Die aktuelle Kritik

Deutsches Theater Berlin: "Der Auftrag/Psyche 17"

Von Tom Mustroph

Regisseur Jan-Christoph Gockel und Puppenbauer Michael Pietsch sowie Snuff Puppets-Bauer und Performer Claude Bwendua transformieren am Deutschen Theater Berlin Heiner Müllers Revolutionsexportstück „Der Auftrag“ in eine post-kolonialistische und prä-galaktische Reise um.

06. November 2023

Die großen Gestalten der Französischen Revolution hängen bereits, da hat „Der Auftrag/Psyche 17“ gerade mal begonnen. Es ist ein starkes und räumlich komplex geschichtetes Eingangsbild, mit dem Regisseur Jan-Christoph Gockel aufwartet. Vor der Bühne ist noch eine Gaze gespannt, die den Bühnenraum dahinter zu einem geheimnisvollen Ort macht. Auf die Gaze werden Plakate projiziert, die eine Kamera abfährt und auf denen die ehemalige Kolonialmacht Frankreich in sehr klaren Worten und Bildern zum Abzug aus den einst beherrschten Gebieten in Niger, Mali oder Burkina Faso aufgefordert wird. Im Restlicht der Projektion werden die Konturen einer als „Theater der Revolution“ überschriebenen mobilen Bühne erkennbar, in deren Backstage-Bereich sich Marionetten in den Kleidern um die Zeit des Sturms auf die Bastille befinden. Die Figuren hängen da an ihren Schnüren, als hätte ein Henker sie bereits an den Galgen hochgezogen. Gut, das ist historisch nicht ganz richtig. Das bevorzugte Richtelement der französischen Revolution war die Guillotine. Aber die noch nicht vom Puppenbauer und Schnitzer Michael Pietsch animierten Marionetten wirken hier als Vorspiel und Epilog zugleich, von einer Revolution, die ganz klassisch auch ihre Kinder vertilgt.

"Der Auftrag/Psyche 17", Julia Gräfner © Armin Smailovic

Später, mitten im Stück treten die zwei größeren Marionetten schließlich als Danton und Robespierre in Erscheinung, eine Spur von Büchner im Müller. Und die anderen, etwa ein Dutzend, kleineren Marionetten fungieren als Fußvolk der Revolution. Selbst weiter hängend schauen sie zu, was mit den großen Gestalten geschieht. Natürlich hätte man sich mehr Spiel mit den Puppen gewünscht als diesen eher installativen Einsatz. Nur die Danton- und Robespierre-Figuren werden zum Sprechen animiert. Aber sie fügen sich immerhin ganz selbstverständlich in einen Theaterabend ein, der durch den komplexen Einsatz sehr vieler Theatermittel überzeugt: Puppenspiel, Schauspiel, Videokunst, Hörspielelemente, Musik.

Das attraktivste Element stellen dabei die Skullies dar, Ganzkörperkostüme mit großen Köpfen und riesigen Mündern, die die australische Kompanie Snuff Puppets entwickelt hat. Claude Bwendua versieht die weißen Gestalten mit herausstehenden Knochensegmenten und verwandelt sie so in Skelette, an denen noch etwas Gewebe klebt, das die Knochen zusammenhält.

"Der Auftrag/Psyche 17", Ensemble © Armin Smailovic

Die Skullies tauchen auf, wenn es um die Heimat der Revolution geht. Präzise gesagt, um das Frankreich, das den Sturm auf die Bastille fast schon vergessen hat und jetzt halb gelähmt, halb fasziniert von dem kleinen Nichtfranzosen ist, der die einstigen Revolutionsheere zum Eroberungsfeldzug gen Russland führt. Die in der Heimat verbliebenen Veteranen sind selbst dem Tode näher als noch im Leben drin. So geht es auch dem Mann, der in Müllers „Auftrag“ die Order ausgab, die drei Abgesandten Debuisson, Galloudec und Sasportas mögen eine Sklavenrevolte auf Jamaika entfachen. Nicht auf Haiti, wo sich die Sklaven ja schon von selbst erhoben hatten – und später von französischen Truppen niedergebolzt werden. Sondern auf Jamaika. Das ist Einflussgebiet der britischen Krone, dem Erzfeind des imperial werdenden Frankreichs. Und genau deshalb soll dort der Funke des Zorns der Sklaven entzündet werden. Müller hat die Praxis der Stellvertreterkriege, die weiterhin, und aktuell vielleicht noch mehr als sonst, diesen Erdball überziehen, hellsichtig analysiert.

