Die aktuelle Kritik

Theater Triebwerk & die exen, Hamburg: "Anywhere Out Of The World"

Von Falk Schreiber

Wie lassen sich die kleinen Gedichte von Charles Baudelaire auf die Theaterbühne bringen? Mit Kunstfertigkeit und Mut zur Abstraktion, wie Theater Triebwerk und die exen im Hamburger Puppentheater beweisen.

Die Fahrradspeiche singt. Mit einem Geigenbogen entlockt Karin Schmidt dem Alltagsgegenstand schräge Töne, während Uwe Schade am Cello sanftere Klänge spielt, allerdings: Gegen den Fahrradsound dringt er nicht durch. Dieses Duett von Musikinstrument und Fahrgerät gibt die Stimmung vor für „Anywhere Out Of The World“, einen „Theaterabend nach den kleinen Gedichten in Prosa von Charles Baudelaire“ als Kooperation zwischen Theater Triebwerk und die exen: Eine Mischung aus Schönheit und Schrägheit entsteht, und auf dieser Folie werden Baudelaires Texte inszeniert.

Oder auch nicht. Denn: Selbst wenn im Laufe der folgenden 60 Minuten einzelne Literaturpassagen rezitiert werden, bleibt das Stück im Grunde abstrakt, mal szenisches Konzert, mal Objekttheater, das die Requisiten (Ausstattung: Christof von Büren) als Spielmaterial nimmt, ohne dabei einen klaren Baudelaire-Bezug herzustellen. Das ist interessant zu beobachten, bleibt aber beliebig: Ob jetzt „Jeder seine Chimäre“ zu hören ist oder „Der Hafen“, ist nicht wichtig, weil die Texte aus „Le Spleen De Paris“ keine echte szenische Entsprechung finden, sie grundieren meist nur Bilder, die fast ausschließlich über ihren theatralen Gehalt funktionieren, kaum über eine inhaltliche Dringlichkeit.

Einzig „Die Wohltaten des Mondes“ wird ausgespielt, mit einem Bild, das mehr vermittelt als eine Stimmung, und im Anschluss hinterfragt das Spiel auch noch das Gezeigte. „Les bienfaits de la lune, was heißt das nun?“, fragt Schade, und Schmitt interpretiert den assoziativen Text, in dem der Mond ein schlafendes Kind küsst, als nächtliche Verstörung – und dass hier auch ein Missbrauchsszenario angedeutet wird, schwingt in ihrer Erklärung mit. Wenn „Anywhere Out Of The World“ konkret wird, dann gewinnt der Abend plötzlich eine Schärfe, die weit über die melancholische Poesie der Baudelaire-Abstraktion hinausweist. Nur passiert das ziemlich selten.

Jenseits der inhaltlichen Unbestimmtheit aber überzeugen Schmitt und Schade durch ein ungewöhnliches, weil extrem reduziertes Verständnis von Puppenspiel. Einmal wird eine Puppe in ganz engem Sinn eingesetzt, keine Spielpuppe, sondern eine Kinderpuppe, vor deren Gesicht ein fotokopiertes Papier mit Baudelaire-Konterfei geklebt wurde, und die von Schmitt mit groben Bewegungen über die Bühne bugsiert wird. Der Künstler ist ein Kind, das trickfilmhaft performt, ein Hampelmännchen vielleicht. Die zweite Puppe ist hingegen ein Kartoffelsack aus grobem Leinen, an dessen Unterseite ein weites Hemd gehalten wird – fertig sind Kopf und Torso. Die so entstandene Figur wird von der Spielerin überraschend ausdrucksstark bedient, bis die Puppe anfängt, Schriftstücke in den eigenen Körper (beziehungsweise in den Sack) zu stopfen. Literatur wird hier verschlungen, so lässt sich das lesen. Oder auch: Baudelaire ist Material. Nicht in erster Linie im inhaltlichen Sinne, sondern ganz konkret für die Ausstattung, zum Stopfen (und entsprechend zum Lebendigmachen) der Sackpuppe.

Was angesichts der konsequenten Abstraktion von „Anywhere Out Of The World“ ebenfalls auf der Habenseite zu verbuchen ist: Schmitt und Schade umschiffen weitgehend die drohende Baudelaire-Verkitschung. Dunkle Sexualität, Selbstzerstörung und Weltekel tauchen meist nur als Schatten hinter der Performance auf. Einmal findet Schade den Text „Berauscht euch!“ auf dem Boden einer Weinflasche, einmal erklingt Edith Piafs Chanson „Sous Le Ciel De Paris“, da tappt die Inszenierung kurz in die Klischeefalle, und wie sie sich da wieder rauswindet, hat ihre eigene Qualität.

Wenn diese Qualität auch nicht ganz umsonst zu haben ist: Die Kosten belaufen sich auf eine gewisse Hermetik mit Tendenz zur Beliebigkeit, die diesen ansonsten klugen, kunstfertigen, originellen Abend prägt.

Anywhere Out Of The World

Premiere: 22.10.2021

nach den kleinen Gedichten in Prosa von Charles Baudelaire

Spiel: Karin Schmitt (die exen) & Uwe Schade (Theater Triebwerk)

Ausstattung: Christof von Büren

Künstlerische Mitarbeit: Elisabeth Bohde (Theaterwerkstatt Pilkentafel)

Fotos: Daniel Butowski

www.theater-triebwerk.de

2 Kommentare
FIDENA-Das Portal
27.10.2021

Antwort auf Kommentar vom 26.10.2021

Sehr geehrter Georg,

die nächste geplante Vorstellung findet am 06.11.21 um 19:30 Uhr im Kulturzentrum Breite63 in Saarbrücken statt. Anbei ein Link zur Veranstaltung: https://breite63.de/index.php/die-exen-anywhere-out-of-the-world-2021-2
Weitere Termine liegen uns bisher nicht vor.

Mit freundlichen Grüßen

Christofer Schmidt für das dfp
Georg
26.10.2021

Service, bitte

Danke für den Bricht. auch wie die Kritik jetzt nicht übermäßig begeistert klingt, würde ich das gerne sehen. Aber wo? Weder auf der angegebenen Website noch beim Hamburger Puppentheater kann ich jedenfalls Informationen zum Was, Wann, Wer Wo finden. War das eine einmalige Aufführung?

Neuer Kommentar