Die aktuelle Kritik

Puppentheater Magdeburg: "Bei den wilden Kerlen"

von Kathrin Singer

Ein tolles Ensemble erweckt die durch Buch und Film bekannte Geschichte zu neuem Leben.


Grundsätzlich wird hier niemand gefressen!

Als das fellknäuelartige Monster Alexander auf offener Bühne in einem Akt zügelloser Gewalt brutal zusammengeschlagen wird, herrscht atemlose Stille im Zuschauerraum. Die Zweitklässler auf den Sitzkissen im Magdeburger Puppentheater verfolgen die spannende Geschichte des weltbekannten Bilderbuches „Bei den wilden Kerlen“. Das Puppentheater zeigt die Abenteuer von Max, der unversehens zum König einer Horde unberechenbarer, aber dennoch liebenswert-knuffiger Monster wird, als Uraufführung. Der Stücktext basiert auf dem Bilderbuch von Maurice Sendak aus dem Jahr 1963 und dem gleichnamigen Roman von Dave Eggers.

Der achtjährige Max hat mehrere Probleme: eine dauertelefonierende Mutter, einen Vater, der sich nicht kümmert, eine pubertierende Schwester, die ihren kleinen Bruder nicht ernst nimmt, und einen Lehrer, der im Unterricht verkündet, die Sonne werde sterben. Eine Mischung aus Zorn, Hass und Angst führt zu unkontrollierten Wutausbrüchen, denen das „Wolfskind“ Max quasi ausgeliefert ist, weil es sie nicht unter Kontrolle bekommt. Nach einem eskalierten Familienstreit flüchtet er auf eine Insel, die von seltsamen Wesen bevölkert ist. Die sind ihrem Besucher gar nicht so unähnlich: es wird gestritten, getobt, auch mal ein Arm abgebissen... Ausgerechnet Max wird von ihnen zum König gekrönt und muss für ein Zusammenleben auf einmal Regeln aufstellen. Das allerdings ist gar nicht so einfach. Selbst bei der einfachsten und wichtigsten Verabredung: „Grundsätzlich wird hier niemand gefressen!“

Sven Nahrstedt hat mit einer Bühne ganz aus Pappe eine wandelbare Szenerie geschaffen, die mit dreimensionalen Zeichnungen einem riesigen Bilderbuch gleich Einblick in Max' scheinbar farblose Alltagswelt gibt. Die Monsterinsel erahnt man hinter einer Mauer aus Kartons, die als Projektionsfläche für das Meer bei der Inselüberfahrt, später als Rampe für das in diesem Falle traditionelle verdeckte Figurenspiel dient, hinter der nur ab und an die Köpfe der Spieler hervorragen. Franziska Hartmann entwickelte sechs wunderbare Monsterfiguren mit jeweils unverwechselbarem Charakter, die mit ihren Klappmäulern zuweilen an die schrägen, aber weniger bedrohlichen Muppets erinnern und von Claudia Luise Bose, Freda Winter, Richard Baborka, Florian Kräuter und Lennart Morgenstern allein oder auch zu zweit geführt werden.

Hier zeigt sich einmal mehr das perfekt aufeinander eingestellte Ensemblespiel der Magdeburger Bühne. Max, der im Wolfskostüm agiert, ist die einzig sichtbare Spielerfigur. Leonard Schubert beeindruckt wie bereits in anderen Inszenierungen Moritz Sostmanns mit spielerischer Intensität, zeigt einen wilden, unberechenbaren Achtjährigen, vor dem die Kinder in der ersten Reihe erschrocken zurückweichen, genauso wie den sensiblen, verzweifelten Jungen, der nicht weiß, wie er seine Wutausbrüche in den Griff bekommen soll.

Moritz Sostmann lässt in seiner actionreichen Inszenierung keine „pädagogisch wertvollen“ Lehren anklingen, sondern nimmt die Kinder mit viel Humor mit auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Es gibt die anarchische Party mit fetzigen Songs – die Kinder klatschen im Takt – und wunderbar stille, poetische Momente, in denen die ideale Stadt für Kinder erträumt wird. „Es war lustig, aber auch ein bisschen traurig“, sagt eine kleine Besucherin am Ende, „und es war sooo schön!“

 

Premiere: 30. Mai 2015

 

Puppentheater Magdeburg

Regie: Moritz Sostmann

Puppen: Franziska Hartmann

Bühne/Kostüm: Sven Nahrstedt

Dramaturgie: Stephanie Preuß

Besetzung: Claudia Luise Bose, Anna Wiesmeier, Freda Winter, Richard Baborka, Florian Kräuter, Lennart Morgenstern, Leonhard Schubert

Ab 8 Jahre

 

Foto: Jesko Döring

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