Die aktuelle Kritik

Waidspeicher Erfurt: "Mein ziemlich seltsamer Freund Walter"

von Esther Goldmann

Erstmals wird das 2014 entstandene Stück von einem Puppentheater inszeniert.

 

Leichtes Spiel zwischen tonnenschweren Lasten

Lisa liegt auf dem Bauch und schreibt. Sie ist unglücklich und seufzt. Schon in den ersten Minuten der Inszenierung wird deutlich, dieses Mädchen ist zumeist gescheit und mitunter zickig. Um Lisa und ihren Weg heraus aus der Isolation dreht sich 80 Minuten lang das gelungene Puppenspiel am  Erfurter Theater Waidspeicher.

Die Geschichte der kleinen Lisa spielt irgendwo in einem Plattenbau. Irgendwo in einer deutschen Stadt mit Satelliten-Wohnhäusern als Symbol für prekäres Leben. Möglicherweise hat Sybille Berg ihren Geburtsort Weimar als Vorlage für das 2014 entstandene Stück genommen und Regisseur Matthias Thieme die Neubauten seiner Heimatstadt Erfurt vor Augen, bevor er die Inszenierung übernommen hatte.

Lisa ist spätestens eine Außenseiterin, seit ihre Eltern ihre Arbeit verloren. Seither hocken Mutter und Vater auf dem Sofa und jammern über alte Zeiten. Guter Einfall: Titel wie Tanita Tikarams „Twist in my sobriety“ (Eine willkommene Abwechslung) aus dem Jahr 1988. Aus jener Zeit also, als die Eltern noch jung waren, vielleicht träumten und sich seither nur noch auf der Straße der Vergessenen wähnen. Lisa hält sich folglich bei diesem und anderen Titeln die Ohren zu. Derlei Regie-Einfälle machen den Wert der Inszenierung aus.

Der Weg Lisas in die Schule wird zum Spießrutenlauf. Mobbing auf dem Schulweg, auf dem Spielplatz, in der Schule. Von Halbstarken, von Klassenkameraden, von der Lehrerin. Die Klügere muss nachgeben, wenn Muskeln und Kälte zur Gewalt geraten. Die sechs Puppenspieler bringen die Situation bedrückend ernsthaft von der Bühne herunter. Erst mit Walter, dem seltsamen Freund von einem anderen Planeten (wunderbar exaltiert gespielt von Martin Vogel), verändert sich Lisas Leben. Und da Thieme ein Puppenspiel für Kinder ab neun Jahre inszeniert hat, geht die Geschichte der intelligenten Außenseiterin natürlich gut aus.

Während der Premiere am Wochenende saßen im Publikum Kinder und Erwachsene einträchtig zusammen. Thieme und dem Ensemble gelingt es, trotz der erdrückend-wahren Realität der literarischen Vorlage, die Situation der kleinen Lisa mit ausreichend Humor auf die Bühne zu bringen. Und das in üblich kurzer Zeit - die Proben waren für sechs Wochen angesetzt. Die Inszenierung kommt zumeist ausreichend hintergründig und mit vielen kleinen Einfällen von der Bühne. „Das reimt sich“, sagt beispielsweise einer der überzogen-dümmlichen Ghetto-Jugendlichen im Stile eines Rappers. „Ist das gut?“, fragt der andere. Das Lachen im Publikum klingt an dieser Stelle ein bisschen beklommen.

Gespielt wird mit sechs Puppenspielerinnen und Puppenspielern, die sich auch selbst gut in Szene zu setzen sowie mit acht Puppen. Die Vierfüßler-Puppen verschmelzen mit den Spielenden und machen auf der Bühne eine gute Figur (Puppen: Kathrin Sellin, Kostüme: Mila van Daag). Erstmals wird das 2014 entstandene Stück deutschlandweit übrigens von einem Puppentheater inszeniert und die Art der Inszenierung zeigt, dass das eine gute Entscheidung der Erfurter war.

Das Bühnenbild ist beinahe minimalistisch (Bühne: Matthias Thieme) – und sorgt vielleicht gerade deshalb für eine starke Wirkung. Mit grauen Schaumstoff-Quadern werden Hochhäuser zu Schulbänken zu Gräben zu Rutschen zum Spielplatz. Die Inszenierung profitiert von diesen flotten Umbauten. Lediglich die Eltern von Lisa bekommen eine üppige Couch, wunderbar zwischen Puppenspieler und Requisite eingebettet. Angenehm-minimalistisch ist auch der Einsatz der Videoproduktion, um die Fantasie des kleinen Mädchens zu beschreiben.

Lisa hat zu Beginn der Inszenierung „Angst davor, dass alles so bleiben könnte wie jetzt“. Ihr ziemlich seltsamer Freund Walter und das Ensemble dieser Inszenierung haben es verhindert.

 

Premiere: 18. November 2016

Regie und Bühne: Matthias Thieme
Puppen: Kathrin Sellin
Kostüme: Mila van Daag
Dramaturgie: Susanne Koschig
Videoanimation: Manuel Müller
Regie-Hospitanz: Justine Rutter

Spiel
Lisa - Karoline Vogel

Walter –Martin Vogel
Mutter – Kristine Stahl
Vater – Paul Günther
Lehrerin – Kathrin Blüchert
Jugendliche und Schüler – Kathrin Blüchert, Kristine Stahl, Paul Günther, Tomas Mielentz

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