Die aktuelle Kritik

Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen: „Hallo Nachbar – (Un)Sinnbilder mit Glump“

von Andreas Herrmann

Das Theater Bautzen eröffnet die Spielzeit mit einem Auftragswerk, das sich um eine Nachbarschaft dreht, in der nach und nach Wohnungen verschwinden.

Es war ein harmonischer, nahezu sanfter Beginn der neuen Spielzeit am Burgtheater des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters zu Bautzen. Intendant Lutz Hillmann begrüßte jeden Besucher, zumeist Abonnenten, dankbar mit Sekt oder Fruchtsaft – natürlich alles mit Maske, Abstand und Einbahnstraße beim Publikumsverkehr. Es sei das erste Mal, dass das Haus in Friedenszeiten nicht hätte spielen können, betont Hillmann die Besonderheit des Abends.

Nach der Pause und am Ende geht es über den Notausgang ins Freie – vorbei am herrlichen Rietschelgiebel im Schaufenster mit den 15 überlebensgroßen Sandsteinfiguren, der zwei Theaterkatastrophen überlebte: den Dresdner Semperopernbrand anno 1869 und die Bautzener Theatersprengung von 1969.

Etwa die Hälfte der möglichen Platzkapazität durfte für „Hallo Nachbar – (Un)Sinnbilder mit Glump“ genutzt werden – versprochen ward eine Puppentheaterkomödie von Ingeborg von Zadow – eine eigens für das Puppentheater geschriebenes Stück für Menschen ab 14 – in Regie von Spartenchef Stephan Siegfried und mit grandiosen Puppen von Marita Bachmaier und einer eigentlich guten Grundidee, nachdem die vier Spieler wie Inspektoren einmarschierten: Marie-Luise Müller, Eva Vinke, Annekatrin Weber und Andreas Larraß desinfizierten sich und prüften skeptisch die dreigeteilte Bühne: Ein Sechsfamilienhaus und zwei mannshohe graue Spielcontainer bilden die Kulisse für eine eigentlich ganz normal-urbane innerhausgemeinschaftliche Integrationsgeschichte.

 

Mystisch und witzfrei

Zwei alleinstehende Rentner und eine alleinstehende Mutter mit aufreibenden Job und darob selbst erziehender Tochter Merle bilden die rechte Flanke der Mietparteien, eine Jungen-WG (namens Tolle und Ranz) und eine gen Amerika sabbatierte Familie sind der Rahmen der linken Seite. In die Mitte (als einzige mit Balkon) zieht nun Patrizia ein und bringt Leben in die Bude: Sie ist bunt und wild, angehende Doktorantin und Entertainer-Besitzerin. Ihr Hund integriert sich natürlich selbst, der obere Rentner bewacht und pflegt eine stetig wuchernde Pflanze der verreisten Nachbarn und Tolle bezirzt gnadenlos erfolgreich die Neue. In der Mitte – einem offenem Regal – ist die Handlung in Kleinformat, aber im Ganzen zu betrachten. Dort passiert dann auch das Außergewöhnliche: Die Wohnungen verschwinden nacheinander, die Bagage muss zusammenrücken, zum Schluss verschwindet auch das Treppenhaus – Schuld ist vielleicht ein kleiner grüner Kobold namens Glump – vermutlich eine Metapher der Einsamkeit. Das alles kommt seltsam, aber durchaus nett daher.   

Die Konflikte werden mit Masken vorn als Schauspiel, aber vor allem in den beiden rollbaren Wohnungscontainern rechts und links des Hauses gespielt, hier mit halbgroßen Puppen – und durchaus markant als eine Art psychologische Innenansicht. Es fehlt allerdings in den Dialogen sowohl Witz als auch Tiefgang – eine Art Lindenstraße für die Puppenbühne.   

Am Ende gewinnt halt die Wohnung der Pflanze, der bauliche Rest des Hauses ist irgendwie weg, alle sind beisammen in Wohnung Nr. 6 eingepfercht – und alle Fragen offen. Der, die oder das Glump bleibt ebenso mystisch wie die Funktion des Gewächses oder der Sinn von Familie Perfekt (jenseits der Abwesenheit). Ganz ohne Glump – in der Lausitz am ehesten eine Metapher auf das stets auf der Schulter sitzende Mobilfunkloch – hätte da sicher eine rührende Geschichte daraus werden können. Die Frage nach einem zweiten Teil zur Auflösung wird vor Ort verneint – es blieben die großartigen Charakterkopfpuppen auf der zweiten Ebene und ein wirklich beherztes Spiel des Quartetts als Spielzeiteröffnung in Erinnerung.

 

Sächsische Helden des Theateralltags

Das 60. Spartengründungsjubiläum wird übrigens im Mai 2021 ausgiebig gefeiert: mit dem 8. Sächsischen Puppentheatertreffen, wozu alle anderen vier städtischen Puppenbühnen des Landes anreisen. Dieses geht quasi nahtlos in ein deutsch-polnisches Freiluftpuppentheaterfestival über.

Puppenchef Siegfried gönnt sich im Januar mit „Godow & Somorrha“ in Regie von Richard Kopperman in der hauseigenen Reihe Spieltrieb die zweite Folge des „Gedöns vonner Insel“ als großen Spaß. Und er schickt bedauernd wie „schweren Herzens“ den Klassiker „Faust. – Leben einer Legende“ nach deutlich über einhundert Auftritten seit der Premiere 2012 in den „wohlverdienten Ruhestand vorm Puppenzerfall“.

 

Foto: Miroslaw Nowotny
Premiere: 11.09.2020

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