Die aktuelle Kritik

KMZ Kollektiv, Berlin: "Fünf Exponate"

Von Laura Becker

In der Schaubude Berlin wirft das KMZ-Kollektiv einen neuen Blick auf den deutschen Volkshelden Alexander von Humboldt. In 60 ereignisreichen Minuten durchsucht die Gruppe aus El Salvador, Mexiko, Kuba, Spanien und Deutschland ihre eigenen Biografien nach kolonialen Kontinuitäten und fragt, was eigentlich „dieser Alex“ damit zu tun hat. Herausgekommen ist eine beeindruckende Materialperformance, äußerst klug, gehaltvoll, aufrüttelnd und an so mancher Stelle rasend komisch.

Schon in ihrer vorhergehenden Performance „Kaffee mit Zucker?“, welche unter anderem den Fritz-Wortelmann-Preis 2021 in der Kategorie „professioneller Nachwuchs“ gewann, setzt sich das Kollektiv kritisch mit den Auswirkungen des Kolonialismus in Mittel- und Südamerika auseinander. Diese Beschäftigung wird nun mit anderem Fokus fortgeführt: Es geht  um die Aneignung  von Wissen und Kunst der Einwohner:innen durch Alexander von Humboldt sowie um die Tatsache, dass bis heute Artefakte lateinamerikanischer Kulturen in deutschen Museen ausgestellt und als deren Eigentum proklamiert werden.

Auf der Bühne stehen bereits während des Einlasses die Performer:innen Laia RiCa und Antonio Cerezo sowie die Musikerin Yahima Piedra Córdova aufgereiht nebeneinander. Während das Publikum sich setzt, halten sie ihre Gesichter statuenhaft in Schalen. Die Bühne ist bis auf das Musikpult im hinteren Teil und einen Tisch vorne links, der an ein Versuchslabor erinnert, leer. Ein großer Haufen Kartoffeln liegt prominent mittig hinter den drei Gestalten auf dem Boden.

Fünf Exponate © INBAL CITRU. Gabriel Morales

Das Stück beginnt, als die drei ihre Gesichter aus den Schalen nehmen. Laia stürzt sich in den Kartoffelhaufen und verteilt sie über die Bühne. Während sie das Chaos dann kreisförmig auf der Bühne anordnet, erklärt sie: „Meine Familie ist wie diese Kartoffeln: über die ganze Welt verstreut“. So sind die einzelnen Knollen in diesem Stück ein treffendes Sinnbild für Vieles. Anpassungsfähig seien sie, wie auch ihre Familie, sagt Laia. Die Kartoffelpflanze aus dem lateinamerikanischen Raum stammend, ist seit einigen Jahrhunderten eines der wichtigsten Nahrungsmittel weltweit, aber erst, nachdem sie von einem Europäer „entdeckt“ wurde. Schon hier zeigt sich: Die Kartoffel existierte bereits Jahrtausende vorher, die Credits gehen aber an die weißen Europäer:innen. Heute stehen die Kartoffel und ihre Gerichte für deutsches Volksgut, der Begriff wird als Synonym für den:die weiße:n Klischeedeutschen benutzt. Im späteren Verlauf des Stücks wird klar, nicht nur die Kartoffel, sondern ein ganzer Wissensschatz wurde aus europäischer Sicht „entdeckt“ – also im Grunde von den Ansässigen durch zum Beispiel Alexander von Humboldt angeeignet, exportiert und auf ihn als großen Wissenschaftler zurückgeführt.

Fünf Exponate © INBAL CITRU. Gabriel Morales

Während Laia die Kartoffeln anordnet, mischt Antonio Cerezo vorne am Versuchstisch Gips zusammen. Er erklärt, als Kind habe er sich einmal den Arm gebrochen, und als sein Gips entfernt wurde, stellte er sich vor, dass dieser einmal in einem Museum ausgestellt werden würde. Sein Gipsarm hat es zwar nicht in ein Museum geschafft, doch lernen wir an diesem Abend fünf andere Exponate kennen. Diese Exponate und ihre Provenienz bilden den roten Faden des Abends. Mit Gips, Kartoffeln und ihren Körpern stellen die Performer:innen die Exponate auf der Bühne nach, finden ihre eigene Interpretation. Aus den Gesichtsabdrücken in den Schalen während der Einlasssituation werden so später Gipsmasken. Aus den Kartoffeln werden Bilder gelegt, oder sie dienen als Gegengewicht, wenn Laia irgendwann an einem Seil hochgezogen wird. Allesamt sind die vorgestellten Exponate im Original in deutschen Museen zu sehen, darunter die sogenannte „Humboldtscheibe“ (ein aus Mexiko stammendes Relief) sowie Masken des Kogi-Volkes oder ein Nasenabdruck aus Gips. All diese Gegenstände haben ihren Weg auf spezielle Weise nach Deutschland gefunden: Bei Jungs aus gutem Hause heiße „stehlen“ anders, nämlich „sammeln“, erklärt Laia im simplen Erklärbär-Ton. Eben dieser Ton, nie zu zynisch, aber doch stets sympathisch ironisch ist es, der diesen Abend besonders auszeichnet. Ohne erhobenem Zeigefinger präsentieren sie viele, teils überraschende Fakten und Zusammenhänge auf ihrer kolonialen Spurensuche. Während sich beim Sehen mein Bewusstsein über Klischeevorstellungen von Zentral- und Südamerikaner:innen erweitert, erlebe ich, wie auch das Kollektiv auf der Bühne immer wieder die eigenen Biografien und Denkstrukturen hinterfragt.

Musikerin Yahima Piedra Córdova ist als dritte Performerin auf der Bühne und sorgt live für einen mitreißenden Soundtrack.  Hier treffen deutsche Klassiker wie „Für Elise“ auf einen Mix aus Latin-Beats und Gesang. Unentschlossene Statements zu Raubkunst, wie von der ehemaligen Kulturstaatsministerin Monika Grütters, werden von Yahima über den Mix gesungen und dadurch zu hitverdächtigen Songs. Illustriert wird die Performance außerdem zusätzlich durch eine Videoprojektion von Daniela del Pomar, welche als weitere Kommentarebene fungiert. Liebevoll gestalte Trickfilme zeigen so zum Beispiel Baby-Humboldt, wie er von etlichen Angestellten gepampert wird - hoher Unterhaltungswert garantiert!  

Wieder einmal schafft das KMZ-Kollektiv eine thematisch intensive Auseinandersetzung auf eine zugleich kunst- sowie humorvolle Weise.  Herausragend ist die große Lust am Experimentieren im Umgang mit Materialien auf der Bühne ebenso wie mit allen anderen zur Verfügung stehenden theatralen Mitteln. Kurz: unbedingt sehenswert!

 

Premiere: 16.02.2023

Weitere Vorstellungstermine 17.–19.11.2023, nähere Informationen auf der Website.

 

Konzept, künstlerische Leitung: Laia RiCa, Antonio Cerezo, Ruschka Steininger

Visual Design, Live-Visuals: Daniela del Pomar

Dramaturgie: Ruschka Steininger

Sound, Live-Musik: Yahima Piedra Córdova

Bühne, Lichtdesign: Sebastián Solórzano

Kostümbild: Anne Buffetrille

Fotos: Fünf Exponate © INBAL CITRU. Gabriel Morales

 

Mit Yahima Piedra Córdova, Antonio Cerezo, Laia RiCa

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