Die aktuelle Kritik

Puppentheater Zwickau: „Ballade vom Reh“

Von Andreas Herrmann

Zwickauer Puppentheater lockt per Gruseltheaterwalk ins Schönfelser Burgambiente und verweist en passant auf den Ursprung der Nachhaltigkeit

Die „Ballade vom Reh“, als Sommertheaterereignis geboten vom Zwickauer Puppentheater, trägt den Zusatz „Gruseltheater auf Burg Schönfels“ und verweist damit auf den gediegenen Spielort vor den Toren der Ex-Trabantenstadt: eine in unermesslichen Fleiß privat bewirtschaftete Festung, in deren oft originalen Ambiente man auch ganz gut jedwede Splattermovies oder andere düstere Formate drehen könnte.

Ganz so gruselig wird es nicht, dennoch hat die angegebene Alterbegrenzung von 12 bis 99 Jahren sowohl von oben als auch von unten Sinn, wobei Minderjährige nicht allein hinein durften. Start der rund einstündigen Show, der sich schnell als haargenau geplanter Theaterwalk über etliche Stationen herausstellt, der erst zum Schluss mit Erlösung in der engen Kapelle aufwartet, am Burgtor.

Hier wartet, ganz mittelalterlike bereits der erste als Bettler getarnte Taschenräuber, so echt gespielt, dass man nicht sofort das Opfer als Mitspielerin erkennt. Noch auf dem Hof wartet der erste Pfaffe, der erst mit Gewehrschuss den ersten Spuk beendet, diesen aber – ebenso begierig im Ablasshandel – sofort fortsetzt und im folgenden den Wahnsinn pflegt und Handys zertümmert.

Erst an ihm vorbei geht es hoch in die erste Etage, wo mit dem zarten Reh (als Gerippe von zwei Personen langsam musikangepasst geführt) der erste Puppenakt wartet: Der Jäger schießt es nicht, sondern nimmt es, per Machtverführung, mit. Hier wirken in absoluter Dunkelheit Licht und Ton – sowie der Atem unsichtbarer Nachbarn und der Spieler – die Gräfin erscheint mit Kerze hautnah dazwischen. Denn hier herrschte im 17. Jahrhundert Anna Maria von Römer – Mutter von 17 Kindern, weil sich deren adliger Galan, Georg Carl von Carlowitz, zwischen Zeugungsakten und Niederkünften immer wieder behufs Reisen verdrückte. So muss sie immer wieder für ihn entscheiden, auch als die Pest über das Land herfiel und der Kirche als oberster Heilinstanz nichts besseres einfiel, als schnell ein paar Hexen zu verbrennen. Auch die Ärztekunst, die im Zweifel Köpfe anbohrte, war noch nicht recht ausgegoren.

 

Historische Verbriefung und Geburtsstunde der Nachhaltigkeit

Das zu wissen schadet nicht, denn in der Folge der auch gruppentherapeutisch wirkenden Wanderung, geht es nicht nur um eine fulminant gespielte blutige Küchengeburt eines kleinen, beharrten Zahnmonsters, die besonders viel Spaß macht, wenn eine lustige Krankenschwesternbrigade im Publikum ist, sondern um die ewige Abfolge Sex, Geburt (oder Fehlgeburt). Das Ganze erdacht und inszeniert von Zwickaus Puppendirektorin Monika Gerboc und fußend auf Mitwirkung des ganzen Hauses, wobei unter den 25 Spielern etliche Gäste und Komparsen am Start sind, die aber samt und sonders derart gut maskiert sind, dass man niemanden schnell erkennt. Generell hat jede Szene eine innewohnende Dramaturgie, richtig witzig ist nur der Start wie die Malerszene, durch die ganze Stunde zieht sich ansonsten eine dem Sujet angemessene Würde, getragen von Tempo und Musik. Herausragend die Gestaltung von Burg wie Spielern in der Ausstattung von Ewa Wozniak & Barbara Wojtkowiak.

Zum Schluss, nach der scheinhaften Hexenverbrennung (auch für mutige MitspielerInnen) wird die ganze Geschichte noch einmal aufklärend von den Ursprüngen her erläutert, denn sie ist schon vom Grundsatz her historisch verbrieft und genau hier verortet. Einer der überlebenden Nachfahren wird übrigens später in Tharandt die Forstwirtschaft als eigenen Wissenschaftszweig begründen und dabei den Begriff der Nachhaltigkeit erfinden. 

Erstaunlich der Zuspruch, selbst am sächsischen Wahlabend, über jeweils sechs Stunden im Schnitt, nachdem sich der Sonntagnachmittag in einer Unwetterorgie über Westsachsen ergoss, die aber offensichtlich nur die beiden umliegenden Autobahnen lahmlegte: Jeder der Viertelstundentermine, raum- wie spieltechnisch begrenzt auf je 25 Zuschauer pro Runde, war ausgebucht. Nun beginnt die neue Spielzeit im frisch sanierten Haus – gefeiert mit einem ersten internationalen Puppentheaterfestival vom 10. bis 14. Oktober. Ob es vielleicht weitere Termine auf der Burg gibt, konnte man noch nicht sagen.

 

Bildtext:

Das zahme Reh als Freund des Jägers.

Foto: PR / Peter Awtukowitsch

 

 

„Ballade vom Reh. Gruseltheater auf Burg Schönfels“

Regie: Monika Gerboc

Ausstattung: Ewa Wozniak & Barbara Wojtkowiak

Musik: Mateusz Ryczek

Altersempfehlung: 12 bis 99 Jahre

Spiel: Team des Puppentheaters Zwickau mit Gästen

Nächste Vorstellungen: am 30. August und 1. September 2020 (laut Spielzeitheft)

Netzinfos: www.puppentheater-zwickau.de

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