Regisseur Gockel lenkt die Aufmerksamkeit aber nicht so sehr darauf, auch nicht aufs Scheitern der Aufstandsmission. Gemeinsam mit dem togolesischen Autoren Elemawusi Agbédjidji untersucht er die kolonialistischen Aspekte des Revolutionsexports. Agbédjidji überschrieb Müllers Text. Er weitete die Fahrstuhlepisode im „Auftrag“ zu einem eigenständigen Epilog aus. Der Fahrstuhl ist dabei als Vehikel einer Aufstiegsideologie in einer hierarchischen Gesellschaft gedacht. Er führt allerdings nicht ins Glück, schon bei Müller nicht. Bei Agbédjidji führt er nicht ins Nirgendwo, sondern auf die leere Oberfläche eines Asteroiden namens Psyche 17. Dessen Metallgehalt verspricht fette Beute, so wie es einst der Kontinent Afrika versprach, als sich zwischen 1884 und 1885 die europäischen Mächte hier in Berlin trafen, um eben Afrika in Einflusssphären aufzuteilen. Die Kolonisierung der Erde und die Kolonisierung des Weltalls werden munter zusammengedacht.

"Der Auftrag/Psyche 17", Ensemble © Armin Smailovic

Gockel und Agbédjidji eröffnen einen weiten Assoziationsraum. Und dass man dankbar in ihn einsteigt, liegt neben den famosen Schauspielleistungen von Julia Gräfner als Debuisson, Florian Köhler als Galloudec, Komi Mizrajim Togbonou als Sasportas sowie Evamaria Salcher als Flügel bewehrter Engel der Verzweiflung eben auch an den eindrucksvollen Skullies. Diese Untotenfiguren tauchen später noch einmal als Vertreter der Sklavenhaltergesellschaft Jamaikas auf. Da hängen auch Fetzen der französischen Trikolore an ihrem Körper. Sie halten sich an Rollatoren fest, schieben so ihre alternden und nicht sterbenden wollenden Körper über die Bühne, wie auch der alternde Kapitalismus mit all seinen verschiedenen Ausbeutungsformen immer noch partout nicht sterben will. Guckt man auf die Potentaten Afrikas, die oft als Revolutionäre begannen, dann macht es großen Sinn, die Veteranen der Revolution mit den gleichen Totenkostümen zu versehen, wie sie auch die Veteranen der Ausbeuterschicht tragen.

„Der Auftrag/Psyche 17“ ist ein fulminanter Kommentar zu 200 Jahren Weltgeschichte. Und wenn Togbonou in der Rolle des schwarzen Sklaven Sasportas das „Ende der WEIßEN Revolution“ verkündet, von der Rampe herab in einen Zuschauersaal mit vornehmlich bleichen Gesichtern, dann hat das natürlich eine gewisse historische Konsequenz. Dass dann aber nicht neue Skullies die Herrschaft erobern, erscheint leider als wenig realistisch.


Deutsches Theater Berlin: "Der Auftrag/Psyche 17"

von Heiner Müller / Elemawusi Agbédjidji, aus dem Französischen von Annette Bühler-Dietrich

Regie: Jan-Christoph Gockel | Bühne: Julia Kurzweg | Kostüme: Sophie du Vinage | Musik und Hörspiel: Matthias Grübel | Puppenbau: Michael Pietsch | Maskenbau: Claude Bwendua | Design und Herstellung Weltraumkostüm der Frau im Fahrstuhl: Adeju Thompson | Licht: Cornelia Gloth | Dramaturgie: Karla Mäder | Mit: Julia Gräfner, Florian Köhler, Komi Mizrajim Togbonou, Raphael Muff, Michael Pietsch, Evamaria Salcher, Mercy Dorcas Otieno, Isabelle Redfern, Claude Bwendua

Premiere: 28. Oktober 2023
Dauer: 160 Minuten

Hier geht's zum Stück und weiteren Spielterminen auf der Website des DT Berlin.

 

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