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Showcase Beat Le Mot, Berlin: "1000 Things Falling“

Von Alina Lebherz

Das Performance-Kollektiv Showcase Beat Le Mot lässt Dinge auf den Boden fallen. Zwar heben sie die Schwerkraft dabei nicht auf, aber eine Neu-Ordnung unserer Welt gelingt ihnen durchaus.

Zunächst ist der Raum stockfinster. Eine Glühbirne gleitet langsam an einer Schnur in die Mitte der Bühne. Sie löst sich, fällt und zerbirst am Boden. Eine digitale Zahl in Neonblau schwenkt sogleich von null auf eins. Das Stück 1000 Things Falling hat begonnen. Nach der Glühbirne werden noch weitere 999 Gegenstände auf den Bühnenboden fallen. Dann ist das Stück zu Ende.

Warum sehen wir die Welt vor lauter Dingen nicht mehr? Dieser Frage geht das Performance-Kollektiv Showcase Beat Le Mot nach. Tatsächlich übersteigt seit dem Jahr 2020 die von Menschen produzierte Masse die Masse aller Lebewesen zusammen. Die Inszenierung stellt damit ein zentrales Thema unserer Zeit in den Vordergrund und fragt nach nicht weniger als nach der materiellen Basis unserer Gesellschaften.

So ist die Inszenierung dann auch ein Experiment, das aus verschiedensten kleinen Versuchsanordnungen besteht. Gegenstände, die auf den Boden fallen, werden akribisch gezählt. Darunter sind Bälle, aber auch Federn und Schuhe. Einige Performer:innen beobachten das Geschehen vom Rand, zählen aber gelegentlich auch selbst als Objekte – sofern sie auf der Bühne fallen. Als jedoch ein Skelett von der Decke hinabstürzt, kommt die neonfarbene Anzeige mit dem Zählen nicht mehr hinterher. Soll hier jeder einzelne Knochen berechnet werden? Das Publikum lacht.

"1000 Things Falling" © Dorothea Tuch

Die Gruppe Showcase Beat Le Mot entwirft eine Welt, in der Materie anders funktioniert als bisher. In dieser Welt fügen Wörter, Dinge und Lebewesen sich in einer uns noch unbekannten Ordnung zusammen. Eine Ordnung, die zunächst irritiert, weil sie einer neuen Logik folgt: Werk-Zeug, Spiel-Zeug, Un-Zeug? Laut Duden ist Zeug etwas, das wertlos ist und nicht gebraucht wird. Doch einige Dinge in der Inszenierung sind durchaus nützlich. Grün-Zeug zum Beispiel. Oder ist Grün-Zeug gar kein Ding? In einer neuen Welt finden sich neue Logiken nur langsam zusammen. Es scheint, als suchten sie noch ihren Platz.

Neben Bällen und Federn fällt also auch Gemüse vom Himmel. Ein vermutlich wohnungsloser Mann, der zunächst teilnahmslos über die Bühne geht, fängt wie durch Zufall einiges davon mit seinem Einkaufswagen auf. Den Saft, den er anschließend daraus presst, teilt er mit seinem Kollektiv – und mit dem Publikum! An eine solche Solidarität erinnert die Inszenierung nicht nur einmal. In einer anderen Szene werden die Zuschauer:innen gar hypnotisiert, damit sie am nächsten Tag die Stromrechnungen ihrer Nachbar:innen bezahlen, die es möglicherweise gerade knapp haben. Etwas später wiederum umarmen sich zwei Männer in Ritterkostümen.

"1000 Things Falling" © Dorothea Tuch

Die Inszenierung schöpft aus dem vollen Repertoire des Objekttheaters. Dinge scheinen magisch zum Leben erweckt, und Lichteffekte strukturieren den Raum. Die Performer:innen nehmen sich selbst auf liebenswerte Weise nicht ernst und könnten auf den ersten Blick oftmals selbst mit Dingen verwechselt werden. Für die Menschen im Saal – so ist deutlich erkennbar – sind solche Objekte am aufregendsten, die mit einem lauten Scheppern kaputt gehen: Tassen also, und Kaffeekannen. Das Zerschellen von Gegenständen entfaltet eine seltsam kathartische Wirkung. Schade ist nur, dass das Publikum im Laufe der Inszenierung zunehmend verstummt. Die anfängliche Begeisterung über die Zerstörung von einzelnen Dingen weicht einer monotonen Trostlosigkeit. Unzählige Objekte werden lustlos weggeschmissen. Die Bühne vermüllt.

Es kann also durchaus passieren, dass man die Inszenierung mit einem unguten Gefühl verlässt. Vielleicht mit Wut oder mit einer Leere. Möglicherweise entsteht am Ende des Stückes die Frage, warum nicht mehr passiert ist. Oder auch, ob dies nun die Apokalypse sein sollte? Tausend Dinge fallen herunter und die Welt ist zu Ende? Wäre nicht die Entwicklung einer gemeinsamen Utopie eine sinnvollere Strategie, als Dinge beim Fallen zu beobachten? Lässt man sich jedoch auf das postmoderne Format und die dahinterstehenden philosophischen Fragen ein, dann eröffnet das Stück eine überraschend neue Welt. Keine Welt, die von Dingen befreit werden muss, um selbst wieder sichtbarer zu werden. Sondern viel subtiler: Eine Welt, in der sich unser Verhältnis zur Materialität  und damit auch unser Verhältnis zum Leben selbst  gewandelt hat. Auf eine poetische Art und Weise wird in 1000 Things Falling also nach neuen Ordnungen der Welt, inklusive neuer Formen von Solidarität gesucht, während tausend Dinge zu Boden fallen.

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Produktion: Showcase Beat Le Mot.

Koproduktion: HAU Hebbel am Ufer.

Gefördert durch: Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa

Idee & Umsetzung: Showcase Beat Le Mot

Kostüm: Knut Klaßen, Marc Aschenberenner

Ausstattung: SCBLM, Knut Klaßen, Marc Aschenberenner, Şenol Şentürk

Künstlerische Mitarbeit: Florian Feigl, Christopher Felix Hahn

Sound: Melisa Su Taskiran

Technische Leitung: Joscha Eckert

Produktionsleitung: Olaf Nachtwey

Fotos: Dorothea Tuch

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