Die aktuelle Kritik

Puppentheater Halle: "Ciao"

Von Thilo Sauer

„Entschuldigung, dass ich überhaupt noch da bin!“: Am Puppentheater Halle bringt Ralf Meyer den Roman „Ciao“ von Johanna Adorján geschickt auf die Bühne und zeigt die Brüchigkeit des „alten weißen Mannes“.

Ich muss zugeben, dass ich während der Aufführung manchmal als einziger im Publikum gelacht habe. Die Lebensumstände des Kulturjournalisten Hans Benedek, der sich selbst als Edelfeder betrachtet, sind mir vertraut. Da stellt sich natürlich die Frage, die sich auch im Stück stellt, als dem erfahrenen Hans für ein Porträt über eine bekennend feministische Autorin eine junge Kollegin zur Seite gestellt wird: Bin ich als Mann im gleichen Betrieb der Richtige, um diese Inszenierung zu kritisieren? Zu meiner Verteidigung sei gesagt, dass es einige Distanz zu dem sympathisch unsympathischen Protagonisten gibt. Immerhin entstamme ich einer anderen Generation, verdiene nicht das Dreifache von nicht-männlichen Kolleg:innen in ähnlichen Positionen und bin auch nicht der Meinung, das Kulturjournalismus Sätze hervorbringen muss, die man sich an die Wand hängen möchte.

Hans Benedek ist der leitende Kulturjournalist in der Redaktion von „Die Zeitung“. Schon seit Jahren bestimmt er die kulturellen Debatten im Land. Immer wieder versuchten andere Redaktionen ihn abzuwerben, wodurch er sein Gehalt noch höher treiben konnte. Er ist verheiratet mit Henriette, die er am Rande des Kölner Karnevals kennengelernt hat. Als Henriette sich mit Xandi Lochner – einer derzeit bestimmenden Feministin und Autorin – trifft, weil diese den alten Gedichtband von Henriette liebt, beschließt Hans, ein Porträt über Xandi zu schreiben.

»CIAO« © Falk Wenzel

Die Romanvorlage von Johanna Adorján lebt von den Einblicken in die Beweggründe ihrer Protagonist:innen. Sie zeichnet die zweifelnden Gedanken von Henriette genau nach und erläutert alle Marotten, die sich Hans inzwischen zugelegt hat. Denn das zeichnet die Figur aus: Er ist kein Sexist, nicht gegen Fortschritt. Er versteht nur nicht, dass er, der gefragte Kritiker und Kulturbeobachter, einfach im Unrecht sein könnte. Seine eigene Tochter bezeichnet ihn wegen des Specks in der Pfanne als Mörder und seine Quittungen von Mittagessen werden nach all den Jahren nicht mehr als Spesen anerkannt. In der Redaktion gibt es neben dem altgedienten Chefredakteur eine neue, weibliche Führungskraft. Sie soll „Die Zeitung“ für die papierlose Zukunft vorbereiten, vermutet Hans. Doch er hofft, dass er es noch vor all diesen Veränderungen in die Rente schafft.

Ralf Meyer und sein Team haben aus dem eher episch angelegten Buch eine stimmige und konzentrierte Spielfassung herausgekitzelt. Ihre Sorgen, wie sie bei der berühmten Xandi Lochner ankommt, äußert Henriette im Beiseite-Sprechen. Die Marotten von Hans, der sich beispielsweise gerne mit einem jungen Kollegen trifft, um mit Wissen über Popkultur glänzen zu können, werden oft von anderen erläutert. Ein schöner Kniff, bei dem derjenige, der sonst die Welt erklärt, selbst erklärt wird. Trotz dieser guten Ideen und vielen Striche bleibt der Abend etwas textlastig, meist wird viel erzählt und nur wenig gezeigt.

