Die aktuelle Kritik

Gerda Knoche & Helga Lázár, Stuttgart: "horror vacui - a holistic masturbation""

Von Brigitte Jähnigen

Selbstliebe durch Selbstoptimierung im Spiegel des Objekttheaters: Das ist bei Gerda Knoche und Helga Lázár ein wirklicher „horror vacui“. Um der Angst vor der Leere zu entkommen – und das nicht nur zur Weihnachtszeit – strapazieren die beiden Künstlerinnen ihre paarungswilligen Hirne in einem Fluss provokanter Bilder, der bewegt.

Alles irgendwie flamingofarben: Bühnenbildnerin Jessica Lipp hat sich für eine Wohlfühlatmosphäre entschieden. Blass im Ton auf der Farbpalette der sechseckige Spielboden, kräftiger die Outfits der Spielerinnen, rot der bewegliche Vorhang eines mobilen Raumelements. Elektrisch beleuchtet, schmückt ein Dekoflamingo den Arbeitsplatz von Musiker David Schuckart. Weiss allein ist ein Schimmel an der rechten Bühnenseite, dem die Rolle der beständigen Anwesenheit zukommt. Schuckart schickt chillige, zuweilen schrille Sounds in die mit Kopfhörern ausgestatteten Ohren der Zuschauer*innen und Videos auf ein zweites mobiles Raumelement. Doch die behagliche Atmosphäre wird schnell gebrochen.

Verbinde dich mit dir selbst! In einer Welt voller Unsicherheit muss es doch das Einfachste sein, in sich selbst einen Ort der Ruhe zu finden. Doch was tun, wenn die Leitung blockiert ist? Nach gefühlt endlosem Warten in einer telefonischen Schleife – es nervt wie im echten Leben, amüsiert aber auch, weil es eben nicht das echte Leben ist – meldet eine Stimme: „Wenn Sie sich mit Ihrem Körper verbinden möchten, drücken Sie bitte die Eins. Wenn Sie sich mit Ihren Gefühlen verbinden möchten, drücken Sie bitte die Zwei“. Körper und Gefühl, das wird schnell klar, gehen nicht konform in dieser „Love-Yourself-Challenge“, wie das Programm den „horror vacui“ auch nennt. „Sie haben die Yogaoption gewählt“, weist die Telefonstimme Helga Lázár zu.

Und schon übt sich die Spielerin in Figuren, dehnt, strafft und buckelt ihre Gliedmaßen und fordert so ihrem Körper eine beeindruckende Fülle an Gelenkigkeiten ab. Doch dann strauchelt sie, fällt, steht auf, fällt erneut, scheitert auf spiegelglattem Bühnengrund. Yoga als allseits empfohlene Universallösung taugt hier nichts.

Zurück in die Endlosschleife der Selbstoptimierung (ein Kunstgriff von Regisseurin Anna Brüssau) versucht sich Gerda Knoche mit überdeutlicher Mimik in einer Ansprache. In einer Präsentation will sie über Gefühle sprechen, über ihren Zustand innerer Unruhe. Die Ansprache misslingt; das Scheitern wird durch eine grotesk gespielte Fressorgie substituiert. In einer sehr berührenden anderen Szene steigert die Performerin ihr Mühen, der Einsamkeit zu entkommen. Sie wickelt sich in einen Bademantel, türmt weitere Kleidungsstücke über ihren Körper, bis sie sich damit zum Verschwinden bringt und als unkenntliches Bündel zusammenrutscht. Wiederum in einer Endlosschleife voller „ICH“ endet ein kurzer Monolog, in dem Helga Knoche in stockendem Sprechmodus über ihre Traurigkeit nachdenkt: „Ich bin gerade sehr traurig. Aber das ist eher so eine Art universelle Traurigkeit, die wir alle von Geburt an haben und die uns auch ein Stück weit miteinander verbindet“. Sie hätte dieses universelle Gefühl auch Weltschmerz nennen können.

Wenn also kein*e Dialogpartner*in gefunden werden kann, soll ein Spiel mit Sex Tools der Erweckung von Selbstliebe dienen. Ferngesteuert hüpfen, wiegen, schlängeln sich die Lustobjekte sehr unterschiedlicher Art auf dem Bühnenboden. Ganz ins sinnliche Spiel vertieft, gerät diese Choreografie der Objekte bei Gerda Knoche zu einer amüsanten Performance. In einer Videosequenz führt Daniel Schuckart später die zuckende und kreisende Ansammlung; Gerda Knoche begleitet bis zum Höhepunkt mit Lautmalereien.

Das ist vermutlich nah am Leben, komisch, leicht und düster. Und verbreitet schrecklich viel Einsamkeit.

Den Körper mit den Emotionen zu verbinden, sucht Helga Lázár auch auf dem Laufband. Von einer Spiegelfolie verzerrt, steigert sie das Tempo, bis der Alarmknopf ihren Bemühungen ein Ende macht – das Band vibriert und katapultiert sie auf den Boden der nackten Tatsachen.

Möchtest du Selbstliebe lernen“, „sinnliche Selbstliebe“, „9 Selbstliebe Übungen“: Der Markt ist übersättigt mit Tipps und Tricks. Bis die beiden Performerinnen letztlich in wenigen Sequenzen einen zarten fast tänzerischen Dialog des Umkreisens, aber kaum Berührens schaffen (Choreografie Domokos Kovács), vergehen über 60 Minuten in diesem bizarren Rondo. Das Premierenpublikum ist sichtlich berührt.

Premiere: 17.12.2021 im FITZ Das Theater animierter Formen, Stuttgart

Idee/Konzept/Spiel: Gerda Knoche, Helga Lázár

Choreografie: Domokos Kovács

Bühnenbild: Jessica Lipp

Musik: David Schuckart

Regie: Anne Brüssau

Fotos: Gala Göbel

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