finger schaut und doch immer wieder verzaubert wird. Hier sind es keine Tricks, sondern die Verblüffung gelingt durch leise Poesie, die in diese Miniaturwelt hineingehaucht wird. Diese Produktion ist eine Konfrontation auf Samtfüßen, eine Auseinandersetzung mit eigenen und anderen Sichtweisen, die ganz ohne Streit auskommt – und flüchtige Einsichten zurücklässt.

 

REGIE Leonhard Schubert

AUSSTATTUNG Jonathan Gentilhomme

MUSIK UND SOUNDDESIGN Bernhard Range

DRAMATURGIE Miriam Locker

TECHNISCHER SUPPORT Richard Barborka

SPIEL alternierend Luisa Grüning, Linda Mattern, Jana Weichelt, Anna Wiesemeier, Freda Winter, Richard Barborka, Florian Kräuter, Lennart Morgenstern, Leonhard Schubert, Kaspar Weith

BILDER Jonathan Gentilhomme

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