Bühnenbildnerin Angela Baumgart hat eine Art Show-Podest gebaut, dessen Kanten in wechselnden Farben leuchten. Davon abgesehen bleibt die Bühne des Puppentheaters Halle leer. Mit Projektionen werden durch wenige weiße Striche auf der schwarzen Rückwand die verschiedenen Spielorte angedeutet. Mit wenigen Gegenständen und einigen Stühlen werden die Spielsituationen gebaut, in denen die Figuren ins Gespräch kommen.

Verkörpert werden die beiden Protagonisten von zwei menschengroßen und naturalistisch wirkenden Puppen, die Louise Nowitzki gebaut hat. Sie haben unbewegliche Gesichter und werden mal von Louise Nowitzki, Claudia Luise Bose und Nils Dreschke gemeinsam bewegt, mal reicht auch ein Händepaar aus. Bemerkenswert ist beispielsweise, wie Henriette Yoga-Übungen macht und sich Claudia Luise Bose trotz der unbeschränkten Möglichkeiten einer Puppe in ähnlich anstrengende Positionen begeben muss. Doch auch wenn sie sich auf einem Stuhl vor lauter Selbstzweifeln hin und her wirft, treffen die Seufzer immer wieder bis ins Herz. Die anderen Figuren übernehmen die drei dann ohne Puppen, mit wenigen schnell angelegten Accessoires gleich selbst.

Immer wieder ertappe ich mich im ersten Teil bei der Frage, warum diese Geschichte eigentlich mit Puppen erzählt werden muss: Die Benedeks wirken so gewöhnlich, wegen der starren Gesichter sogar etwas unbeteiligt. Warum können diese langen Texte nicht einfach von Schauspieler:innen gesprochen werden? Doch je mehr sich die Bastion des Kulturjournalisten als überholtes Kartenhaus herausstellt, desto deutlicher wird es: Hans Benedek, ein notorischer Fremdgeher, deutet die Zeichen falsch und macht sich an Xandi Lochner heran, die das aus Zorn mit der ganzen Öffentlichkeit teilt. Auf der Rückwand ploppen zahllose Tweets auf, die Hans Benedek als einen weiteren Vertreter des Machismo brandmarken.

»CIAO« © Falk Wenzel

Immer mehr Leben sickert dabei aus der Puppe und schließlich hält Nils Dreschke den Leib wie den eines kleinen Kindes. Er spricht nicht mehr als Hans, sondern als sein Anwalt. Denn der selbst ernannten Edelfeder passiert etwas, das für ihn vielleicht kaum schlimmer sein könnte: Nichts. Er wird nicht groß gecancelt, nicht gefeuert oder von seiner Frau verlassen. Die meisten winken es weg und in der Redaktion wird er mehr und mehr durch jüngere Menschen ersetzt.

Die große Stärke dieses Theaterabends besteht in der Nähe, die zu diesem gefallenen Helden entsteht. Hans wird uns sympathisch mit seinen Eigenarten. Er ist nicht einfach ein Täter. Auch weil die Frauen in dieser Geschichte nicht einfach Opfer sind: Henriette hat selbst entschieden, keine Gedichte mehr zu schreiben. Die junge Kollegin wurde nicht von Hans belästigt, sondern nutzt ihre sexuelle Anziehungskraft für den eigenen Erfolg. Und auch die neue Chefin ist genauso anfällig für Machtmissbrauch wie alle anderen. Am Ende bemitleiden wir den abgeschlagenen Hans und sind uns auch sicher, dass er das alles verdient hat. Und vielleicht sollte so das Patriarchat zu Ende gehen.

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Premiere: 25.11.2022

Regie: Ralf Meyer

Bühne: Angela Baumgart

Kostüme: Sebastian Hennig

Video: Conny Klar

Dramaturgie: Bernhild Bense

Puppenbau: Louise Nowitzki

Regieassistenz: Henrike Wiemann

Anfertigung Puppenkostüme: Sibylle Mittag

Ausstattungsassistenz: Verena Brink

Spiel: Louise Nowitzki, Claudia Luise Bose, Nils Dreschke

Fotos: Falk Wenzel

Link zum Stück: https://www.buehnen-halle.de/de/program/ciao/202713

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