Die aktuelle Kritik

Deutsch-Sorbisches Volkstheater: „Philemon und Baucis“

von Andreas Herrmann

Marionettenoper von Joseph Haydn mit großem Personal und opulenter Ausstattung.

 

Antike trifft Barock

Äußerst ambitioniert – anders kann man das Unterfangen dieser in Personal wie Ausstattung sehr expansiven Kooperation zwischen der Puppensparte vom Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen und der Musikabteilung der Landesbühnen Sachsen mit Sitz in Radebeul nicht bezeichnen. Denn sie wagen nichts anderes als die Urform und vermutlich den Höhepunkt der Gattung Marionettenoper: „Philemon und Baucis oder Jupiters Reise auf die Erde“ von Joseph Haydn.

Dabei tötet ein Blitz den Sohn Aret und dessen Braut Narcissa und macht das alt-bucklige und arme griechischen Bauernpärchen Philemon und Baucis, Arets Eltern, todunglücklich. Angeblich ein Test vom verkleideten Jupiter und dessen Begleiter Merkur, die zur Moralinspektion auf der Erde weilen und nur bei diesen beiden Einlass und Bewirtung finden. Darob erweckt Jupiter die beiden wieder zum Leben und schenkt den Alten, die nicht mit auf den Olymp wollen, einen eigenen Tempel und Auskommen…

Dieses einaktige Singspiel entwarf der Maestro nach dem Stück von Gottlieb Konrad Pfeffel in Anlehnung an die titelgebende postmortale Liebesgeschichte in Ovids „Metamorphosen“ in seiner ungarischen Zeit. Sie eröffnete das große Marionettentheater im Schlosspark der Esterházys am 1. September 1773, zu der angeblich auch die Kaiserin Maria Theresia erschien. Es kann heute nur deshalb gezeigt werden, weil Fragmente von Noten und Text einen Schlossbrand, der alle weiteren fünf Haydn-Marionettenopern – auch damals als Ausdruck von exorbitanten Reichtum en vogue – das künstlerische Fortleben kostete, irgendwie überstanden.

Für die zweite Premiere im Rahmen des Radebeuler Theaterspektakels „Irrtümer“, welches sich „Märchen und Mythen“ widmete, fiel allerdings das Vorspiel dem strengen Zeitregiment zum Opfer. Es zeigt den Rat der Götter, gespielt von den sechs Bautzener Puppen- als Schauspielern - und mit ihm fehlte eine halbe Stunde und damit rund ein Drittel der Show. Auch sonst war Verkleinerung im Vergleich zur Uraufführung vor 243 Jahren angesagt, denn dort waren es über 50 Marionetten. Der imposante Nachbau der Barockbühne von Eberhard Keienburg ist ebenso etwas verkleinert, so dass die charismatischen Marionetten von Udo Schneeweiß etwa halbe Lebensgröße verkörpern.

Spiel wie Musik sind gute, bunte Unterhaltung ohne Überforderung, allerdings erschließt sich nicht so recht, an welche Zielgruppe sich diese Aufführung richtet: Für erwachsene Theaterfreunde ist die Story von der Wiederauferstehung per Gottesmitleid und Wille zu hanebüchen und das Puppenspiel, vor allem in den Musikpausen, recht langatmig. Kinder, die sicher mit Begeisterung den Marionetten folgen, dürfte die Musik, in voller Inbrunst von vier Radebeuler Solisten dargeboten, schnell langweilen.

Als Exkurs in die Unterkomplexität von Antike wie Barock dürfte nur ein begrenztes Spektrum von Publikum in Frage kommen. Dafür ist der Aufwand erstaunlich: Immerhin 43 Künstler, darunter 16 Musiker vom Ensemble Charpentier der Riesaer Elbland Philharmonie und je acht Damen und Herren des Landesbühnenchors, stehen oder sitzen sichtbar auf oder vor der Bühne, dazu kommt noch ein Techniker, der mehrfach hochtheatralisch am Rad des Wellenbaumes dreht, um durch Drehen oder Fahren der Kulissenwände wirklich erstaunliche Effekte im Bühnenbild und einen romantischen Blick ins Rokoko zu erzeugen.

Die Leistung der sechs Puppenspieler, die oben auf der Bühne in Schwarz agieren, fällt schwer zu bewerten, weil man sie weder genauer sieht noch die Stimmen zuordnen kann. So bleibt als Empfehlung eher der Besuch der Vollversion, die ab November wieder in Bautzen läuft – und zwar nicht in der eigentlichen Heimstatt, dem Burgtheater, sondern unten im großen Saal des großen Hauses. Dieses hatte jüngst nicht nur das neunte sächsische Theatertreffen mit 3.800 Zuschauer in 17 Vorstellungen der elf sächsischen Stadttheater und einer sensationellen Auslastung von 90 Prozent als vollen Erfolg zu vermelden, sondern zuvor auch einen Allzeitbesucherrekord: 155.999 Besucher in 948 Veranstaltungen im Jahr 2015. Und zwar als Frage des Fleißes. So spielte die Puppensparte allein 376 Vorstellungen vor immerhin insgesamt 26.968 Zuschauern – und zwar neben Deutsch auch in Ober- und Niedersorbisch. Auch das ein Rekord.      

Beim Radebeuler Spektakel selbst – immerhin mit fünf anderen Premieren und drei weiteren Stücken in runder Stundenlänge, wobei das Publikum immer nur drei Stücke sehen kann – hätte man sich auch eine eigene Produktion der neuen Radebeuler Figurentheatersparte gewünscht, die vor zwei Jahren gegründet wurde. Doch die neue Ein-Frau-Spartenleiterin Kora Tscherning war nur mit einer echt hässlichen lebensgroßen Bauchpuppe zur Pausenunterhaltung unterwegs – einer Oma mit Merkelmund und langen Hängebrüsten unter der durchsichtigen Bluse – und durfte beim abschließenden Liederabend einen Song Hildegard Knefs trällern. Als Premieren warten hier im Januar „Der Prozess“ als Objekttheater für Leute ab 16 Jahre im Coswiger Gymnasium und im März „Die kleine Hexe Toscanella“ für Kinder ab sechs in der Studiobühne.

 

Premiere Bautzen: 16. September 2016
Premiere Radebeul: 15. Oktober 2016

Regie: Therese Thomaschke
Ausstattung: Eberhard Keienburg
Marionettenbau: Udo Schneeweiß
Musikalische Leitung: Jan Michael Horstmann
Es spielen: Annekatrin Weber, Michelle Bray, Marie-Luise Müller, Andreas Larraß, Jan Schneider, Moritz Trauzettel
Es singen: Anna Erxleben, Antje Kahn, Kay Frenzel, Youngjune Lee sowie Damen und Herren des Chores der Landesbühnen Sachsen
Es musiziert: Ensemble Charpentier der Elbland Philharmonie Sachsen

Foto: Uwe Soeder

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