Die aktuelle Kritik

Puppentheater Magdeburg: "Wilde Reise durch die Nacht"

Von Kathrin Singer

Einzigartig: Das von Walter Moers inspirierte Stück ist Puppentheater ohne Puppen.

 

Szene aus Wilde Reise durch die Nacht, Foto: Jesko Döring

 

Eine Ahnung vom Universum

Das hat es so im Magdeburger Puppentheater noch nicht gegeben: eine Inszenierung ganz ohne Puppen. Die Produktion „Wilde Reise durch die Nacht“ ist auf diese Weise vor allem eine konsequente Entscheidung, die überbordende Fabulierlust eines Walter Moers nicht noch mit eigenen Bildern und Figuren zu überfrachten. Vielmehr ist die Mischung aus Live-Hörspiel, Schattenspiel und Videoprojektion eine Aufforderung ans erwachsene Publikum, das eigene Kopf-Kino in Gang zu setzen. Und das funktioniert auf atemberaubende Weise.

Tim Sandweg, bis Ende der letzten Spielzeit Dramaturg am Haus, hat seinen Magdeburger Kollegen eine Stückfassung geschrieben, die die eher geradlinige Handlung des Romans, in der der 12-jährige Gustave Doré mit dem Tod um nichts Geringeres als sein Leben und seine Seele wettet, von hinten aufzäumt. Der meistverbreitete Illustrator des 19. Jahrhunderts, an dessen Holzstichen entlang Walter Moers seine wilde Traumfantasie mit parodistischen Zitaten aus Literatur- und Mythenwelt entwickelt hat, blickt in dieser Uraufführung angesichts des nahenden Todes auf sein Leben zurück. Das gibt den verhandelten Themen – die Erinnerungen an die erste große Liebe, die Furcht vor der Sterblichkeit und die Frage nach der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns – noch einmal eine ganz andere, intensive Dimension.

Die Bühne im kleinen Saal des Puppentheaters gleicht dazu einem Labor: In einem großen Kasten mit halbtransparenter Rückwand ist eine Versuchsanordnung aufgebaut mit unüberschaubar vielen Details. Freda Winter, Florian Kräuter und Lennart Morgenstern sitzen am Labortisch und lassen in den kommenden 90 Minuten einen irrwitzigen Kosmos entstehen, bei dem Regisseur Nis Søgaard vor allem auf Tempo setzt und dem Publikum eine hohe Konzentration abfordert. Hier wird – die Ausstattung hat das Ensemble zusammengetragen - live geflötet, gezirpt, gehupt, geraschelt, geseufzt, geknarzt, geknirscht, getrappelt, geheult, gegurgelt, geschnalzt, gepfiffen und musiziert, dass es eine Lust ist.

Oftmals kann man im Halbdunkel nur erahnen, wo und womit diverse Töne erzeugt werden. Allein Florian Kräuter hat ein Arsenal an Gegenständen um sich versammelt, von den klassischen Kokosnussschalen bis zum Fleischwolf, das jeden Geräuschemacher beim Film entzücken würde. Lennart Morgenstern ebenso zweifelnder wie eitler Gustave Doré ist umgeben von allerlei skurrilen Gestalten, für die Freda Winter und Florian Kräuter ihre verblüffend wandelbaren Stimmen hören lassen. Grandios wie die beiden beispielsweise eine ganze blutrünstige Gespensterschar allein mit Stimme und Mikro zum Leben erwecken.

Auf der Rückwand erscheinen dazu Dorés Illustrationen, zerschnippelt, zuweilen an Monty-Python-Comics erinnernd, neu angeordnet, an Stäben live bewegt und durch transparente Wasserbecken verfremdet. „Man kann das Universum nicht zeichnen, es ist zu groß“, sagt Gustave Doré. Bevor der Tod auch bei ihm am Ende den Seelensarg zuklappt, bekommt man bei dieser Premiere zumindest eine Ahnung davon.
 

Premiere: 14. Februar 2015

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